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Der Favorit gab sich ausgeschlafen

Russlands Doppelspitze Medwedjew-Putin nahm den Wahltag locker / Fälschungsvorwürfe machten bereits am Sonntag die Runde

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Über 100 Millionen Russen waren am gestrigen Sonntag (4. März) aufgerufen, einen neuen Präsidenten zu wählen.

Es sei, so einer der fünf Bewerber - Sergei Mironow, der Chef der Mitte-Links-Partei »Gerechtes Russland« - eine Wahl zwischen fünf Alternativen. Zwei davon, gemeint waren KP-Chef Gennadi Sjuganow und der Nationalist Wladimir Schirinowski, seien rückwärts gewandt, der Multimilliardär Michail Prochorow stehe für Turbokapitalismus und er, Mironow, für soziale Gerechtigkeit. Wofür Wladimir Putin steht, sagte Mironow nicht.

Der amtierende Präsident Dmitri Medwedjew und Ehegattin Swetlana - blauer Tuchmantel und sehr breite Nerzkragen - stimmten in einem Wahllokal im Moskauer Westen nahe ihrer Residenz ab, scheiterten aber an den Tücken des elektronischen Terminals. Die Stimmabgabe klappte erst beim zweiten Versuch, Medwedjew blieb dennoch locker. Ebenso Regierungschef Wladimir Putin, der zusammen mit Ehefrau Ludmila an die Urne ging, anders als bei bisherigen Wahlen aber erst am späteren Vormittag. Er habe sich ausgeschlafen, sagte er den zahlreich erschienenen Journalisten.

Moderne Technik hielt auch in den anderen etwa 99 000 Wahllokal Einzug. Fast alle waren mit jeweils zwei Webcams ausgerüstet, die ihre Bilder über das Internet übertragen. Eine verfolgt die Ausgabe der Stimmzettel und später das Auszählen. Eine zweite hält die Stimmabgabe fest. Das Projekt, das Putin nach Fälschungsvorwürfen bei den Parlamentswahlen vor zwei Monaten auf den Weg brachte, kostete den Steuerzahler rund 13 Milliarden Rubel, etwa 330 Millionen Euro. Ein Drittel der Wahlurnen war zudem aus Glas.

Die Opposition ist dennoch unzufrieden. Die Bildqualität, so KP-Chef und Präsidentschaftskandidat Gennadi Sjuganow, sei schlecht, oft hätten Amtspersonen das Geschehen mit dem Rücken verdeckt. Dazu kommt, dass die Webcams nur Bild, keinen Ton senden können. Auch befürchten Regimekritiker, dass die meisten Fälschungen nicht bei der eigentlichen Stimmabgabe durch Einwurf zusätzlicher Stimmzettel passieren, sondern bei der Übermittlung der Abstimmungsergebnisse. Die meisten Mitglieder der Wahlkommission sind Lehrer und staatliche Angestellte. Auch stehen die Verwaltungschefs der Regionen offenbar unter massivem Druck. Mehrere Provinzfürsten, in deren Regionen die Regierungspartei »Einiges Russland« bei den Parlamentswahlen Ergebnisse erzielte, die unter dem Landesdurchschnitt lagen, wurden in den letzten Wochen von Medwedew entlassen.

Umfragen ergaben, dass die meisten Russen den Tag nach der Wahl für bedeutsamer halten als den der Abstimmung selbst. Die außerparlamentarische Opposition plant für den heutigen Abend im Zentrum von Moskau eine neue große Protestkundgebung. Angemeldet sind 10 000 Teilnehmer.

* Aus: neues deutschland, 5. März 2012

Das Ergebnis: 63 Prozent

Der russische Regierungschef Wladimir Putin hat die Präsidentenwahl wie vorhergesehen klar gewonnen. Putin liege bei 63,4 Prozent der Stimmen, teilte die Wahlkommission in Moskau nach Auszählung von 30 Prozent der abgegebenen Stimmen mit. Damit sicherte sich der 59-Jährige trotz beispielloser Proteste gegen ihn eine dritte Amtszeit als Präsident.

Putins Herausforderer von der Kommunistischen Partei, Gennadi Sjuganow, kam den Angaben zufolge mit 17,2 Prozent auf den zweiten Platz. Sjuganow bezeichnete die Wahl in einer ersten Reaktion im staatlichen Fernsehen als "gefälscht" und "absolut unfair". Weiter abgeschlagen waren der Milliardär Michail Prochorow mit 7,3 Prozent, der Nationalist Wladimir Schirinowski mit 7,2 Prozent und der frühere Vorsitzende des Föderationsrates, Sergej Mironow, mit 3,7 Prozent.

"Wir haben in einem offenen und ehrlichen Kampf gewonnen", sagte Putin am Abend vor mehr als 110.000 Anhängern auf einem Platz nahe des Kreml. An seiner Seite stand Noch-Präsident Dmitri Medwedew, der Putin nun als Ministerpräsident nachfolgen soll.

In Moskau protestierten laut Polizei rund 14.000 Menschen gegen das Wahlergebnis und riefen "Russland Ja! Putin Nein!". Führende Oppositionelle forderten eine Annullierung der Wahl. Der bekannte Aktivist Alexej Nawalni rief die Menschen zu zivilem Ungehorsam auf. Die Veranstalter sprachen von bis zu 20.000 Demonstranten.

Bei nicht genehmigten Protesten vor der Wahlkommission gab es nach Angaben der Opposition rund 100 Festnahmen, die Polizei sprach von 50 Festgesetzten. Einer AFP-Reporterin zufolge wurden auch in St. Petersburg etwa 100 Demonstranten festgenommen. Proteste gab es auch in Nischni Nowgorod. An den Protesten in St. Petersburg beteiligten sich rund 1500 Gegner Putins.

Quelle: Nachrichtenagenturen, 5. März 2012




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