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Abdullahs Vision

Saudi-Arabien plant für die Zukunft. Gigantische Investitionen fließen, eine neue Hafenstadt entsteht. Doch die Lage der Region bleibt labil

Von Karin Leukefeld *

Saudi Arabien ist die Nummer eins des OPEC-Kartells (Organisation erdölexportierender Länder) und neben Russland und den USA weltgrößter Förderer des Roh- und fossilen Brennstoffs. Seit Jahren schon bereitet sich das Königreich auf die Zeit »nach dem Öl« vor. Wie andere Golfstaaten auch, investieren die Herrschenden des Landes viel Geld im In- und Ausland, eines der strategischen Vermächtnisse des kürzlich verstorbenen Monarchen Abdullah.

Gekauft werden Grundstücke und Immobilien, investiert wird in Landwirtschaft, Konzernbeteiligungen, Fabriken und Transportwege. Die Flut der Petrodollars fließt dabei nach Schwarzafrika, in den Maghreb und nach Europa. Mehr als 110 Milliarden Riyal (rund 25 Milliarden Euro) sind für den Neubau einer gigantischen Stadt nördlich der saudischen Küstenmetropole Jiddah am Roten Meer vorgesehen. Die nach dem Gründer benannte »König Abdullah Wirtschaftsstadt« (KAEC) wird zukünftig zwei Millionen Menschen beherbergen. Dort soll zugleich einer der weltweit größten Häfen entstehen. Der neue Seehandelsplatz sei keine Konkurrenz zum bestehenden Hafen in Jiddah, »aber wir werden Dubai Geschäftsvolumen abnehmen«, zitierte die britische BBC am vergangenen Freitag Hafenmanager Rayan Bukhari. Bisher werden mangels interner Transportmöglichkeiten viele Güter für den Osten Saudi-Arabiens und für die Hauptstadt Riad in der Metropole der Vereinigten Arabischen Emirate entladen und von dort ins Land gebracht. Mit dem Ausbau der innersaudischen Verkehrsinfrastruktur soll sich das ändern.

Das Konzept der Stadt, deren Grundstein Abdullah 2005 legte, gehört zum Zukunftsplan des Landes. Die wirtschaftlichen Visionen des Herrscherhauses zielen darauf ab, für die Jugend neue Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. Offenbar will man in Riad vermeiden, dass arbeits- und perspektivlose junge Männer sich – wie in Nordafrika und anderen arabischen Staaten – bewaffneten Gruppen anschliessen und dem »Heiligen Krieg« verpflichten. Saudi Arabien ist nach Tunesien bereits jetzt das Hauptrekrutierungsland für derartige Rebellengruppen. Mehr als 2.500 Saudis kämpfen in Syrien und im Irak in den Reihen der Nusra Front, des »Islamischen Staates« (IS) und anderer Verbände.

Der wirtschaftliche Umbau des Königreiches geht einher mit einer gigantischen Aufrüstung. In den zurückliegenden zwei Jahren (2013, 2014) war die Monarchie der größte Waffenimporteur weltweit. Nach bewaffneten Auseinandersetzungen im Januar mit Kämpfern an der Grenze zum Irak – nördlich der Stadt Arar – ging dort gerade ein großes Manöver der Grenztruppen zu Ende. Die Stadt liegt an der den Nordosten des Landes querenden Wüstenautobahn, die den Kleinstaat Bahrain mit der jordanischen Hauptstadt Amman verbindet. Die Piste verläuft meist nur 40 bis 60 km parallel zur Grenze zum Irak. Mit Hilfe deutscher Technologie wurde in der saudisch-irakischen Wüste über Hunderte von Kilometern ein doppelter Grenzzaun errichtet, der mit Radar und Kameras überwacht wird. In Saudi-Arabien wird der Zaun als Verteidigungsanlage gegen den »Islamischen Staat im Irak« gesehen. Doch nicht die ganze Grenze ist hermetisch abgeschlossen, so dass der Schmuggel von Waffen, Fahrzeugen und Kämpfern weiter möglich ist.

Seit September 2014 beteiligt sich die saudische Luftwaffe an der »Anti-ISIS-Koalition«, die unter US-Führung Luftangriffe gegen Stellungen der IS-Milizen im Irak und Syrien fliegt. Nach Jahrzehnten der Spannungen zwischen beiden Ländern hat der neue König Salman jetzt den irakischen Ministerpräsidenten Haidar al-Abadi eingeladen, um die Kooperation im »Anti-Terror-Kampf« zu vertiefen, wie es in Riad hieß.

Der saudische Schulterschluss mit dem Irak könnte auch den Entwicklungen im Jemen geschuldet sein, wo die staatlichen Strukturen sich zugunsten erstarkter Milizen immer mehr auflösen. Riad erhofft sich möglicherweise Druck der Iraker auf die Huthi-Milizen, die – mit Unterstützung von Teilen der jemenitischen Armee – ihre Machtbasis immer weiter ausbauen. Bagdad verfügt über gute Beziehungen zum Iran, der angeblich die Huthi Bewegung militärisch unterstützen soll. Belege dafür gibt es nicht. Saudi-Arabien unterstützt den jemenitischen Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi, der vor den vorrückenden Huthi-Truppen in die südjemenitische Hafenstadt Aden geflohen war.

Die Angriffe der »Anti-ISIS-Allianz« gegen den selbsternannten Islamischen Staat haben nach Einschätzung der US-Geheimdienste die Gefahr von Anschlägen in Saudi-Arabien sehr erhöht. Die Botschaft in Riad und US-Konsulate in anderen saudischen Städten sind seit einer Woche für den Publikumsverkehr geschlossen. Die Botschaft sprach von »Informationen, wonach Individuen einer terroristischen Organisation westliche Ölarbeiter angreifen könnten, möglicherweise auch US-Bürger, die für Ölfirmen in der östlichen Provinz arbeiten. Sie könnten angegriffen oder entführt werden«. Anfang März hatte es eine konkrete Warnung für »Mitarbeiter von Chevron in Saudi-Arabien« gegeben.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 25. März 2015


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