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Trubel auf dem Titanenberg

San Marino beging am 3. September das Fest seines Namensgebers

Von Hilmar König *

Die mit knapp 61 Quadratkilometer kleinste Republik der Welt begeht alljährlich am 3. September ihren Gründungstag und zugleich das Fest des Heiligen Marinus, nach dem der unabhängige Staat im Herzen Italiens benannt ist.

Am Nationalfeiertag geht es hoch her. Nach der Messe in der Basilika, nach der Prozession mit der Reliquie des St. Marinus durch die Straßen der Hauptstadt Citta di San Marino und nach Ansprachen der Politiker wetteiferten am 3. September die Armbrustschützen in der »Cava dei Balestrieri« auf dem 756 Meter hohen Monte Titano. Überall in den neun Gemeindekreisen des Kleinstaates tummelten sich die 31 000 Sammarinesi zusammen mit tausenden Touristen auf Volksfesten, bis am Abend ein prächtiges Feuerwerk den Abschluss bildete.

Der Steinmetzmeister Marinus von der dalmatinischen Insel Arbe, so die Überlieferung, hatte Anfang des 4. Jahrhunderts Zuflucht auf dem Titanen-Berg genommen und als Einsiedler eine kleine christliche Gemeinde gegründet, die sich hier vor den Verfolgungen des römischen Kaisers Diocletian in Sicherheit brachte. Der Berg erhielt angeblich im Jahre 301 den Namen »Land des Marinus«, wurde später eine freie Stadt und im 13./14. Jahrhundert schließlich unabhängige Republik. Im Jahre 1463 nach dem Sieg über den Herrscher von Rimini, Sigismondo Pandolfo Malatesta, wurde das Staatsgebiet um einige Dörfer in der Ebene erweitert.

Bereits 1243 waren erstmals zwei Kapitänsregenten gewählt worden. Seitdem werden sie stets am 1. April und am 1. Oktober abgelöst. Ihre Nachfolger nominiert das aus 60 Abgeordneten bestehende Parlament, das Consiglio Grande e Generale. Dessen Sitz befindet sich im Palazzo Pubblico, vor dem die Freiheitsstatue stolz die Unabhängigkeit symbolisiert.

Die politisch Bewussten unter den Einwohnern San Marinos messen einem anderen Feiertag mindestens gleich große Bedeutung wie dem 3. September und dem 1. Oktober bei. Am 28. Juli begehen sie den Fall des Faschismus. Im April 1923 hatte die faschistische Partei bei Wahlen die absolute Mehrheit errungen und später für Staatsnähe zum italienischen Diktator Benito Mussolini gesorgt, obwohl sich das Land im Weltkrieg offiziell neutral verhielt. Am 28. Juli 1943 löste sich die Partei auf und verschwand von der Bildfläche. Bald danach nahm das Ländle über 100 000 Flüchtlinge auf und knüpfte damit an eine alte Tradition an. 1848/49 gewährte es zum Beispiel dem italienischen Patrioten Giuseppe Garibaldi Asyl.

Die »Zwergstaatler« leisten sich ein buntes Parteiensystem. An den Wahlen 2008 beteiligten sich die Christlichen Demokraten (PDCS), die Volksallianz (AP), die Freiheitsliste und die Union der Moderaten. Im »Pakt für die San-Marino-Koalition« vereint, kamen sie auf 54 Prozent und schlugen damit die Reformen- und Freiheitskoalition, die aus der Partei der Sozialisten und Demokraten (PSD), der Vereinigten Linken und den Demokraten des Zentrums besteht. Die KP war Ende der 80er Jahre in Progressive Demokratische Partei umbenannt worden, die 2005 mit den Sozialisten zur PSD fusionierte.

Mit Geschick und Einfallsreichtum haben es die Sammarinesi bislang verstanden, aus den begrenzten natürlichen Ressourcen das Beste zu machen. Nach wie vor boomt der Fremdenverkehr. Aus dem 25 Kilometer entfernten italienischen Badeort Rimini machen jährlich über zwei Millionen Touristen einen Abstecher in die Bergrepublik. Was sie lockt, sind die historische Altstadt, die auf den Monte-Klippen thronenden Burgen Guaita, Cesta und Montale, der fantastische Blick hinunter in die Emilia Romagna, das schaurige Folter- oder das Kuriositätenmuseum, das Staatliche Museum mit seinen Kostbarkeiten, das große Angebot zollfreier Waren, Münzen und Briefmarken, Großveranstaltungen wie das Welt-Etno-Musikfestival, die Oldtimer-Rallye »Mille Miglia« oder die Umzüge in historischen Kostümen. 60 Prozent seiner Einnahmen erzielt San Marino jedenfalls aus der Tourismusbranche. Damit finanziert es ein gediegenes Sozialsystem, das sich auch in einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 81,6 Jahren manifestiert. Auf den Monte Titano zieht es aber auch Gastarbeiterinnen aus Osteuropa. Auffällig viele Verkäuferinnen in Boutiquen und Andenkenshops kommen aus Russland und der Republik Moldova.

* Aus: Neues Deutschland, 5. September 2009

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