Noch ein Ämtertausch in Moskau
Putin will Medwedjew den Vorsitz des »Einigen Russlands« übergeben
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Überraschend kommt sie nicht, doch
zu allerlei Spekulationen gibt die
Nachricht dennoch Anlass: Wladimir
Putin gibt den Vorsitz der Regierungspartei
»Einiges Russland« ab.
Freiheit sei besser als Unfreiheit,
das gelte für die Zivilgesellschaft
wie für Unternehmen. Dmitri
Medwedjew wiederholte am
Dienstag auf der Tagung des
Staatsrates – eines beratenden
Gremiums, dem die Gouverneure
aller 83 russischen Regionen angehören
– fast wörtlich die Thesen
aus seinem Wahlprogramm
vor reichlich vier Jahren. Aus gutem
Grund: Es war seine letzte Rede
als Präsident. Am 7. Mai räumt
er den Platz auf der Kommandobrücke
des Staatsschiffs erneut für
Wladimir Putin.
Putin hatte zeitgleich das Aktiv
der Partei »Einiges Russland«
(ER) um sich versammelt, deren
Vorsitzender er ist, ohne Mitglied
zu sein. Gleich nach der Vereidigung
als Präsident will er den Parteivorsitz
jedoch niederlegen.
Zwar verbiete die Verfassung dem
Staatsoberhaupt eine Parteimitgliedschaft
nicht, aber das Staatsoberhaupt
werde in Russland als
überparteiliche Figur betrachtet,
und eine solche wolle auch er sein,
sagte Putin. Als seinen Nachfolger
schlug er den Einheitsrussen
Dmitri Medwedjew vor, der am
8. Mai zum neuen Regierungschef
gekürt werden soll. In der zweiten
Maihälfte könnte ihn ein außerordentlicher
Parteitag zum ERVorsitzenden
wählen.
Kritische Beobachter halten
Putins Erklärung indes für fragwürdig.
Sie erklären den geplanten
Rückzug vor allem mit der
Veränderung der politischen Rahmenbedingungen.
Mit persönlichen
Zustimmungsraten von damals
rund 70 Prozent verschaffte
Putin der Partei bei den Parlamentswahlen
2007 die Zweidrittelmehrheit.
Das deutlich schlechtere
Ergebnis, das »Einiges Russland
« bei den Dumawahlen Ende
2011 einfuhr, hätte ihn womöglich
in die Stichwahl um die Präsidentschaft
gezwungen, wäre er
nicht schon im Wahlkampf auf
Distanz zu den Einheitsrussen gegangen.
Schon damals setzte er vor
allem auf die Gesamtrussische
Volksfront, die er gegründet hatte,
um den Abwärtstrend des »Einigen
Russlands« zu kompensieren.
Viele nehmen an, Putin werde
die Front nach seiner Rückkehr
in den Kreml zur Partei umformatieren
lassen. »Einiges
Russland« und dem neuen Vorsitzenden
Medwedjew sei die Rolle
eines Bauernopfers bei den unpopulären
Reformen zugedacht,
die angesichts der Wohltaten, die
Putin im Wahlkampf verteilte,
nicht zu vermeiden sind.
Allein Pläne für die allmähliche
Anhebung des Renteneintrittsalters
auf 63 Jahre – derzeit
gehen Frauen mit 55, Männer mit
60 in den Ruhestand – haben das
Zeug zu einem sozialen Sprengsatz.
Und Putin machte schon in
seinen ersten beiden Amtszeiten
klar, dass der Präsident für Erfolge,
die Regierung dagegen für
Misserfolge zuständig ist. Dazu
kommt, dass Putin mit Medwedjews
späterer Entlassung als Premier
Rache für dessen Zugeständnisse
an die Protestbewegung
nehmen und sich eines potenziellen
Konkurrenten entledigen
könnte.
Denn Medwedjew ist fast fünfzehn
Jahre jünger als Putin und
seine Ambitionen, Russland nach
seinem Bilde zu formen, werden
nach dem nicht ganz freiwilligen
Verzicht auf die Bestätigung im
Amt des Präsidenten eher als größer
denn als geringer eingeschätzt.
Bisher fehlte ihm jedoch die
Hausmacht. Und noch ist nicht sicher,
ob er die auf Putin fixierte
Beamtenkaste, die den Kern der
Partei »Einiges Russland« stellt
und die er selbst wiederholt kritisiert
hat, hinter sich bringen
kann. Früher oder später könnten
die Karrieristen ohne Skrupel
zur Volksfront wechseln.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 26. April 2012
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