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Sanktionen greifen kaum

Rußlands Wirtschaft ist widerstandsfähiger, als vielen im Westen lieb ist

Von Reinhard Lauterbach *

Es ist nicht ohne Humor: dieselben Medien, die vorn, im politischen Teil, zu entschiedeneren Sanktionen gegen Rußland aufrufen, empfehlen hinten, auf den Finanzseiten, das Gegenteil. Vom Handelsblatt bis zum Börsenportal der ARD fanden sich in den letzten Wochen Einschätzungen, die den russischen Aktienmarkt angesichts der bereits gesunkenen Kurse nun als Gelegenheit für »wertorientierte« Anleger einschätzen. Einerseits rechnete die Agentur Bloomberg letzte Woche vor, daß der russische Markt seit Beginn der Krim-Krise 27 Milliarden US-Dollar an Wert eingebüßt habe und einzelne Oligarchen eine oder zwei Milliarden – freilich an Buchverlusten. Denn die russischen Rohstoffkombinate, denen sie ihren Reichtum verdanken, produzieren ja nach wie vor, und das ist es, was etliche bekannte Investoren veranlaßt hat, in den letzten Wochen in russische Aktien zu investieren. Und dies trotz politischen Gegenwinds: Barack Obama persönlich hat sich offensichtlich in den letzten Wochen einige Großinvestoren vorgenommen und zum Rückzug aus Rußland aufgefordert. Aber das Kapital ist halt nur dann patriotisch, wenn es ihm nützt. Und Kurs-Gewinn-Verhältnisse, die bei einem Drittel des Werts des DAX liegen, machen begehrlich. Rußlands Rohstoffexporte laufen im übrigen trotz aller Sanktionsrhetorik wie geschmiert. Der vielgeschmähte Gasprom-Konzern konnte seine Verkäufe nach Westeuropa gar um vier Prozent steigern; die Lieferungen nach Deutschland lagen im April um 15 und die nach Großbritannien sogar um 30 Prozent höher als vor einem Jahr.

Gas für Ostasien

Zudem hat Rußland in den letzten Tagen geradezu demonstrativ zwei Entscheidungen in seiner Rohstoffexportpolitik zelebriert. Einerseits erklärte das Land, dem gegenüber seine europäischen Gaskunden stets von »Diversifizierung« und »Reduzierung der Abhängigkeit« reden, nun selbst die Diversifizierung zum Ziel: nämlich die der Gasverkäufe. Künftig sollen Pipelineprojekte nach Ostasien mit Vorrang realisiert und der dortige Markt bedient werden. Schon im Mai soll beim Besuch von Wladimir Putin in Peking ein Vertrag über den Bau einer Gaspipeline nach China unterzeichnet werden; die Leitung wird eine Kapazität von 38 Milliarden Kubikmetern haben, was einem guten Drittel des deutschen Jahresverbrauchs entspricht. Das ist eine Entwicklung, vor der deutsche »Putin-Versteher« seit Jahren gewarnt haben – jetzt haben die Transatlantiker sie, und da auch russisches Gas letztlich nur in begrenzter Menge verfügbar ist, könnte es gut sein, daß die Preise für den Rohstoff mittelfristig steigen werden.

Die zweite Entscheidung betrifft die Ölförderung im russischen Teil der Arktis. Letzte Woche wurde der erste Tanker aus einem Ölfeld 60 Kilometer vor Murmansk beladen und nach »Nordwesteuropa« verabschiedet – wahrscheinlich nach Großbritannien. Es handelt sich um genau das Ölfeld, gegen dessen Ausbeutung im letzten Sommer Aktivisten von Greenpeace mit der Besetzung einer Bohrinsel protestiert hatten, was ihnen mehrmonatige Untersuchungshaft in Rußland einbrachte. Der Beginn der Förderung im hohen Norden ist damit eine Demonstration in zwei Richtungen. Das erste gilt als Signal gegenüber den westlichen Partnern, die sich an mehreren Ölprojekten im russischen Nordmeer beteiligt haben: Es geht zur Not auch ohne euch. Das zweite Signal geht an die Adresse von Greenpeace und anderen »Nichtregierungsorganisationen«: Ihr werdet uns nicht aufhalten.

Öl aus der Arktis

Dabei ist die Ölförderung in der Arktis nicht nur ökologisch riskant, sondern auch finanziell offenbar nicht wirklich rentabel. Das geht aus der steuerlichen Behandlung der Exporte aus den neuen Quellen hervor. Das arktische Öl hat von der russischen Finanzverwaltung eine eigene Bezeichnung namens ARCOL (Arctic Oil) verpaßt bekommen und ist als solches von den Exportzöllen befreit. Das ist nichts anderes als eine Subventionierung der Förderung im hohen Norden aus dem Staatshaushalt, zu dem die Exportzölle für Öl, Gas und andere Rohstoffe den Löwenanteil beitragen. Wenn der russische Fiskus auf Einnahmen aus diesen Geschäften verzichtet, bedeutet das, daß dem Staat aus anderen Gründen an ihnen gelegen ist. Deren wichtigster dürfte lauten: Blockadefestigkeit demonstrieren. Die Entwicklung der Öllagerstätten im hohen Norden war von Anfang an eine Spekulation auf langfristig steigende Preise. Daß das arktische Öl teurer sein muß als welches, das unter gemäßigteren natürlichen Bedingungen gewonnen wird, liegt auf der Hand. Wie sich seine Förderung künftig rechnen wird, wenn sich die Ölpreise unter dem Einfluß der »Schiefergasrevolution« in den USA stabilisieren oder sogar zurückgehen sollten, ist ungewiß.

* Aus: junge welt, Montag 28. April 2014


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