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Russland-USA: Obama vermasselt Neustart

2012 ein Jahr großer Erwartungen und noch größerer Enttäuschungen, schreibt die russische Zeitung "Kommersant" *

2012 war für die russisch-amerikanischen Beziehungen das Jahr der großen Erwartungen und einer noch größeren Enttäuschung, schreibt die Zeitung "Kommersant" am Freitag.

Die Hoffnung, dass US-Präsident Barack Obama im Falle seiner Wiederwahl ohne Rücksicht auf die Republikaner im Kongress handeln und die wichtigsten Probleme in den Beziehungen zu Russland vom Tisch räumen würde, ist geplatzt. Statt eines Neustarts scheint ein neuer Schlagabtausch zwischen Moskau und Washington zu beginnen.

„Wir beobachten gegenwärtig den Versuch zur Wiederbelebung der Sowjetunion in Osteuropa und Zentralasien. Das wird als Zollunion, Eurasische Union oder sonst wie bezeichnet. Wir kennen aber das wahre Ziel dieser Aktivitäten und werden unser Bestes tun, um diesen Prozess auszubremsen“, sagte nicht etwa der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney, der während des Wahlkampfes häufig Kritik am russischen Präsidenten Wladimir Putin für dessen Bemühungen um die Wiederherstellung der Machtstellung Russlands im postsowjetischen Raum geübt hatte. Diese Worte stammen von US-Außenministerin Hillary Clinton im Dezember, nur einen Monat nach der Präsidentschaftswahl. Dabei war sie diejenige gewesen, die vor drei Jahren mit ihrem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow in Moskau die symbolische „Reset“-Taste gedrückt hatte. Damals begann in den bilateralen Beziehungen eine Zeit des Tauwetters, von der mittlerweile nicht mehr die Rede sein kann.

Das scheidende Jahr stand für Moskau und Washington im Zeichen der US-Präsidentschaftswahl im November. Moskau unterstützte konsequent Obama und führte die Schwierigkeiten bei den Raketenabwehr-Verhandlungen und andere Probleme auf das Wahlrennen in Amerika zurück.

Nicht zuletzt wurden Hoffnungen auf Fortschritte bei einer Wiederwahl Obamas aus dessen Äußerung vom März in Seoul geschöpft. Damals hatte er seinem russischen Amtskollegen Dmitri Medwedew zu verstehen gegeben, dass er nach der Präsidentschaftswahl mehr Möglichkeiten für die Lösung des Raketenabwehrstreits haben würde.

Das ist allerdings nicht geschehen: Die US-Präsidentschaftswahl brachte nur eine gute Nachricht für die russisch-amerikanischen Beziehungen. Obama gewann gegen Romney, der bei einem Wahlerfolg wohl einen neuen Kalten Krieg begonnen hätte. Alle anderen Nachrichten aus Amerika waren negativ. So hat der US-Kongress das so genannte Magnitski-Gesetz verabschiedet, weshalb das russische Parlament im Gegenzug die Adoption von russischen Kindern durch US-Bürger verboten hat.

Eine weitere unangenehme Überraschung für Moskau war, dass Washington die syrische Opposition anerkannt hat.

Der russische Staatschef Putin warnte vor kurzem, dass er keine Einmischung in Russlands innere Angelegenheiten dulden würde, die Clinton beim jüngsten OSZE-Treffen in Dublin angedeutet hatte, als sie von der Vorbeugung der „Resowjetisierung“ Osteuropas und Zentralasiens sprach.

Auch immer mehr Russen sind nicht gut auf die USA zu sprechen – davon zeugt die jüngste Studie des soziologischen Forschungsinstituts Lewada-Zentrum. Im Herbst 2011 äußerten sich 67 Prozent eher positiv gegenüber Amerika. Jetzt sind es nur noch 46 Prozent.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, Freitag, 28. Dezember 2012


2012 im Rückblick: Warum Russland und USA nicht miteinander können

Wochenkolumne von Fjodor Lukjanow **

Noch vor einigen Wochen konnte sich kaum jemand vorstellen, dass das Jahr mit einer derartigen Zuspitzung in den russisch-amerikanischen Beziehungen endet.

Wegen der Präsidentschaftswahlen in Russland und den USA gingen viele Experten davon aus, dass beide Länder kaum in der Lage sind, für Entspannung zu sorgen. Doch im November beruhigte sich die Situation – der Kreml gratulierte Barack Obama zur Wiederwahl. Erst nachdem Obama das vom US-Kongress vorgelegte anti-russische Magnitski-Gesetz unterzeichnet hatte, nahmen die Spannungen zu.

Worauf ist die heftige Reaktion Moskaus auf den Magnitski-Akt zurückzuführen? Moskau reagierte asymmetrisch und bediente sich eines sensiblen Themas: Adoption. Das hängt mit zwei Gründen zusammen. Erstens ist das Magnitski-Gesetz sehr flexibel formuliert, im Grunde kann jede Person auf die schwarze Liste gesetzt werden. Laut Russland haben die USA eine rote Linie überschritten. In Russland hatte sich das Vorgehen der USA bis zur Reizgrenze angestaut. Das Magnitski-Gesetz – deutlich drastischer als das Jackson-Vanik Amendement - brachte das Fass schließlich zum Überlaufen.

