Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Teurer Spaß für Putin

Kostspielige Unterstützung – eine Eingliederung der Krim würde für Rußland teuer. Einstweilen Einbußen vor allem auf dem Finanzmarkt

Von Reinhard Lauterbach *

Einstweilen sind die Kosten der russischen Volkswirtschaft infolge der Krim-Krise Buchverluste. Am Freitag war die Moskauer Börse auf den niedrigsten Stand seit 2009 gefallen; der Rubel verlor gegenüber dem Dollar innerhalb einer Woche zehn Prozent. Stützungskäufe der russischen Zentralbank haben in dieser Zeit etwa elf Milliarden Dollar gekostet. Bei Devisenreserven, die auf 500 Milliarden Dollar geschätzt werden, sind diese Aufwendungen einstweilen zu verkraften.

Gravierender ist die Kapitalflucht, die seit Beginn der Krise eingesetzt hat; die russische Investmentbank Renaissance Capital bezifferte sie für das erste Quartal 2014 auf etwa 55 Milliarden Dollar; das entspricht beinahe dem Betrag, den russische Investoren im ganzen Jahr 2013 außer Landes geschafft haben. Die Zentralbank in Moskau reagierte mit einer Anhebung der Leitzinsen um 1,5 Prozentpunkte auf 7,5 Prozent; eine solche Erhöhung um 25 Prozent ist ein heftiger Schlag gegen alle, die in Rußland auf Kredit investieren wollen – von der Eigentumswohnung bis zur importierten Werkzeugmaschine. So ist es wenig erstaunlich, daß die US-Investmentbank Goldman Sachs ihre Jahresprognose für Rußland von drei auf ein Prozent Wachstum absenkte.

Abgesehen von Entwicklungen wie den geschilderten, die unmittelbar Investoren betreffen und sich nur mittelbar auf die Lage der Menschen auswirken, wäre eine Aufnahme der Krim in die Russische Föderation auch mit erheblichen Kosten für den russischen Staatshaushalt verbunden. Die Krim ist im Rahmen der Ukraine ein aus dem Zentralhaushalt subventioniertes Gebiet gewesen; das Pro-Kopf-Einkommen lag bei umgerechnet 2500 Dollar jährlich. Aus dem Kiewer Budget floß monatlich etwa eine Milliarde Dollar an Subventionen, Renten und Gehältern für Staatsdiener auf die Krim. An diesem Zuschußbedarf würde sich bei einem Beitritt zu Rußland nichts ändern; um diese Summe dürften sich die ohnehin seit Jahren stattfindenden Zahlungen für die Renten der mehreren zehntausend russischen Militärpensionäre erhöhen, die im Ruhestand auf der Krim geblieben sind, und die in die ukrainischen Berechnungen nicht eingeflossen sind.

Ein erheblicher Kostenblock wären bei einem Beitritt der Krim zu Rußland kurzfristig erforderliche Investitionen in die Infrastruktur. Die Halbinsel bezieht praktisch ihr gesamtes Trinkwasser, 80 Prozent des Gases und 90 Prozent des Stroms aus der Ukraine. Die Möglichkeit einer halbwegs kostengünstigen Versorgung war 1954 eines der Argumente, das die sowjetische Führung veranlaßt hatte, die Krim an die Ukraine zu übergeben. Zwar sind Phantasien nationalistischer Blogger in Kiew, der Krim den Wasserhahn abzudrehen, sicher unrealistisch – der nächste Hahn, der dann zugedreht würde, wäre der für das Gas aus Rußland.

Das enthebt Moskau aber nicht der Notwendigkeit, neue Gasleitungen auf die Krim zu verlegen, Stromleitungen oder neue Kraftwerke zu bauen – womöglich nukleare – und vor allem: die Verkehrsinfrastruktur vollständig umzupolen. Zur Zeit verlaufen alle Bahnverbindungen auf die Krim über ukrainisches Gebiet; eine direkte Straßenverbindung wäre vom Kuban aus über die Meerenge von Kertsch denkbar, würde aber den beschleunigten Bau einer Brücke über diesen zwischen vier und 15 Kilometer breiten Kanal erfordern. Ein entsprechendes Projekt steht seit Jahren auf dem Papier; bezeichnenderweise hat der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew Ende Februar angekündigt, diesen Bau nun beschleunigt in Angriff zu nehmen.

Gebaut ist die Brücke damit noch nicht: Die in der Länge grob vergleichbare Verbindung über die Straße von Messina zwischen Kalabrien und Sizilien sollte 8,5 Milliarden Euro kosten; nach zehn Jahren Planung, Pannen, Korruptionsermittlungen und Investorenwechseln wurde das Projekt 2013 im Rahmen der »Haushaltskonsolidierung« beerdigt, ohne daß ein Eimer Beton gegossen worden wäre. Die Parallele betrifft dabei nur den eigentlichen Bau und seine mutmaßlichen Kosten; auf der Krim würden zusätzlich politische Kosten zu Buche schlagen wie eine chronische Anschlagsgefahr, die dauerhafte Sicherheitsmaßnahmen erfordert. Nicht zuletzt wäre es auch nötig, die Zufahrten auf russischer Seite von Rostow auf die der Krim gegenüberliegende Taman-Halbinsel in einer Länge von mehreren hundert Kilometern auszubauen. So ist die Bahnlinie zum Fährhafen Kawkas gegenüber von Kertsch eingleisig, nicht elektrifiziert und nicht für den Personenverkehr ausgerüstet. Alle diese Maßnahmen sind sicherlich auf Sicht einiger Jahre zu realisieren, aber sie würden kurzfristig nichts daran ändern, daß ein Wechsel der Krim von der Ukraine zu Rußland auch mit einer Versorgungskrise einhergehen kann. Schon in den vergangenen Tagen wurde auf der Krim von stark steigenden Lebensmittelpreisen berichtet.

Für die Volkswirtschaft der Krim selbst ist bei einem Übergang zu Rußland zumindest eine Umstellungskrise und damit erhöhte Arbeitslosigkeit zu erwarten. Mit Sicherheit wird der Export von Obst, Gemüse, Wein und Brandy in die Ukraine leiden; die Tourismusbranche berichtete in den letzten Tagen über dramatische Buchungsausfälle und Stornierungen. Behauptungen von Politikern der Krim, diese Einbußen würden durch verstärkten Tourismus von Russen ausgeglichen, sind Zweckoptimismus. Der Zustand der touristischen Infrastruktur weckt erhebliche Zweifel, ob die Krim kurzfristig eine Konkurrenz für die bei Russen beliebten Urlaubsziele in Ägypten, der Türkei oder Griechenland darstellen kann.

* Aus: junge Welt, Montag, 17. März 2014


Zurück zur Russland-Seite

Zur Russland-Seite (Beiträge vor 2014)

Zu Ukraine-Seite

Zur Ukraine-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage