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Saudi-Arabien: Das Terrorland

Ein saudiarabisches Gericht hat einen schiitischen Prediger zum Tode verurteilt. Die klerikale Diktatur steht dem "Islamischen Staat" in nichts nach

Von Thomas Eipeldauer *

Er habe »religiöse Spannungen geschürt«, Demonstrationen »ermutigt, initiiert und an ihnen teilgenommen« und dem »Herrscher die Gefolgschaft verweigert«. Wegen Delikten wie diesen verurteilte ein saudiarabisches Sondergericht am 15. Oktober den schiitischen Geistlichen Nimr Bakir Al-Nimr zum Tode. Das Urteil ist eine offene Provokation für die schiitische Minderheit im Land. Vor allem in deren Hochburg, der Ostprovinz Saudi-Arabiens, kam es zu Protesten. Die Behörden sprechen von Feuergefechten sowie von Sabotage an einer Ölleitung. Demonstrationen des schiitischen Exils folgten in Dutzenden Ländern, darunter Schweden, Australien und die USA.

Riad will mit dem Urteil offenkundig ein Signal an die Schiiten senden, die offiziellen Angaben zufolge bis zu 15 Prozent der überwiegend sunnitischen Bevölkerung ausmachen. Die herrschende Clique orientiert sich ideologisch an einer extrem verengten wahhabitischen Auslegung des Islam, die alle anderen muslimischen Strömungen als »Kufr«, als Ungläubige, stigmatisiert. Die Schiiten, so der Glaubenssatz, seien keine »richtigen« Muslime, weil sie »Schirk«, Vielgötterei, begingen. Saudiarabische Schulbücher erklären Schiiten zu »Sündern«, Funktionäre der Nomenklatur hetzen gegen sie.

Aus dieser Diskriminierung ergeben sich für die Minderheit Benachteiligungen in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen. »Man muss nicht intensiv recherchieren, um beobachten zu können, dass die Schiiten in Saudi-Arabien sozial, politisch und religiös als Bürger zweiter Klasse eingestuft werden«, schreibt Bayan Perazzo in einer Studie für den US-Thinktank »Institute for Gulf Affairs«.

Schiiten werden in ihrer Religionsausübung behindert, erhalten nur schwer für die Errichtung ihrer Moscheen Genehmigungen, an deren Finanzierung sich der Staat im Unterschied zu sunnitischen auch nicht beteiligt. Schiiten können keine Berufe im Justiz-, Militär- und Verwaltungsapparat ausüben, ihre Löhne sind selbst bei gleicher Qualifikation niedriger als die von Sunniten in vergleichbaren Stellungen, in mehrheitlich von Schiiten bewohnten Regionen gibt es eine schlechtere Infrastruktur.

Der Umgang mit der Minderheit erinnert an das selbsternannte Kalifat der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Denn obwohl Saudi-Arabien für den Westen ein umworbener Partner ist, steht die Ideologie der Golfdiktatur der des IS und anderer salafistischer Dschihadisten ausgesprochen nahe.

Das spiegelt sich auch in der Rechtsprechung wider. Auf zahlreiche »Vergehen« steht die Todesstrafe. Dazu zählen »Ehebruch«, »Sodomie«, »Homosexualität« und »Hexerei« ebenso wie Drogenschmuggel, bewaffneter Raub, Mord oder »Terrorismus«, aber auch das »Aufrufen zu atheistischen Gedanken« und religiöse »Abtrünnigkeit« in jeder möglichen Form«.

Ausgeführt wird die Strafe zumeist durch öffentliche Enthauptung, Steinigungen oder Kreuzigungen. Andere barbarische Praktiken sind Peitschenhiebe. »Die Anwendung der Todesstrafe in Saudi-Arabien ist so weit entfernt von jeglicher Art rechtlicher Maßstäbe, dass es fast schwer zu glauben ist«, kommentiert Said Boumedouha, Stellvertretender Direktor des regionalen Büros von Amnesty International. »Die Hinrichtung von Menschen, denen lächerliche Vergehen vorgeworfen werden, auf der Basis von durch Folter erzwungenen ›Geständnissen‹ ist beschämend gebräuchlich in Saudi-Arabien.«

Die westlichen Partner der absolutistischen Monarchie interessiert all das kaum. Von Washington werden regelmäßig die guten Beziehungen zum saudischen Königshaus gewürdigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel bekundete kürzlich: »Saudi-Arabien ist ein wichtiger Partner auch beim Kampf gegen Terrorismus.« Wenige Tage zuvor war in Riad Mohammed Bakr Al-Alawi geköpft worden – wegen »Zauberei«.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 30. Oktober 2014


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