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Putin demonstriert Stärke

Fast 64 Prozent für den Favoriten / KP-Chef Sjuganow protestiert

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Mit dem zweitbesten Wahlergebnis seiner Karriere tritt Premier Putin seine Rückkehr in den Kreml an. Doch dieser von Betrugsvorwürfen überschattete Sieg mit knapp 64 Prozent der Stimmen bedeutet kein einfaches Regieren.

Bei Protesten gegen den neuen russischen Präsidenten Wladimir Putin sind in Moskau nach Angaben der Opposition mindestens 100 Regierungsgegner festgenommen worden. Nach Behördenangaben demonstrierten etwa 14 000 Menschen friedlich gegen das von Fälschungsvorwürfen überschattete Ergebnis der Präsidentenwahl vom Vortag.

»Ich hatte euch versprochen, dass wir siegen werden. Wir haben gesiegt. In offenem und ehrlichem Kampf«, hatten Putin und der scheidende Präsident Dmitri Medwedjew am Sonntagabend auf dem kremlnahen Manegeplatz in Moskau etwa 100 000 Anhängern zugerufen. Diese skandierten »Putin, Putin«. Tränen liefen Putin über das Gesicht, als er seinem Fanclub für die Unterstützung dankte. Die Abstimmung sei ein wichtiger Test für politische Reife und Unabhängigkeit gewesen. Russland und die Russen würden sich keine Szenarios von außen aufzwingen lassen. Ein Wink mit dem Zaunpfahl Richtung USA. Putin hatte sie im Wahlkampf beschuldigt, die Massenproteste nach den angeblich manipulierten Parlamentswahlen im Dezember gesponsert zu haben. »Jeder von uns«, so auch Medwedjew am Sonntagabend, »braucht diesen Sieg, damit Russland stärker und moderner wird.«

Zwar waren zu diesem Zeitpunkt erst 30 Prozent aller Stimmen ausgezählt. Doch der Trend stimmte, wie das vorläufige Ergebnis zeigt, das die Zentrale Wahlkommission gestern Vormittag bekanntgab, nachdem 99,3 Prozent der Stimmen ausgezählt waren. Demzufolge sammelte Putin 63,75 Prozent ein. Für den Zweitplatzierten - KP-Chef Gen- nadi Sjuganow - stimmten 17,19 Prozent. Dritter wurde der Multimilliardär Michail Prochorow mit 7,82 Prozent. Auf Platz vier landete der Nationalist Wladimir Shirinowski mit 6,24 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei 65,3 Prozent.

Putins Ergebnis ist damit sogar besser als bei seiner Wahl 2000, aber um fünf Prozent schlechter als bei seiner Bestätigung vier Jahre später. Am schlechtesten schnitt er in den Hochburgen der Protestbewegung ab. In Moskau fuhr er nur rund 47 Prozent ein, auch in seiner Heimatstadt St. Petersburg mit 58 Prozent ein unterdurchschnittliches Ergebnis.

Experten ließ vor allem aufhorchen, dass die Differenz zwischen den Exit polls - Befragungen der Wähler unmittelbar nach der Stimmabgabe - und dem realen Ergebnis unter drei Prozent und damit innerhalb der Toleranzgrenze für nicht manipulierte Ergebnisse lag. Eben diesen Indikator hatte Russland bei früheren Abstimmungen stets verfehlt. Die Wahl am Sonntag, lobte daher auch Putins Wahlkampfchef, der Filmregisseur Stanislaw Goworuchin, sei die sauberste in der jüngsten Geschichte Russlands gewesen. Dafür spricht aus Sicht von kritischen Beobachtern - darunter Altpräsident Michail Gorbatschow - auch, dass die Abstimmung in mehreren Bezirken von Dagestan wegen massenhaftem Einwurfs bereits ausgefüllter Stimmzettel zugunsten Putins für ungültig erklärt wurde. Die Opposition macht dennoch mobil. Ihm, so KP-Chef Sjuganow, seien »mehrere Millionen Stimmen geklaut worden«. Das Wahlergebnis sei illegitim.

Deutschland setzt nach der Rückkehr von Putin in den Kreml auch in Zukunft auf eine enge Zusammenarbeit. Bundeskanzlerin Angela Merkel bot am Montag trotz Kritik am Ablauf der Wahl eine Weiterentwicklung der »strategischen Partnerschaft« an.

* Aus: neues deutschland, 6. März 2012

Moskauer Sisyphos

Von Roland Etzel **

Es ist bei der russischen Präsidentenwahl alles gekommen wie vorhergesagt. Hier ein ungefährdeter Sieger, da eine Handvoll misslauniger Unterlegener, von denen keiner je den Status eines Herausforderers für Putin erreichte. Zwar meldeten die Beobachter Tausende von Unkorrektheiten, doch bestreitet nicht einmal Putin, dass in den Weiten des Landes nicht alles mit rechten Dingen zuging.

Es wird also einige exemplarische Strafen geben, dann kommt die Tagesordnung. Sie droht geradezu. Denn sie - nicht der Spaziergang zurück in den Kreml - ist Putins eigentliche Herausforderung. Russland bedarf - vorsichtig ausgedrückt - dringend einer Revolutionierung seiner Wirtschaftsstruktur. Die jetzige ist noch immer die eines atomar hochgerüsteten, fast allein vom Rohstoffexport lebenden Agrarstaates. Ausnahmslos alle Vorgänger Putins sind an dieser Sisyphosaufgabe gescheitert. Im Unterschied zu dem alten Korinther hat Russland bzw. sein Präsident aber noch weitere Steine zu rollen. Genannt seien nur die Konflikte im Kaukasus, die bei anhaltender Nichtlösung geeignet sind, die russische Staatlichkeit in Frage zu stellen.

