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"Unbehagliche Lust an Militäroperationen"

In Schweden wenden sich ehemalige Spitzenpolitiker gegen den Afghanistan-Kurs der Regierung

Von Gregor Putensen *

Schweden baut seine militärische Beteiligung in Afghanistan aus. Prominente Politiker kritisieren den Kurs der seit einem halben Jahr regierenden bürgerlichen Koalition.

Seit 2002 beteiligt sich Schweden am Einsatz der von der NATO geführten ISAF-Truppen in Afghanistan. Das Kontingent der ursprünglich 300 Soldatinnen und Soldaten in den für relativ ruhig deklarierten Nordprovinzen des Landes hat inzwischen einen Umfang von nahezu 1000 »zivilmilitärisch « eingesetzten Personen erreicht. Die schwedischen Verbände agierten bisher ausschließlich am Boden, während Dänemark und Norwegen auch F-16-Kampfflugzeuge in Afghanistan eingesetzt haben. Die seit Herbst 2006 regierende bürgerliche Vierparteien-Allianz unterstützt seither nicht nur gegenüber der EU verstärkt militärische Aspekte. Generell lehnt sich Schweden in seiner Außen- und Sicherheitspolitik immer deutlicher an USA und NATO an.

Das alles hat heftige Auseinandersetzungen über Sinn und Ausrichtung des schwedischen Engagements am Hindukusch provoziert. Mit der von Premier Frederik Reinfeldt angekündigten Absicht, es »je nach Erfordernis« nicht nur personell weiter aufzustocken, sondern künftig auch den Einsatz von Flugzeugen der schwedischen Luftwaffe in Afghanistan ins Auge zu fassen, hat die innenpolitische Debatte eine ungewöhnlich polemische Zuspitzung erfahren.

Erhebliche Würze erhielt der Streit auch durch eine Fernsehdokumentation im öffentlich-rechtlichen Sender SVT-1 (»Uppdrag granskning« – »Prüfauftrag«). Darin wird der Verdacht geäußert, der Einsatz des Mehrzweckkampfflugzeuges JAS-Gripen-39 in Afghanistan diene dem Zweck, das schwedisch-britische rüstungstechnische Spitzenprodukt unter »realen Kriegsbedingungen« zu erproben. Streitkräftechef Håkan Syrén wies diese These als »geschmacklos« zurück und beeilte sich u. a. mit Verweis auf die sechs deutschen Tornados zu erklären, dass nicht Regierung und Militär, sondern die NATO auf die Entsendung von Kampfflugzeugen dränge. »Wir werden keinen Krieg in Afghanistan führen«, so Syrén, aber die Flugzeuge seien nicht nur ein Aufklärungserfordernis, sondern auch ein »Sicherheitsfaktor für unsere Soldaten«.

Genau dies wird von unterschiedlichen Seiten in Frage gestellt. Das Schwedische Afghanistan- Komitee mit der ehemaligen Außenministerin Lena Hjelm Wallén an der Spitze lehnt einen Einsatz schwedischer Flugzeuge ab, weil in der Wahrnehmung der Afghanen die »zivil-militärischen« Aufbaubemühungen der ISAF immer weniger von dem Krieg und den Bombardements der USA unterscheidbar seien. Das Komitee fordert eine umgehende Revision des UNO-Mandates und ein Ende der »Amerikanisierung« der ISAF.

Konsequenter sind in dieser Frage 27 prominente Persönlichkeiten aus Politik und Kultur, die in einem Aufruf einen generellen militärischen Rückzug Schwedens aus Afghanistan fordern. Zu den Unterzeichnern gehören u. a. die ehemalige Chefdelegierte des Landes in den internationalen Abrüstungsgremien Maj-Britt Teorin sowie Ex-Verteidigungsminister Thage Petterson. Letzterer kritisierte diese Woche im »Svenska Dagbladet« mit offenkundiger Verbitterung die »unbehagliche Lust« der politischen Führungselite, »uns in die Welt zu schicken, um an scharfen militärischen Operationen teilzunehmen«. Die Entsendung schwedischer Flugzeuge sei, so Petterson weiter, »ein unheimliches Signal für Krieg. Nicht etwa für Frieden und mehr zivile Hilfe.«

* Aus: Neues Deutschland, 12. März 2007


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