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Geschäft ist Geschäft

Wenig Angst vor Sanktionen: Ungerührt von der politischen Debatte schließen deutsche und italienische Konzerne Milliardendeals mit Rußland ab

Von Reinhard Lauterbach *

Das EU-Kapital läßt sich von der politischen Debatte über Sanktionen gegen Rußland bislang offenbar wenig beeindrucken. Vor allem italienische Konzerne schlossen in unmittelbarer Zeitnähe des Krim-Referendums zwei Milliardengeschäfte mit russischen Investoren ab. So übernahm der staatliche Ölkonzern Rosneft 13,1 Prozent der Aktien des italienischen Reifenherstellers Pirelli und ist jetzt größter Anteilseigner der Firma. Das Investment kam offenbar zustande, weil die beiden Großbanken Intesa Sanaolo und UniCredit ihre Anteile an dem kriselnden Reifenhersteller reduzieren wollten. Pirelli beabsichtigt laut einer Mitteilung des Unternehmens nun, seine Position auf dem russischen Reifenmarkt auszubauen.

Der Pirelli-Coup ist nicht der erste Großeinkauf von Aktien durch Rosneft in der drittgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone (der börsennotierte Moskauer Konzern zählt neben Saudi Aramco und dem US-Multi Exxon Mobile zu den drei größten Ölkonzernen der Welt; d. Red.). Als Investor hat das Unternehmen bereits im vergangenen Jahr 20 Prozent der Raffinerie Saras auf Sardinien gekauft. Die Russen nutzten geschickt wirtschaftliche Probleme des Übernahmekandidaten, denn die sardische Raffinerie hatte infolge des Libyen-Krieges ihre noch unter Muammar Al-Ghaddafi vereinbarten Rohstoffzufuhren verloren. Seit dem Aktiengeschäft verarbeitet sie russisches Öl; die drohende Schließung ist abgewendet. Insgesamt ist Italien seit längerem bevorzugtes Ziel russischer Investitionen in Südeuropa. So ist auch der Energieversorger ENI an der neuen Gaspipeline »South Stream« beteiligt, die quer durch das Schwarze Meer nach Bulgarien und von dort über den Balkan via Slowenien und Italien verlaufen soll – alles unter Umgehung der Ukraine. Ein weiteres italienisches Unternehmen, Saipem, erhielt zwei Tage vor dem Krim-Referendum einen Auftrag über 1,5 Milliarden Euro für die Lieferung der Rohre für die erste von vier geplanten Röhren von South Stream.

Nichts auf Spiel setzen

Für Deutschland sieht die Bilanz differenziert aus. Einerseits treten Wirtschaftsbosse von Bahnchef Rüdiger Grube bis zum Co-Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank Jürgen Fitschen in Interviews gegen Sanktionen auf: Man dürfe »in Jahrzehnten gewachsene Beziehungen« nicht unbedacht aufs Spiel setzen, so der Tenor. Und der Energiekonzern RWE brachte noch am vergangenen Wochenende ein Fünf-Milliarden-Euro-Geschäft mit einem russischen Investmentfonds unter Dach und Fach. Die Russen übernehmen die Ölfördertochter RWE-DEA, die vor allem in der Nordsee Öl gewinnt. Die Gesellschaft hat allerdings auch vier Konzessionen für Gas- und Ölbohrungen im Südosten Polens. Daß dieses für die »energiepolitische Souveränität« Polens wichtige Projekt jetzt in russische Hände kommen soll, hat in Warschau Beunruhigung ausgelöst. Während RWE mitteilte, es habe die Bundesregierung über das geplante Geschäft unterrichtet, und diese habe keine Einwände erhoben, hat Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hingegen dem Düsseldorfer Rheinmetall-Konzern ins Handwerk gepfuscht. Das Ressort des Vizekanzlers und SPD-Chefs stoppte ein unterschriftsreifes Geschäft mit der russischen Armee. Rheinmetall sollte ein modernes Gefechtssimulationssystem liefern, an dem jährlich bis zu 30000 Offiziere hätten ausgebildet werden können. Frankreich, das einen Hubschrauberträger der »Mistral«-Klasse für die russische Marine baut, hat bisher lediglich eine »Überprüfung« des Kontrakts angekündigt.

