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Nur ein Handelskrieg?

Der Ton zwischen Washington und Moskau wird rauer - Russland soll wegen Rüstungslieferungen an Venezuela und Iran "bestraft" werden

Zwischen Washington und Moskau herrscht mittlerweile Eizeit - jedenfalls was die Handelsbeziehungen betrifft. Grund hierfür sind die von den USA verhängten Sanktionen gegenüber Russlands Wirtschaft, weil die es sich nicht nehmen lässt, mit den "Schurkenstaaten" Venezuela und Iran Geschäfte abzuschließen, die den USA nicht in den Kram passen: Rüstungsgeschäfte nämlich.
Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel, die über die Trübung der russisch-amerikanischen Beziehungen und deren Ursachen aus Kenntnis der russischen Interessen Auskunft geben.



USA-Sanktionen gegen Russland

Moskau wähnt politische Motive

Von Irina Wolkowa, Moskau *


Washington will Russland und zwölf Entwicklungsländer aus dem Verzeichnis der Staaten streichen, denen so genannte Generalpräferenzen gewährt werden: Diese betreffen die zollfreie Einfuhr bestimmter Waren in die USA. Offiziell wurde der Ausschluss mit mangelnder Bereitschaft begründet, den USA in Handelsfragen entgegenzukommen.

Russische Experten erwarten im Gefolge des USA-Beschlusses Verluste in Milliardenhöhe und vermuten politische Hintergründe. Zumal es sich dabei nicht um einen Einzelfall handelt. So waren unter den sieben Unternehmen, denen Washington kürzlich wegen Zusammenarbeit mit Iran für zunächst zwei Jahre den Zugang zum USA-Markt sperrte, zwei Schwergewichte der russischen Rüstungsindustrie: der staatliche Waffenexporteur Rosoboronexport und der Flugzeughersteller Suchoi. Der ließ durch Konzernsprecher Wadim Rasumowski verkünden, dass Suchoi in den letzten zehn Jahren gar keine Lieferungen nach Iran getätigt habe und dies vor Gericht auch beweisen könne. Der Konzern will durch Klage die Rücknahme der Sanktionen erreichen.

Russlands Exporte, so am Montag auch Verteidigungsminister Sergej Iwanow, hätten mit der Weitergabe von Massenvernichtungswaffen »nicht das Mindeste zu tun«. Es handele sich ausschließlich um Verteidigungswaffen, wie sie selbst NATO-Staaten an Iran verkaufen. Das Embargo müsse daher als unfreundlicher Akt gewertet werden und habe rein politische Hintergründe.

Washington, meint Ruslan Puchow, Direktor des Instituts für strategische Analysen, sei sauer aufgestoßen, dass Hugo Chávez mit dem Großeinkauf russischer Waffen das Embargo unterläuft, das die USA im Frühjahr gegen Venezuela verhängten. Zumal sich Moskau mit den Lieferungen auch den Zugang zu Washingtons vermeintlich angestammtem Interessengebiet verschafft.

Noch mehr, meint Puchow, dürfte die Bush-Regierung die russische Haltung zum Libanon-Krieg aufgebracht haben. Russland besteht auf sofortiger Waffenruhe und auf Einbeziehung Irans als Schutzmacht der Hisbollah in den Verhandlungsprozess. Davon wollen weder Israel noch dessen Paten in Washington etwas wissen. Nachdem Moskau am letzten Freitag von einer libanesischen Parlamentarier-Delegation um Vermittlung gebeten worden war, will er jetzt offenbar in die Offensive gehen: An der hiesigen Nachrichtenbörse heißt es, in den nächsten Tagen würden in Moskau jene libanesischen Regierungsmitglieder, die der Hisbollah angehören, zu Verhandlungen erwartet.

* Aus: Neues Deutschland, 10. August 2006


US-Rache für Russlands Waffengeschäft mit Venezuela

Mit seinen Handelssanktionen gegen russische Unternehmen schadet das US-Außenamt auch der eigener Wirtschaft Von Viktor Litowkin, RIA Novosti **

MOSKAU, 09. August. Die vom US-Außenamt gegen die russischen Unternehmen Rosoboronexport und Suchoi wegen deren Kooperation mit Iran verhängten Sanktionen haben mit dieser Kooperation nichts zu tun. Das ist nur der Anlass und nicht der Grund, meinen Militärexperten. Eine Tatsache genügt, um das zu bestätigen: Die Flugzeugbaufirma Suchoi hat seit sieben oder acht Jahren keine einzige Schraube an Teheran geliefert.

In Moskau wird die Ansicht vertreten, dass die eigentliche Ursache dieser Sanktionen die Rache für die drei Milliarden Dollar schweren Verträge über die militärtechnische Zusammenarbeit ist, die Russland mit Venezuela geschlossen hat. Außerdem sind diese Sanktionen ein weiteres Beispiel der unfairen Konkurrenz auf dem internationalen Waffenmarkt und eine Fortsetzung des unerklärten Handelskrieges, den die USA seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts gegen Russland führen. Das Jackson-Vanick-Amendment, das der US-Kongress Anfang der 70-er Jahre gegen Moskau beschlossen hat, weil die sowjetischen Juden bei der Ausreise nach Israel behindert wurden, bleibt weiterhin in Kraft. Dabei dürfen nicht nur die Juden, sondern auch Vertreter anderer Nationalitäten, die Russland besiedeln, seit mindestens 20 Jahren frei aus- bzw. wieder einreisen.

