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"Nie zur Elite gehört"

Fernsehdokumentarfilm illustriert Wladimir Putins Selbstdarstellung

Von Reinhard Lauterbach *

Das erste Programm des russischen Fernsehens hat am vergangenen Sonntag einen zweieinhalb Stunden langen Film über Wladimir Putin ausgestrahlt. Das Dokumentarepos in Überlänge war formal dem 15. Jubiläum der erstmaligen Wahl Putins zum russischen Präsidenten gewidmet. Dass es hier vorgestellt wird, liegt daran, dass es die Selbstdarstellung des Putin von 2015 beleuchtet – und damit Rückschlüsse auf die aktuelle innenpolitische Situation in Russland erlaubt.

Der Film beginnt mit Bildern aus dem Jahr 1999, als Putin von Präsident Boris Jelzin zum Nachfolger designiert wurde. Gerade hatte Russland einen Staatsbankrott hinter sich, die Ersparnisse der Bevölkerung waren nach dem Ende der Sowjetunion ein zweites Mal entwertet worden, die Wirtschaft lag am Boden, und der Zerfall des russischen Staates schien in den Bereich des Möglichen zu rücken. Vor allem letzterer Aspekt wird in dramatischen Bildern immer wieder beschworen: Terroranschläge, der mit schwerer Zunge seinen Abschied verkündende Jelzin und sein agiler Nachfolger, Putin. Der scheint bei einer Besprechung mit Offizieren in Tschetschenien erst das Glas zu heben, bremst dann aber die Herren Militärs, als die gerade aufstehen und routiniert ihre 100 Gramm kippen wollen. Nach längeren Ausführungen über die Notwendigkeit, das Land aus akuter Gefahr zu retten, lässt er die Offiziere die Gläser wieder hinstellen und verlangt einen Schwur: Wir trinken, wenn wir gesiegt haben. Dass Putins erste Amtshandlung eine Amnestie für die Jelzin vorgeworfene Korruption war, wird verschwiegen.

In die Dokumentarszenen hineingeschnitten sind Statements von Weggefährten Putins – Opponenten sind nicht darunter – und längere Passagen aus einem aktuellen Interview des Fernsehmoderators Wladimir Solowjow mit dem Präsidenten. Es wurde geführt in einem leeren Prunksaal mit vergoldeten Wänden, Putin sitzt in einem vergoldeten Sessel, der Interviewer respektvolle fünf Meter entfernt. In der Eingangssequenz sieht man eine Frau, die zu Füßen von Putins Sessel kniet – wahrscheinlich die Technikerin, die sein Mikrophon anschließt.

Auch er als ehemaliger Aufklärer habe erwartet, dass der Westen Russland gleichberechtigt aufnehmen werde, wenn das Land erst einmal die »ideologische Barriere«, als die er den Sozialismus bezeichnet, aufgegeben haben würde, sagt Putin. Leider sei es nicht so gekommen. »Sie mögen uns dann, wenn wir am Boden liegen. Dann schicken sie uns Kartoffeln.« Aber Russland sei ein großes Land und habe zwangsläufig geopolitische Interessen, für die es Respekt und Berücksichtigung erwarten dürfe. Zur Übernahme der Krim bestreitet Putin, dass strategische Überlegungen zur Zukunft des Flottenstützpunktes Sewastopol die Entscheidung für die Intervention ausgelöst hätten. Es sei ihm um die Menschen auf der Krim gegangen – und, ein anderer Zungenschlag, um historische Gerechtigkeit, die die Fehlentscheidung der Übergabe der Krim an die Ukraine 1954 rückgängig gemacht habe. Die aktuellen Sanktionen seien ein Teil des seit Jahrhunderten andauernden Bestrebens des Auslands, Russland in seiner Entwicklung zu hemmen. Historisch exakt ist das nicht. Es war das Zarenreich selbst, das sich nur widerwillig modernisierte, weil das die Abschaffung der Leibeigenschaft bedeutet und die absolutistische Herrschaft bedroht hätte.

Aber gegen das Zarenreich hört man kein böses Wort. Statt dessen zeigt der Film Putin, wie er den »weißen« Bürgerkriegsgeneral Alexander Denikin mit Ehren in Moskau bestatten lässt; man sieht ihn, wie er Waldbrandopfern neue Häuser verspricht und Proteste gegen örtliche Politiker beschwichtigt – ganz der »gute Zar« und die »bösen Bojaren«. Man sieht viele Putin zujubelnde Bürger und einen Polizeieinsatz gegen eine Protestdemonstration der liberalen Opposition. Botschaft: Die Mittelschicht sei gewarnt, Pardon wird nicht gegeben. Gruselig eine Sequenz ganz zum Schluss, wo die Witwen der Angehörigen einer in Tschetschenien in einem Hinterhalt aufgeriebenen russischen Einheit Putins Fürsorge rühmen. Soll da der Bevölkerung signalisiert werden, dass solche Situationen wieder möglich sind?

Was soll man schließlich dazu sagen, dass Putin inmitten der Goldfurniere des Kremls sagt, er habe nie zur Elite gehört und sei froh darum, ein Ohr für die Sorgen der Menschen bewahrt zu haben? Und dazu, dass ein Mönch vom Athos-Kloster in Griechenland die Geschichte erzählt, wie bei einem Besuch Putins ein Esel vor seinem Auto hergelaufen sei – fast wie beim Einzug Christi in Jerusalem? Der Segen des orthodoxen Patriarchen Kyrill I. für den Politiker, der die Macht »wie ein Kreuz« trage, durfte zum Schluss auch nicht fehlen.

* Aus: junge Welt, Samstag, 2. Mai 2015


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