Russische Lobbystrategie

Es liegt nahe, in dieser Häufung von Vertragsabschlüssen eine russische Lobbystrategie zu sehen. Den einzelnen EU-Staaten, insbesondere solchen, die wirtschaftlich angeschlagen sind wie Italien, soll deutlich gemacht werden, was sie im Falle einer Entscheidung für Sanktionen verlieren würden. Tatsächlich sind in den zurückliegenden Wochen die Regierungen in Rom und Madrid, aber auch die Frankreichs nicht als Vorkämpfer von wirtschaftlichen »Strafmaßnahmen« aufgefallen. Einige Länder sind nach wie vor strikt gegen Sanktionen: Dazu gehören Zypern, dessen Finanzsektor nach wie vor stark von russischem (Schwarz-)Geld abhängt, Tschechien, in dessen Immobilienbranche Investoren aus Moskau oder St. Petersburg stark engagiert sind. Ungarn schließlich, das unter dem rechten Premierminister Victor Orbán seine Wirtschaftsbeziehungen zu Rußland erheblich ausgebaut hat –, weil sich der Regierungschef von Brüssel in seiner Nationalisierungspolitik gegängelt fühlt – verlangt als Bedingung für eine Zustimmung zu Sanktionen EU-interne Ausgleichszahlungen. Daß die EU hierauf eingeht, ist höchst unwahrscheinlich.

Auch Österreichs verfilzte Oligarchie wird kaum den Ruf des Landes als diskreter Finanzplatz mit kurzen Wegen nach Osteuropa verlieren wollen. Dabei scheint es gegenwärtig so, als arbeite die Wiener Justiz heftig am Gegenteil. Zuerst verhaftete man den aufgrund eines US-amerikanischen Haftbefehls »gesuchten« ukrainischen Oligarchen Dmitri Firtasch. Der sollte kurz darauf gegen eine Kaution von 125 Millionen US-Dollar wieder freigelassen werden – mit der Auflage, die Alpenrepublik nicht zu verlassen. Offenbar paßte diese an sich übliche Vorgehensweise irgendwem nicht in den Kram: Denn inzwischen erklärte das Gericht, die Summe komme wahrscheinlich aus »Geldwäsche« und gelte damit als nicht eingezahlt. Neben der Ironie, daß ausgerechnet Österreichs Behörden diesen »Tatbestand« für die Konfiszierung heranziehen, wo doch große Teile des heimischen Geschäftslebens genau darauf basieren (siehe beispielsweise den Hypo-Alpe-Adria-Fall), scheint Firtasch die Millionen los zu sein – und blieb zunächst weiterhin in Haft.

Im übrigen lassen sich im US-Sender Radio Liberty sogenannte Experten zu (möglichen) Hintergründen des »rechtsstaatlichen Aktes« aus. Sie deuten an, es gehe in Wahrheit gar nicht um Firtasch, sondern um eine Art Beugehaft: Der Mann solle genötigt werden, vor einem US-amerikanischen Gericht gegen Putin auszusagen, als dessen »Portemonnaie« er eingeschätzt werde. In zweiter Linie gilt er übrigens als eine Art Brieftasche von Julia Timoschenko. Die auch im politischen Berlin hofierte »Revolutionärin« hat gerade erklärt, bei der Präsidentenwahl in Kiew anzutreten. Und wie es sich trifft, hat der jetzt inhaftierte Firtasch nach Angaben des österreichischen Rundfunks in der Vergangenheit auch ihren innerparteilichen Rivalen und jetzigen Übergangsministerpräsidenten Arseni Jazenjuk gesponsert. Mafiamethoden unterscheiden sich von diesem Intrigenspiel dadurch, daß sie verboten sind.

* Aus: junge welt, Montag, 24. März 2014


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