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Gasverträge in Zeiten der Ukrainekrise

Russland und China schließen Vereinbarung über 400 Milliarden US-Dollar / Lieferung soll in vier Jahren beginnen

Von Axel Eichholz, Moskau *

Nach langen Verhandlungen haben sich Moskau und Peking auf einen neuen Gasvertrag geeinigt. Der Abschluss hat mit der Krise in der Ukraine zu tun.

Der Jahrhundertvertrag ist unterzeichnet. Ab 2018 sollen jedes Jahr 38 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Ostsibirien nach China durch eine Rohrleitung, die noch gebaut werden muss, gepumpt werden. 30 Jahre lang, der Gesamtwert beträgt 400 Milliarden US-Dollar (292 Milliarden Euro). Der größte Gasvertrag in der russischen und sowjetischen Geschichte wurde von den Chefs der Staatskonzerne Gasprom und CNPC in Anwesenheit der Staatschefs Wladimir Putin und Xi Jinping unterzeichnet.

Es handle sich um das weltweit größte Bauvorhaben der kommenden vier Jahre, sagte Putin. Auf russischer Seite müssen die neuen Gasfelder Kowykta und Tschajanda ausgebaut werden. Die Vorkommen enthielten zusammengenommen drei Billionen Kubikmeter Gas, so der Präsident. Das reiche garantiert für Russlands eigenen Bedarf und den Export für noch mindestens 50 Jahre. Der Investitionsumfang wird allein auf der russischen Seite auf 50 Milliarden Dollar geschätzt.

Gasprom und CNPC hatten über den Vertragsabschluss seit Jahren verhandelt. Noch in dieser Woche wurde um den Preis gefeilscht. Die Chinesen hatten Zeit, während Putin vor dem Hintergrund der Ukrainekrise einen Abnehmer im Osten brauchte, falls die Europäer russisches Gas durch alternative Lieferungen ersetzen wollen. Die Gespräche kamen erst vom Fleck, als Putin versprach, die Steuer für die Förderung von Bodenschätzen abzuschaffen. Xi erwiderte die Geste. In der Volksrepublik wird die Importsteuer für Erdgas gestrichen.

Irgendwo musste aber der Wurm drin sein, denn Gasprom-Chef Alexej Miller weigerte sich, den ausgehandelten Preis zu nennen. Dies sei ein Geschäftsgeheimnis. Medien nahmen einfach die 400 Milliarden US-Dollar sowie die Laufzeit von 30 Jahren und 38 Milliarden Kubikmeter jährlich und kamen auf 350 Dollar pro 1000 Kubikmeter Gas. Bei Gasprom hieß es, es sei in Wirklichkeit »ein bisschen mehr«. Experten meinten, es sei eher »ein bisschen weniger«. Also entspricht der chinesische Preis etwa dem für Europa. Von Kiew verlangt Gasprom 485 Dollar. Das wichtigste sei nicht der momentane Preis, sagte Miller. Demnächst sollen Verhandlungen mit China über Lieferungen von denselben Gasfeldern, die auch Europa mit Gas nährten, geführt werden.

Der frühere Vizechef der russischen Zentralbank Sergej Alexaschenko schrieb in einer ersten Reaktion, beim Nachrechnen kämen ihm Tränen in die Augen. Der Preis von 350 Dollar an der russisch-chinesischen Grenze decke nicht einmal die zu erwartenden Selbstkosten des Projekts. Diese würden von Gasprom mit 360 bis 400 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter angegeben.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 23. Mai 2014


Eine Option verloren

Moskau und das Schanghai-Abkommen

Von Klaus Fischer **


Moskau und Peking haben Washington eine Nase gedreht. Und Brüssel eins draufgegeben. Könnte man meinen. Mit dem am Dienstag in Schanghai vereinbarten langfristigen Liefervertrag von Energieträgern scheint Präsident Wladimir Putin den Westen geschickt ausmanövriert zu haben – einen Westen, der sich von Beschimpfungen über »Bestrafungen« bis zu Kriegsphantasien derzeit am alten Lieblingsfeind abarbeitet. Jegliche Wirtschaftssanktion aus Deutschland oder anderen weniger mächtigen EU-Staaten sieht indes klein aus, sollte sich die Russische Föderation mit der Weltindustriemacht China innig verbünden. Warum wirkt das Lächeln Putins dann so aufgesetzt, wenn er die Vereinbarungen lobt?

Bei seiner Rede auf dem Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg sparte der Präsident nicht mit Hinweisen – sowohl was seine Freude, als auch was seine Sorgen betrifft. Zunächst versetzte er den EU-Lenkern einen Schreck. Der Deal mit China sei so gewaltig, daß er auch Auswirkungen auf das globale Geschäft habe, faßte Putin diverse Äußerungen seiner Mitstreiter zusammen. Wie meinte er das?

Knapp übersetzt per Adresse Brüssel: Erst wollt ihr euch die Ukraine schnappen. Dann seid ihr sauer, wenn wir unsere Interessen schützen, laßt euch von Washington zu Sanktionen nötigen. Und jetzt sind die Fäkalien in den Ventilator geraten. Alles, was ihr erreicht habt, ist, uns in die Arme der Mao-Erben zu drängen. Die haben wie gewohnt reagiert – so wie sie vom Iran zu Billigkonditionen das Öl kaufen konnten, als die Bekloppten dieser Welt in der UN und anderswo »Boykott« schrien. Diese Verluste wird euch Rußland künftig auf den Gaspreis aufschlagen. Ansonsten könnt ihr gerne in den USA kaufen – dem Hort der Menschenrechte.

Was wie ein Sieg aussieht, ist faktisch eine Niederlage. Für Moskau, weil es seine Balance zwischen EU und China aufgeben mußte. Die schwebende Option, Konzern-Europa zu mehr Kooperation zu animieren, wenn ja auch Peking als potenter Partner bereitsteht, ist verloren. Schlimmer noch sieht es für Gaga-Europa aus. Aus ideologischer Verblendung und schierer historischer Blödheit hat Brüssel bei Übernahme der Kosten einer Krise erneut am lautesten »hier« geschrien. Nicht nur noch höhere Energiepreise werden Folge des Van-Rompuy-Barroso-Merkel-­Hollande-Dilettantismus sein. Auch die ewig Gestrigen, die Kriegstreiber – ja, Herr Außenminister – und die potentiellen Profiteure einer verstärkten Militarisierung haben wieder Aufwind.

Rußland ist ein wichtiger und wesentlicher Teil Europas. Wer es nach Asien drängen will, stellt nicht nur seine Dummheit heraus, sondern verurteilt den ganzen Kontinent dazu, weiter als Protektorat Washingtons zu verwelken.

** Aus: junge Welt, Samstag, 24. Mai 2014 (Kommentar)


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