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"Schweiz hat relativ große Waffenindustrie"

Die Alpenrepublik exportiert Militärtechnik für anderthalb Milliarden Euro, unter anderem an die Bundesrepublik. Ein Gespräch mit Thomas Leibundgut *


Thomas Leibundgut ist politischer Sekretär der pazifistischen »Gruppe für eine Schweiz ohne Armee« (GSoA).

Kleines Land mit großer Rüstungsproduktion: Einem kürzlich veröffentlichten Bericht des Staatssekretariats für Wirtschaft, SECO, zufolge, hat die Alpenrepublik im vergangenen Jahr Rüstungsgüter für 563 Millionen Franken exportiert. Gleichzeitig wies Ihre GSoA darauf hin, dass Militärtechnik für 1,4 Milliarden Franken ausgeführt wurde. Was stimmt nun?

Das SECO konstruiert hier einen künstlichen Unterschied zwischen »Kriegsmaterial« und »besonderen militärischen Gütern« – und zählt dann nur ersteres. Zum Kriegsmaterial gehören etwa Panzer und Raketen, während die besonderen Güter nicht direkt Waffen sind, aber dennoch militärisch eingesetzt werden. Beispielsweise Tarnnetze oder Software. Diese Ausfuhr hatte vergangenes Jahr einen Wert von über 887 Millionen Franken. Zählt man beides zusammen, kommt man auf Rüstungsexporte von 1,45 Milliarden Franken.

Ein stattlicher Betrag für ein Land mit acht Millionen Einwohnern.

Rechnet man die Ausfuhrsumme pro Kopf, dann ist die Schweiz weit oben in der Rangliste waffenexportierender Länder. Es wird vom Ausland zwar nur selten wahrgenommen, doch hat das Land eine relativ große Waffenindustrie. So gibt es etwa eine bundeseigene Waffenfirma, die RUAG. Auch die Rheinmetall Air Defence hat ihren Sitz in der Schweiz. Hinzu kommt noch die Mowag, ein Hersteller von militärischen Fahrzeugen, der mittlerweile in amerikanischer Hand ist.

Was wird dort hergestellt?

Die Mowag produziert etwa den sogenannten »Eagle«, ein gepanzertes Radfahrzeug, das Transportaufgaben für Personal und Güter übernehmen kann. Der wurde im letzten Jahr für rund 100 Millionen Franken nach Deutschland exportiert. Ebenfalls interessant sind Luftabwehrsysteme, die 2014 an die Philippinen versandt wurden. Auch Kleinkalibermunition und Handgranaten kommen aus der Schweiz.

Sie haben die Bundesrepublik bereits erwähnt, an wen wird noch geliefert?

Im letzten Jahr gingen Exporte in 72 Länder auf allen Kontinenten. Der größte Teil davon nach Westeuropa und in die USA. Allerdings sind schon auf Platz sieben die Vereinigten Arabischen Emirate, auf Platz acht Bahrein. Auch Saudi-Arabien nimmt eine wichtige Position ein.

Menschenrechtserwägungen scheinen bei den Ausfuhrbewilligungen von Mordgerät keine große Relevanz zu haben.

Es gibt in der Schweiz die Kriegsmaterialverordnung, deren Einführung vor einigen Jahren auch auf Druck der GSoA geschah. An Länder, die die Menschenrechte systematisch und schwerwiegend verletzen, dürfte demnach nicht geliefert werden. Doch seit November ist nun ein Zusatzparagraph gültig, der die Verordnung verwässert. Wenn ein geringes Risiko besteht, dass mit der gelieferten Waffe Menschenrechte verletzt werden, darf sie nun auch an Länder verkauft werden, die für deren Missachtung bekannt sind. Man kann also problemlos eine Flugabwehrkanone nach Saudi Arabien exportieren, weil die für gewöhnlich nicht gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt wird.

Wieso wurden die restriktiveren Regeln geschleift?

Die Schweizer Waffenindustrie wollte »wettbewerbsfähig« bleiben. Bis zu dieser Verwässerung hatten wir strengere Bestimmungen für die Ausfuhr von Waffen als die Europäische Union. In der EU besteht kein grundsätzliches Waffenexportverbot in Länder, die Menschenrechte missachten. Dort wurden solche Bestimmungen schon früher an die jeweilige Waffe gekoppelt, die verkauft werden soll. Das hat die Schweiz nun übernommen.

Begeisterungsstürme wird das bei Ihnen wohl kaum ausgelöst haben?

Um Himmels willen, nein! Wenn in der EU die entsprechenden Bedingungen lockerer sind als in der Schweiz, dann ist das doch kein Grund, sie hier nach unten anzupassen. Man hätte sich gegenüber Brüssel für strengere Vorschriften einsetzen zu müssen. Aber nun sind wir wieder in einem klassischen »Race to the bottom«. Aber darin ist die Schweiz ja ohnehin wahnsinnig gut, nicht nur auf dem Gebiet der Rüstungsexporte.

Also, was tun?

Wir sind gerade dabei, eine Kampagne gegen die Waffenindustrie vorzubereiten. Sie wird demnächst starten und auch die Produktion von und die Investitionen in Kriegsmaterial kritisieren. Solange sich die Schweiz an Waffenherstellung und -handel beteiligt, solange beteiligt sie sich auch am Krieg.

Interview: Johannes Supe

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 4. März 2015


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