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Minarettverbot: Zum Schutz von Weib und Kind?

Was uns das Votum der Stimmbevölkerung sagt.

Von Dorothee Wilhelm *

«Die direkte Demokratie spiegelt die gesellschaftlichen Verhältnisse, sie ist nicht ihre Ursache», sagt Martin Bühler, Generalsekretär von IRI Europe, einem transnationalen Thinktank für direkte Demokratie. Nach der Minarettverbotsabstimmung vom letzten Wochenende muss das laut gesagt werden.

Die Mehrheit der abstimmenden Stimmbevölkerung hat auf demokratischem Weg die muslimische Minderheit diskriminiert, die im gesamten Ausland als gemäs­sigt bekannt ist. In der Schweiz scheint das anders zu sein, denn hier hat vielleicht das Pamphlet der Frauenliteraturautorin Julia Onken sogar das Stimmverhalten von Feminis­tinnen und anderen Frauen beeinflusst, die sonst nicht ausländerfeindlich abstimmen. Dagegen hatte sich etwa der feministische interreligiöse Thinktank (www.interrelthinktank.ch) gewendet, aber wohl erfolglos. Noch sind die Analysen nicht veröffentlicht, nur die Befürchtungen.

Wieso sind Onkens Brandsätze über die inferiore Stellung der Frau im Islam, die durch Minarette zementiert würde, überhaupt veröffentlicht worden? Onken schreibt in der Sonderausgabe ihres Newsletter 11-2009: «Der Koran, der für Moslems als Gesetzesquelle gilt, schreibt frauenfeindliche und Frauen verachtende Regeln vor, zum Beispiel Verhüllung des ganzen Körpers ausser Hände und Gesicht, Zwangsheirat, Ehrenmord, Züchtigung durch den Ehemann bei Ungehorsam. Moscheen sind Männerhäuser, Minarette sind männliche Machtsymbole. Mit dem Bau von Minaretten wird gleichzeitig ein sichtbares Zeichen für die staatliche Akzeptanz der Unterdrückung der Frau gesetzt.»

In dieser Logik müsste subito die Schleifung der Kirchtürme gefordert werden. Ohne Zweifel gibt es noch einige Schweizerinnen, deren Stellung als Frauen nicht wesentlich besser ist als zu Gotthelfs Zeiten. Ebenso zweifellos gibt es auch Muslimas in der Schweiz, die häusliche Gewalt und religiöse Unterdrückung erleben. Wie kommen einheimische und ausländische Frauen in der Schweiz zu ihrem Recht? Nicht ohne ihre eigene Stimme. Besser zu wissen, was für Muslimas gut ist, als die diversen Muslimas selbst, ist sicher nicht feministisch, sondern Kolonialismus pur. Die fundamentalistische Auslegung des Korans, gegen die sich muslimische Frauenrechtlerinnen seit Jahren wehren, zum Nennwert zu nehmen und alle Muslimas in der Schweiz zu einer indifferenten Ansammlung von Opfern zu erklären, nimmt ihnen die Stimme.

Das Abstimmungsergebnis lässt einen Blick der Stimmberechtigten auf die muslimische Gemeinschaft befürchten, der von den Türken vor Wien über den 11. September 2001 und die Taliban bis zu den vier bisher gebauten Minaretten schwammig ist. Solcher Umgang mit der Minderheit stärkt deren Isolation und Identität als «Fremde», nicht Öffnung oder Dialog.

Die alltägliche Gewalt gegen Frauen in der Schweiz kann nicht bei einer Minderheit entsorgt werden. Das Spiel «Wer fürchtet sich vorm muslimischen Mann?» lenkt von den heimischen Gewaltverhältnissen ab. Es ist eine traditionelle rhetorische Figur rechtspopulis­tischer Männer, dass sie ins Feld ziehen müssen zum Schutz von Weib und Kind und zur Rettung der fremden Frauen draussen vor den fremden Männern. Zuletzt wurde sie beim Angriff auf Afghanistan wiederbelebt. Den hiesigen Muslimas nützt sie wohl kaum.

Helfen würde ein gesetzlicher Schutz für gewaltbetroffene Migrantinnen, der bisher immer wieder im Ständerat scheitert, ein humanitäres Bleiberecht der Kantone für die Opfer von Frauenhandel. Helfen würde das AusländerInnenstimmrecht. Auch der direkten Demokratie.

*Aus: Schweizer Wochenzeitung WOZ, 3. Dezember 2009


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