Manche im Westen zeigen sich nach Putins Sieg allerdings merkwürdig schizophren. Sie können nur schwer akzeptieren, dass sich das Zeitfenster des Ausverkaufs russischer Interessen wie zur Jelzin-Zeit nunmehr fest geschlossen hat. Andererseits sind sie gewiss froh, in Putin einen berechenbaren Partner zu haben. Nur öffentlich eingestehen wollen sie das nicht.

** Aus: neues deutschland, 6. März 2012 (Kommentar)


Ein Militärkarussell und vier blinde Kamerastunden

Die Tscheljabinskerin Natalja Mironowa hat beim Abstimmungsprocedere in ihrer Heimatstadt sehr genau hingeschaut

Von Bernhard Clasen ***

Die russische Präsidentenwahl hatte zahlreiche internationale Beobachter angezogen. Aber auch aus Russland hatten es sich so viele Personen wie noch nie zur Aufgabe gemacht, die Rechtsgültigkeit des Wahlablaufs zu überprüfen. Eine von ihnen ist Natalja Mironowa.

Natalja Mironowa ist Mitglied der Partei »Jabloko«, die sich selbst als liberal bezeichnet. Im September hatte sie für ihre Partei bei den Duma-Wahlen kandidiert. Selbst gewählt hat sie am Sonntag in Tscheljabinsk, einer Millionenstadt im Ural. Dort hat sie Beobachtungen gemacht, die ihr merkwürdig vorkamen.

» Vor dem Wahllokal waren mir Soldaten aufgefallen, die in Reih' und Glied aufgestellt waren und auf irgendetwas zu warten schienen. Beim Verlassen des Wahllokales 25 Minuten später standen sie immer noch da, schienen immer noch auf etwas zu warten. Ich fürchte, ich habe ein sogenanntes Militärkarussell beobachtet, bevor es den Weg in mehrere Wahllokale antrat, wo die Soldaten dann an einem Tag ihre Stimmen mehrfach abgaben.« Soldaten, so begründet sie ihre Vermutung, stünden für die wohl am wenigsten freie Gesellschaftsschicht in Russland. Sie täten auch in diesem Falle, was man ihnen befehle.

In Mironowas Wahllokal, berichtet sie am Telefon, habe eine Wahlbeobachterin der Putin-Partei »Einiges Russland« an einem Tisch gesessen und entspannt Zeitung gelesen. Wo denn die Wahlbeobachter der anderen Präsidentschaftskandidaten seien, habe sie sie gefragt. »Nun«, erwiderte die Frau, »der von der Partei Gerechtes Russland bestimmte Wahlbeobachter wird jeden Augenblick da sein, der Wahlbeobachter von Prochorow ist auf dem Weg in ein anderes Wahllokal. Der kommunistische Wahlbeobachter sei gerade aus dem Raum gegangen, und was mit dem Wahlbeobachter von Shirinowski sei, kann ich nicht sagen.« Meine Frage, ob alle Wahllokale im Gebiet Tscheljabinsk mit Web-Kameras ausgerüstet gewesen seien, verneint sie.

Mironowa machte darauf aufmerksam, dass die Videokameras bereits am Vorabend der Wahlen, um 20 Uhr, eingeschaltet werden sollten. »Doch ungefähr in der Hälfte der Wahllokale unseres Gebietes, so musste ich feststellen, waren die Kameras am 3. März abends noch nicht eingeschaltet.«

Die Tscheljabinskerin hat sich intensiv mit Web-Kameras beschäftigt. Die Wahlordnung sah in jedem Lokal zwei Kameras vor; eine sollte die Kommission filmen, die andere die Wahlurne. »Doch in ungefähr der Hälfte der Wahllokale im Gebiet Tscheljabinsk, die ich online besuchte, gab es nur eine Web-Kamera. Und diese war dann so montiert, dass Kommission und Wahlurne in ein Bild passten. Dabei war allerdings die Entfernung zu Kommission und Wahlurne so groß, dass man ein rechtswidriges Einwerfen von Stimmzetteln online nicht bemerkt hätte.«

Eine weitere Anforderung an die Wahlurnen war, dass sie durchsichtig sein mussten. In Tscheljabinsk seien sie das auch gewesen; aber in den Städten Osersk, Trechgornij, Sneshinsk und Kasli sowie der Ortschaft Mauk eben nicht. Dies erschwere natürlich eine Online-Kontrolle.

»Meine Kollegin«, so Mironowa weiter, »besuchte ihr Wahllokal bereits um 7.45 Uhr online, also eine Viertelstunde vor der Öffnung für die Wähler. Und sie entdeckte zu diesem Zeitpunkt schon Stimmzettel in der Urne. Sie zeichnete das elektronisch auf, schickte eine Beschwerde an die Wahlkommission und veröffentlichte ihre Bilder auf Youtube. Als die Wahlkommission am Abend 30 Verstöße meldete, fand sich die Beschwerde meiner Kollegin aber nicht darunter.«

Nach Schließung der Wahllokale am Sonntag um 20 Uhr, so hat Mironowa in ihrem Monitoring-Report festgehalten, seien die Kameras mehr als vier Stunden lang ausgeschaltet gewesen. Was in dieser Zeit geschah, wisse sie nicht.

Mironowa hatte offenbar wenig Hoffnung auf einen völlig korrekten Wahlablauf. »Informell habe ich im Vorfeld der Wahlen erfahren, dass die Verwaltung des Gebietes Tscheljabinsk die Anweisung hatte, 62 Prozent der Stimmen für Putin sicherzustellen. Nun, man hat sich angestrengt, und so wurden sogar 68 Prozent der Stimmen für Putin gezählt«, resümiert sie.

*** Aus: neues deutschland, 6. März 2012


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