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Am weißen Band

Vor den Präsidentschaftswahlen in Rußland: USA stellen sich hinter Protestbewegung in Moskau. Putin sagt "politischer Ingenieurskunst" Washingtons den Kampf an

Von Rainer Rupp *

Die Vereinigten Staaten haben alles Recht der Welt, sich in die inneren Angelegenheiten Rußlands einzumischen.« Mit dieser Maxime unterstreicht Christopher Walker, ehemaliger hoher Mitarbeiter des State Departement und derzeit Vizechef von »Freedom House«, unmittelbar vor der russischen Präsidentschaftswahl am 4. März das »Naturrecht« seines Landes auf die Destabilisierung anderer Staaten. Das »Freiheitshaus« firmiert als Menschenrechtsorganisation und präsentiert sich nach außen als »unabhängige« Nichtregierungsorganisation (NGO), obwohl es gänzlich von der US-Regierung finanziert wird. Dennoch attestieren die Mainstreammedien dessen »Unabhängigkeit« und behaupten daß die Sorge der NGO angeblich der Förderung demokratischer Werte in aller Welt gilt – nur nicht in despotischen Vasallenstaaten Washingtons, z.B. Saudi-Arabien oder Bahrain.

Schlagworte wie Freiheit und Demokratie sind lediglich Instrumente des finanzstarken »Freedom House«, das zusammen mit einer Reihe anderer, hauptsächlich US-amerikanischer, aber auch europäischer »NGOs« dem westlichen Imperialismus dient. Diese Nichtregierungsorganisationen locken zumeist einheimische, politisch naive Jugendliche mit westlichem Lebensstil und Versprechungen, geben Anleitungen zur politischen Mobilisierung sowie zur Vorbereitung und Durchführung von Protestaktionen. Vor allem aber sorgen sie für deren Finanzierung. Weil es schon in vielen Ländern geklappt hat, soll es nun auch in Rußland versucht werden.

Da Präsidentschaftskandidat Wladimir Putin für eine härtere Gangart gegenüber den USA bekannt ist, sollte er offensichtlich noch vor seiner als gesichert geltenden Wahl am Sonntag durch eine gestärkte Opposition in seiner Position als Staatschef Rußlands maßgeblich geschwächt werden. So werden derzeit national und international Zweifel an der Rechtmäßigkeit seiner Wahl und des ganzen Systems, das ihn trägt, gesät. Im Internet kursieren Slogans, zum Beispiel: »Wie viele Monate wird sich Putin nach seiner Wahl im Amt halten können?«

Diese koordinierten Subversionsbemühungen begannen mit den vom Westen inspirierten Protesten gegen angeblich entscheidende Manipulationen bei den Parlamentswahlen am 4. Dezember 2011. Noch bevor die endgültigen Ergebnisse vorlagen und die Beobachter aus den OSZE-Staaten ihre Einschätzungen über den Wahlprozeß abgeben konnten, hatte das offizielle Washington seine längst vorbereitete Propagandaattacke bereits weltweit verbreitet.

US-Außenministerin Hillary Clinton persönlich mischte sich ein. Sie nutzte die Gelegenheit der internationalen Afghanistan-Konferenz in Bonn am 5. Dezember, um den angeblichen Wahlbetrug in Rußland heftig zu verurteilen und ihrer »tiefen Sorge« über den Zustand der russischen Demokratie und »die Rechte und Bestrebungen des russischen Volkes« Ausdruck zu verleihen. Im gleichen Atemzug adelte sie die lautstarken Moskauer Gruppen und Grüppchen unterschiedlichster Couleur als die einzig wahre, demokratische Opposition, als die echten Vertreter des russischen Volkes. Clinton sagte ihnen ihre Unterstützung zu.

Die russophoben Republikaner in Washington griffen das Thema dankbar auf. Der einflußreiche, erzreaktionäre US-Senator und frühere Präsidentschaftsanwärter John McCain ließ sich sogar dazu hinreißen, Putin mit einem ähnlichen Schicksal wie dem des ermordeten libyschen Obersts Muammar Al-Ghaddafi zu drohen, wenn erst einmal der Funken des arabischen Frühlings auf Rußland überspringe.

Von russischen Medien auf McCains Drohung angesprochen verwies Putin auf das viele Blut vietnamesischer Zivilisten an den Händen des früheren US-Bomberpiloten. Dessen Verhalten erklärte er damit, daß McCain jahrelang in einem Erdloch in der Nähe von Hanoi gefangengehalten worden war. »Dabei muß man ja verrückt werden«, so Putin. US-Außenministerin Clinton wiederum beschuldigte er, hinter der Protestbewegung in Moskau zu stecken. Ähnlich wie bei anderen vom Westen protegierten »Farbenrevolutionen« – etwa in den ehemaligen Sowjetrepubliken Georgien, Ukraine und Kirgisien – kennzeichnen sich auch die prowestlichen Gruppen in Rußland, in diesem Fall mit weißen Bändern oder Schals.

Putin hielt Clinton vor, den russischen »Aktivisten der Opposition den Ton vorgegeben« zu haben. Die Aktivisten hätten das Signal »gehört und ihre Söldnerarbeit begonnen, … die einem wohlbekannten Szenario folgt«. Der Premier deutete auch an, der russische Geheimdienst habe Beweise gefunden, daß die Moskauer Proteste mit »ausländischem Geld« finanziert werden. Er kündigte an, nach den Präsidentschaftswahlen würden alle, die für Regierungen anderer Länder gearbeitet haben, um mit deren Geld die russische Politik zu beeinflussen, zur Verantwortung gezogen.

In seinem in dieser Woche in der Moskowskije Nowosti veröffentlichten Aufsatz »Rußland und die Welt im Wandel« konstatierte Putin: »In den letzten Jahren wurde viel für die Entwicklung der russisch-amerikanischen Beziehungen unternommen. Doch es wurde bislang nicht geschafft, die Frage des grundlegenden Wandels dieser Beziehungen zu lösen.« Es gebe nach wie vor »Ebbe und Flut«. Und schließlich: »Die regelmäßigen Versuche der USA, sich mit der politischen Ingenieurskunst zu beschäftigen (darunter in den für Rußland traditionell wichtigen Regionen und auch während der Wahlkampagnen in Rußland), fördern nicht die Stärkung des gegenseitigen Verständnisses.«

* Aus: junge Welt, 2. März 2012


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