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Schleichender Anschluss

Schweden nähert sich trotz Ablehnung der Bevölkerung der NATO an

Von Gregor Putensen *

Tausende Menschen demonstrierten am Sonnabend in Göteborg unter der Losung »NATO raus aus Schweden« gegen die Präsenz von Kriegsschiffen und eine Flottenübung der Allianz. Erst Anfang des Monats hatte eine Studie die Ablehnung der Schweden gegenüber dem Militärpakt bekräftigt.

Die über 3000 Teilnehmer des Protestzuges in Göteborg warnten vor einem schleichenden Anschluss Schwedens an die NATO. Damit sprachen die Demonstranten für einen Großteil der Bevölkerung: Eine Anfang Mai veröffentlichte Langzeituntersuchung der Universität Göteborg über das Verhältnis der Schweden zur NATO hat die unverändert große Distanz zur Militärallianz erneut bestätigt. Die seit 1994 laufende Untersuchungsserie belegt eine bemerkenswerte Konstanz der Auffassungen in der Frage einer NATO-Mitgliedschaft Schwedens. 2006 sprachen sich erneut nur 22 Prozent der Befragten für die Zugehörigkeit zur NATO aus, mehr als doppelt so viele, nämlich 46 Prozent, waren dagegen. Dies korrespondiert mit der noch stärkeren Distanz der Bevölkerung Finnlands zur NATO, wo Ende 2006 in Meinungsumfragen 55 Prozent ihre Ablehnung gegenüber einer NATO-Mitgliedschaft bekundeten.

Sowohl in Schweden als auch in Finnland regieren im Ergebnis der Wahlen vom September 2006 und vom März 2007 bürgerliche Mitte-Rechts-Koalitionen. In beiden bislang blockfreien Staaten bilden die konservativen Parteien das Schwergewicht der neuen Regierungskoalitionen. Zugleich sind diese am intimsten mit den Interessen des heimischen und internationalen Großkapitals verwoben – natürlich nicht ohne Auswirkungen auf die Entscheidungen im Bereich der Außen- und Militärpolitik sowie entsprechende rüstungswirtschaftliche Projekte. So forcieren in Schweden die konservative Moderate Sammlungspartei und die liberale Volkspartei als NATO-freundlichste Partner der Vierparteienregierung ihr Engagement für einen Beitritt des Landes zur Allianz – allerdings keineswegs allzu sichtbar und vordergründig. Die offizielle Version lautet, die Frage einer schwedischen NATO-Mitgliedschaft stehe in der laufenden Wahlperiode bis 2010 nicht zur Debatte. In einer für den Durchschnittsbürger nur schwer erkennbaren Form wird jedoch mit aller Kraft gerade auf dieses Ziel hingearbeitet. Man setzt sowohl militärisch als auch rüstungstechnisch und -wirtschaftlich auf die Macht vollendeter Tatsachen.

Die Teilnahme schwedischer Streitkräfte an der USA-inspirierten »Partnerschaft für den Frieden«, an den Einsätzen in Kosovo und Bosnien-Herzegowina nach der Zerschlagung Jugoslawiens, an der ISAF in Afghanistan, an der Kongo-Mission der EU sowie dieser Tage gemeinsam mit Finnland an den bisher größten Flottenmanövern der NATO in der Ostsee verfolgt nicht zuletzt ein innenpolitisches Ziel: Die kritische Öffentlichkeit soll an die »logische« Integration schwedischer Verbände in die interventionistischen Einsatzdoktrinen von EU und NATO gewöhnt werden. Dies impliziert zugleich die Akzeptanz der strukturellen und waffentechnischen Anpassung an die Standards. der NATO. Spektakulärster Ausdruck hierfür ist die beabsichtigte Modernisierung und Umrüstung von 100 JAS-Gripen-Kampfflugzeugen auf NATO-Kompatibilität. Daran ist auch Norwegen als NATO-Staat, der 48 dieser schwedischen Flugzeuge kaufen will, vertraglich beteiligt.

All dies vollzieht sich unter dem propagandistischen Motto einer gewachsenen »nordischen Verteidigungsidentität«. Im Rahmen eines staatlich geförderten Netzes verschiedenster gesellschaftlicher Organisationen beschwören Schwedens Verteidigungsminister und seine Militärs unter Bezug auf die aufzubauende »Nordische Kampfgruppe« (Schweden, Finnland, Norwegen, Estland, später auch Irland) den Geist der Beteiligung am weltweiten »Krisenmanagement« an der Seite der NATO. Und betreiben damit den Abschied von den Traditionen militärischer Bündnisfreiheit Schwedens.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Mai 2007


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