Wladimir Putin ging bei außenpolitischen Fragen immer klassisch vor. Laut dem russischen Staatschef darf die staatliche Souveränität wegen der Gefahr einer Destabilisierung nicht in Frage gestellt werden. Zwischen inneren und äußeren Angelegenheiten müsse eine klare Grenze gezogen werden, um die strukturelle Stabilität der Welt nicht zu gefährden. Laut Putin zeigen die Ereignisse im 21. Jahrhundert, dass ein liberales Vorgehen bei den Menschenrechten und die Einmischung in innere Angelegenheiten der falsche Weg ist. Gemeint sind damit vor allem die USA. Wegen ihrer politischen Weltanschauung und Selbstidentität behalten die Amerikaner sich das Recht vor, die Situation in anderen Ländern zu beurteilen und sich in die inneren Angelegenheiten einzumischen. Weil die USA eine Supermacht mit weitgefächerten nationalen Interessen sind, sehen sie sich als moralische und ideologische Instanz, um weltweit ihre Interessen durchzusetzen. Es war immer so und wird so bleiben, solange die USA über ihren Status quo und über Ressourcen verfügen.

Das heutige Russland stellt die Vorbildrolle der USA in Frage. Die drastische Reaktion auf das Magnitski-Gesetz soll demonstrieren, dass sich Washington aus innenpolitischen Fragen heraushalten soll.

Für Putin ist die Welt gefährlich und unberechenbar. Angesichts der Globalisierung und der Kommunikationsnetze lösen sich die „Membranen“ auf, die die Staaten früher vor negativen Einwirkungen geschützt hatten. Dies ist unvermeidlich. Kreml-Chef Putin weiß genau, dass Isolationspolitik heute nicht mehr gefragt ist. Doch die Membranen müssen als Filter genutzt werden. Laut Putin haben Großmächte wie die USA entweder negative oder unvernünftige Absichten. Um sie eines Besseren zu belehren, müssen sie einen Dämpfer verpasst bekommen.

Diese Position Russlands ist auch mit den Wandlungen in den USA verbunden. Die USA wissen bereits selbst, dass sie die Last einer Hegemonialmacht nicht mehr allein tragen können. Bereits seit einiger Zeit wird darüber diskutiert, dass die USA ihre Führungsrolle mit anderen Ländern teilen sollen. Die traditionellen Verbündeten der USA kommen dabei nicht in Frage. Europa hat seine Ambitionen wegen der Krise begraben müssen. Die USA müssen sich also auf jemanden verlassen, der einen Beitrag leisten kann. Die USA sind dabei auf Russland angewiesen.

Putin will die Wandlungen nutzen, um das Verhaltensmodell der USA zu ändern. Russland ist zu einer gleichberechtigten Kooperation bereit, lehnt aber jegliche Einflüsse auf innere Prozesse konsequent ab. Die Zusammenarbeit beim Abzug der US-Truppen aus Afghanistan ist jedoch ein anderes Thema.

Bei der Einschätzung der Situation in den USA und in der Welt ist Putin nicht weit entfernt von der Wahrheit. Um politische Vergeltung zu üben ist das Adoptionsverbot jedoch das sensibelste Thema. Das Image eines Landes, das aus politischer Rache mit dem Schicksal von Waisenkindern spekuliert, ist schlimmer als der Ruf eines Aggressors, der Russland früher angehängt worden war. Auch in der russischen Machtelite regt sich Widerstand. Russlands Ruf als Staat, das sich an Abkommen hält, ist demoliert. Das Adoptionsabkommen mit den USA trat erst am 1. November in Kraft. Das Adoptionsverbot ist jedoch keine besonders wirksame Antwort auf das Magnitski-Gesetz. Die Verletzung der Rechte von potentiellen Adoptionseltern wird den USA nicht schaden.

Das Paradox besteht darin, dass die russisch-amerikanischen Beziehungen sich aus der Sicht der praktischen Interessen gut entwickeln. Bei der Syrien-Frage und bei den Nahost-Konflikten, bei der Raketenabwehr oder der Nato-Erweiterung geht es nicht um grundlegende Auseinandersetzungen. Bei Fragen wie dem Afghanistan-Transit, bei denen sich die Interessen der beiden Länder überschneiden, verhalten sich sowohl Washington als auch Moskau vorsichtig. In Bezug auf die Demokratie in Russland hält sich Obama zurück. Auch das Magnitski-Gesetz wurde in Wirklichkeit als Ersatz für das Jackson-Vanik Amendement verabschiedet.

Viele hofften, dass die Wiederwahl Obamas und die Rückkehr Putins in den Kreml die Möglichkeit schaffen, neue Beziehungen ohne Störfeuer aufzubauen. Bislang kann davon jedoch keine Rede sein.

** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, Freitag, 28. Dezember 2012


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