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Moskaus rote Linien

Tolle Strategie: Brüssel verschärft die Sanktionen gegen Rußland und reexportiert munter russisches Gas in die Ukraine. Jetzt kommt davon weniger im Westen an

Von Rainer Rupp *

Mit Wirkung vom Freitag hat die EU ihre Sanktionen gegen Rußland verschärft. Eine kalkulierte Provokation, ungeachtet des anhaltenden Waffenstillstandes in der Ostukraine und ohne Rücksicht auf die eigenen Schwächen. Noch am selben Tag warf das Außenministerium in Moskau der EU vor, sich »effektiv gegen den Friedensprozeß in der Ukraine entschieden« zu haben. EU-Botschafter Wladimir Tschischow erklärte, die EU-Sanktionen entbehrten jeder Logik, und sie ließen Moskau keine andere Wahl, »als Gegenmaßnahmen zu ergreifen«. Tschischow schloß seine Erklärung mit dem Appell: »Geben Sie dem Frieden endlich eine Chance!«

Die neuen Strafmaßnahmen sollen vor allem die drei großen staatlichen Ölkonzerne des Landes treffen: Rosneft, Transneft sowie die Ölsparte von Gasprom, Gaspromneft. Der Erdgassektor wird jedoch von den EU-Strategen weiterhin ausgeklammert. Möglicherweise glauben sie, auf diese Weise dem Kreml keinen Vorwand zu liefern, seinerseits die Gaslieferungen zu kürzen. Polen meldete bereits am Mittwoch, daß am Dienstag etwa ein Viertel weniger Gas durch die Pipelines gekommen sei als bestellt. Seither seien die Liefermengen noch weiter zurückgegangen.

Auch E.on verkündete laut Handelsblatt, daß man »deutlich weniger Gas aus Rußland bekommen« habe. Gerade werde geprüft, »ob die Reduzierung der Lieferungen technische oder handelsbezogene Gründe« habe, so das Blatt. Hingegen würden aus Tschechien, das sich innerhalb des EU-Rats gegen weiter Sanktionen ausgesprochen hatte, keine Lieferreduzierungen gemeldet. Nun fragt das Handelsblatt besorgt, ob auch Deutschland bald der Hahn zugedreht wird.

Polen bezieht fast 80 Prozent seines Bedarfs über Pipelines durch Belarus und die Ukraine. Westliche Medien gehen davon aus, daß die Drosselung der Lieferungen mit der Verschärfung der EU-Sanktionen im Zusammenhang steht und an Warschau ein Exempel für andere osteuropäische EU-Staaten statuiert werden soll. Immerhin hatte sich Polens Regierung von Anfang an beim Putsch gegen die gewählte Regierung in der Ukraine als Scharfmacherin hervorgetan und hat seither in den EU-Gremien besonders lautstark gegen Moskau Front gemacht. Zugleich versucht Warschau, das »alte Europa«, insbesondere den Möchtegern-Anführer Deutschland, mit der Drohung zu erpressen, sich von der EU ab- und den USA zuzuwenden, falls Brüssel nicht schärfer gegen Rußland vorgeht.

Diese selbstzerstörerische Politik findet mit der Rückendeckung Wa­shingtons und im Vertrauen darauf statt, daß Moskau trotz Sanktionen seine Gaslieferungen auf keinen Fall reduzieren wird. Und sollte dies doch geschehen, baut man auf die »Solidarität« Deutschlands, das dann einen Teil seiner Importe nach Polen reexportieren würde, wie das derzeit bereits zur Unterstützung der Ukraine geschieht. Da die Junta in Kiew sich standhaft weigert, ihre rund 5,7 Milliarden Dollar an Gasschulden zu bezahlen, hatte Gasprom im Juli die Lieferungen eingestellt. Seither wird ein Teil des Bedarfs der Ukraine über Reexporte von russischem Gas aus Deutschland und Polen gedeckt.

Dabei komme dem RWE-Konzern laut Handelsblatt »eine Schlüsselrolle zu«. Bereits 2013 habe das Unternehmen 2,1 Milliarden Kubikmeter Gas über Polen und Ungarn zurück in die Ukraine gepumpt. Präsident Wladimir Putin hatte Anfang Juli dieses Jahres die EU-Länder vor solchen Maßnahmen gewarnt, und Gasprom-Chef Alexej Miller hat sie noch unlängst als einen »semibetrügerischen Mechanismus« bezeichnet. Jetzt wird im Westen befürchtet, daß Moskau die Lieferungen soweit herunterfahren wird, daß kein Gas mehr für den Reexport in die Ukraine übrig ist. Allerdings streitet Gasprom die von Polen und von E.on reklamierte Lieferreduzierung strikt ab. Man habe wie zuvor die vertragliche vereinbarte Menge auf russischer Seite in die Pipelines gepumpt, und das lasse sich auch leicht nachweisen.

Wer lügt hier? Die Russen oder die Polen und E.on? Haben vielleicht beide recht, und der »Schwund« ist Gas, das im Auftrag der Kiewer Junta geklaut wurde? Es wäre nicht das erste Mal, daß die ukrainische Regierung die Transitpipelines mit dem für den Westen bestimmten Gas anzapfen würde. Dadurch wurde z.B. Anfang 2006 eine heftige politische Krise zwischen Rußland und der EU ausgelöst.

* Aus: junge Welt, Samstag 13. September 2014


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