Dennoch schränkt diese rudimentäre Klausel bis zum heutigen Tag die amerikanischen Firmen beim Verkauf hochtechnologischer Ausrüstungen an Moskau. Zwar können russische Industriebetriebe und Forschungsinstitute HiTech-Ausrüstungen auch in anderen Ländern kaufen, die Tatsache aber, dass diese Handelseinschränkungen immer noch in Bezug auf ein Land gelten, das in Washington als "strategischer Partner" bezeichnet wird, ist beunruhigend - genauso wie die jüngsten Sanktionen des Außenamtes gegen Rosoboronexport und Suchoi.

Was die Suchoi-Leitung auch immer sagen mag - dies wird ein spürbarer Schlag für das Unternehmen sein. Zwar wirken sich diese Sanktionen in keiner Weise auf den Export von Suchoi-Jagdflugzeugen u. a. an Algerien, Indonesien und Venezuela aus, der mit mehr als zwei Milliarden Dollar im Jahr den Löwenanteil der Einnahmen der Gesellschaft ausmacht. Die nun auf Eis gelegte Kooperation mit Boeing, Hamilton Sundstrand, Honeywell und anderen US-Unternehmen, die sich an der Entwicklung der Suchoi-Mittelstreckenpassagiermaschine SuperJet-100 beteiligen, wird aber die Arbeit natürlich bremsen. Der für 2007 geplante Jungfernflug wird wohl ein oder zwei Jahre später stattfinden - das hängt davon ab, ob die russische Fluggesellschaft nach neuen Partnern suchen oder abwarten wird, bis es sich das US-Außenministerium anders überlegt.

Eine ähnliche Geschichte kann auch mit den Sanktionen gegen Rosoboronexport passieren. Dieses Unternehmen hat keine direkten Verträge mit den Vereinigten Staaten und ihren Firmen. Vor kurzem bekundete aber die US-Regierung ihr Interesse am Kauf von Schuss- und Spezialwaffen für die irakische Armee und Polizei bei Russland. Dieses Vorhaben hatte gewichtige Gründe. Die russischen Kalaschnikow-Maschinenpistolen wie auch Maschinengewehre und andere Rüstungen aus Russland genießen einen guten Ruf im Irak. Mehr noch: Diese Waffen sind dort auch gut bekannt, weil russische Kampftechnik in der Zeit des Saddam-Regimes im Rahmen langfristiger Verträge an den Irak geliefert wurde. Nun wird das Pentagon diese Waffen in Bulgarien, Rumänien oder Ägypten kaufen müssen.

Rosoboronexport und das mechanische Werk Ischewsk, aus dem diese Waffen stammen, werden zwar die versprochenen 200 Millionen Dollar verlieren, von den Waffen aber, die nicht in Russland gekauft werden, ist nicht die hohe Qualität zu erwarten, die die Urheberfirma garantieren würde.

Ein weiteres Problem für amerikanische Firmen sind Lieferungen von Titan aus dem Aluminiumwerk Werchnjaja Salda für Boeing. 30 bis 40 Prozent der Tragkonstruktionen in den Produkten der namhaften Firma werden nämlich aus dem Metall hergestellt, das von der russischen Gesellschaft WSMPO-Aviasma geliefert wird.

Der mehrjährige Vertrag zwischen Boeing und dem Betrieb in der Uralregion umfasst mehrere Milliarden Dollar. Geplant war sogar die Gründung eines Joint Ventures. Rosoboronexport soll aber demnächst ein Kontrollpaket der WSMPO-Aviasma-Aktien kaufen. Eine entsprechende Vereinbarung wird schon in den nächsten Tagen erwartet. Das US-Außenamt musste das wissen, weil über das bevorstehende Geschäft sowohl in russischen, als auch in amerikanischen Medien berichtet wurde. Nach der Verhängung der Sanktionen wird nun Boeing nach anderen Titan-Lieferern suchen müssen. Dieses Metall gibt es auf dem Weltmarkt nicht gerade in beliebiger Menge und auch die Qualität des Metalls aus Werchnaja Salda ist höher als bei anderen Herstellern. Wem wird nun die kurzsichtige Handelspolitik Washingtons mehr schaden?

Offensichtlich ist auch, dass Boeing nunmehr kaum mit Lieferungen eines großen Postens von Langstreckenmaschinen des Typs Boeing-787 an Russland rechnen kann. Aeroflot hatte nämlich vor, 22 Maschinen dieses Typs für drei Milliarden Dollar zu kaufen. Nun wird die russische Fluggesellschaft das Airbus-Produkt A-350 wählen müssen, das dem amerikanischen Erzeugnis in keiner Weise nachsteht und dieses bei der Anzahl der Passagierplätze und beim Komfort sogar übertrifft.

Eine weitere Folge des unerklärten Handelskrieges des Außenamtes und einiger konservativer Politiker in der US-Administration sowie im Kongress und im Senat gegen Russland wird wahrscheinlich auch darin bestehen, dass in der endgültigen Liste von Firmen, die zum Ausschreiben des russischen Shtokman-Gasvorkommens zugelassen werden, kaum amerikanische Firmen stehen werden. Dabei hätte eine Beteiligung an diesem Projekt Washington geholfen, die Abhängigkeit von Brennstofflieferungen aus dem Nahen Osten oder eben aus Venezuela zu verringern.

Washington braucht wohl noch etwas Zeit, um zu begreifen, dass sich die Welt schon seit langem nicht mehr um das Weiße Haus und den Capitolhügel dreht. Beliebige kurzsichtige Handlungen der Administration wie auch die kleinliche Rache an Russland für die militärtechnische Zusammenarbeit mit Venezuela richten sich im Endeffekt stets gegen ihre Initiatoren.

** Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 9. August 2006;
http://de.rian.ru



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