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"Es ist extrem gefährlich"

Putin warnt in Berlin vor Eskalation des Syrien-Konflikts *

Der russische Staatschef Wladimir Putin hat bei seinem Antrittsbesuch in Berlin vor einem Bürgerkrieg in Syrien gewarnt.

»Wir sehen jetzt aufkommende Elemente eines Bürgerkrieges«, erklärte Präsident Putin am Freitag nach einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin. »Es ist extrem gefährlich.« Merkel und Putin sprachen sich für eine politische Lösung in dem Konflikt aus. Dies sei »möglich«, erfordere aber »Geduld«, betonte das russische Staatsoberhaupt.

Russland werde auch in Zukunft den Kontakt zu Präsident Baschar al-Assad aufrechterhalten, unterstütze aber keine der Konfliktparteien in Syrien, so Putin. Er dementierte Waffenlieferungen an Syrien. »Russland liefert keine Waffen, die in einem Bürgerkrieg zum Einsatz kommen könnten.«

Amnesty International hatte zuvor von Putin einen sofortigen Stopp von russischen Waffenlieferungen an Syrien gefordert. Es müsse zudem im UNO-Sicherheitsrat für ein umfassendes Waffenembargo stimmen.

Jedes Land müsse alles daran setzen, um einen Bürgerkrieg in Syrien zu verhindern, sagte Merkel. Das Massaker von Hula habe noch einmal gezeigt, wie »schrecklich« die Menschenrechtslage in dem Land sei. Dabei waren mehr als hundert Menschen getötet worden. Im Sicherheitsrat müsse »mit aller Kraft und allem Nachdruck« daran gearbeitet werden, dass der Friedensplan des internationalen Syrien-Gesandten Kofi Annan umgesetzt werde, forderte Merkel.

Die Deutschen haben sich in einer Umfrage gegen ein militärisches Eingreifen ausgesprochen. In einer repräsentativen Erhebung für den Nachrichtensender N24 befürworten nur 23 Prozent von rund 1000 Befragten einen Militärschlag gegen die Regierung in Damaskus. 69 Prozent hingegen halten eine diplomatische Lösung des Konflikts für möglich.

Tausende Syrer gedachten am Freitag bei Protestmärschen der massakrierten Kinder von Hula. Die Aktionen, die in mehreren Städten nach dem islamischen Freitagsgebet begannen, standen unter der Losung »Die Kinder von Hula, Fackeln des Sieges«. Die Verantwortlichen für Gräueltaten in Syrien müssen nach Ansicht der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, vor das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gebracht werden. »Ich fordere den Sicherheitsrat dringend auf, den Fall Syrien dem Internationalen Strafgerichtshof zu übertragen«, erklärte Pillay am Freitag in Genf bei einer Sondersitzung des UNO-Menschenrechtsrates zur Gewalt in Syrien.

Dem Menschenrechtsrat lag eine Resolution vor, in der die Regierung in Damaskus erneut verurteilt werden sollte. Zudem sollte eine umfassende unabhängige Untersuchung des Massakers in Hula beschlossen werden.

US-Verteidigungsminister Leon Panetta hat einen Militäreinsatz in Syrien von der Unterstützung durch die Vereinten Nationen abhängig gemacht. Auf die Frage, ob er sich einen militärischen Eingriff ohne Befürwortung durch den Sicherheitsrat vorstellen könne, sagte Panetta: »Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.«

* Aus: neues deutschland, Samstag, 2. Juni 2012


Putin warnt vor Krieg

Von Arnold Schölzel **

Für wenige Stunden hielt sich der russische Staatspräsident Wladimir Putin am Freitag zwischen einem Besuch in Belarus und in Frankreich in Berlin auf. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte nach einem Treffen mit ihm: »Wir haben beide deutlich gemacht, daß wir auf eine politische Lösung setzen.« Differenzen gebe es bei der Diskus­sion möglicher Auswege. Sie betonte, es müsse »alles getan werden, daß ein Bürgerkrieg verhindert wird«. Beide unterstützten den Friedensplan des früheren UN-Generalsekretärs Kofi Annan.

Zuvor hatte allerdings Außenminister Guido Westerwelle (FDP) die deutsche Marschrichtung auf einen »regime change« in Syrien in einem Welt-Interview deutlich gemacht: »Wie im Jemen könnte – bei allen Schwierigkeiten, die wir dort sehen – die Macht auf einen Übergangspräsidenten übergehen, der einen Neuanfang organisieren müßte.« Westerwelle betonte, Frankreichs Präsident Francois Hollande habe seine Erwägung für einen Krieg an ein Mandat des UN-Sicherheitsrates gekoppelt. Derzeit müßten »wir«, so der Außenminister, aber davon ausgehen, »daß es zu einem solchen Mandat nicht kommen wird«.

Gegen diese halbe Zustimmung zu einem Militäreinsatz setzte Putin eine klare Warnung: »Man darf nichts mit Gewalt bewirken.« Rußland habe zwar langjährige enge Beziehungen zur Führung in Damaskus, unterstütze aber weder die Regierung noch die Opposition in dem Konflikt. Mit Blick auf die Ausweisung syrischer Botschafter aus westlichen Staaten, erklärte er, Moskau werde die Kontakte zur syrischen Staatsführung aufrechterhalten. Im übrigen liefere sein Land keine Waffen nach Syrien, die in dem Konflikt mit der Opposition eingesetzt werden können. Eine politische Lösung sei »möglich«, erfordere aber »Geduld«.

Die ist in westlichen Hauptstädten nicht angesagt. Bereits am Donnerstag hatte US-Außenministerin Hillary Clinton, die zuvor offen über eine militärische Option gegen die syrische Regierung gesprochen hatte, Rußland für den Konflikt mitverantwortlich gemacht. Zum Auftakt eines Dänemark-Besuches sagte sie in Kopenhagen: »Rußland erklärt, daß man keinen Bürgerkrieg in Syrien wünscht. Ich sage ihnen, daß ihre Politik zu einem Bürgerkrieg beitragen wird.« US-Generalstabschef Martin Dempsey bestätigte Pläne für ein militärisches Eingreifen. Die UN-Botschafterin der USA, Susan Rice, sprach sich dafür aus, »unter Umgehung des Sicherheitsrates tätig zu werden«.

Am Freitag zitierte dapd Elisabeth Sherwood-Randall, eine wichtige Mitarbeiterin von US-Präsident Barack Obama, mit den Worten: »Wir arbeiten weiter daran, einen Weg zu finden, wie wir die Unterstützung Rußlands für ein gemeinsames Vorgehen im Sicherheitsrat gewinnen können.« Sie deutete zugleich an, wo und wie dieser Versuch ein Ende finden könnte: »Die Türkei ist in der NATO, und nach Artikel fünf des Vertrags garantieren wir ihre Sicherheit.« Washington setzt demnach auf eine breite Allianz bei Militäraktionen – die Bundesrepublik eingeschlossen. In Bild erklärte US-General Merril McPeak, der 1995 die Flugverbotszone über Bosnien organisiert hatte: »Eine Flugverbotszone und ein Einsatz gegen Assads Bodentruppen aus der Luft wäre nahezu risikolos.«

Rußlands EU-Botschafter Witali Tschichow erklärte zu all dem, Moskau fühle sich »ungut« an die Situation von 1999 erinnert, als der Westen ohne UN-Mandat Jugoslawien bombardierte. In der kommenden Woche besucht Putin China. Er bleibt zwei Tage.

** Aus: junge Welt, Samstag, 2. Juni 2012


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