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"Heute Nacht beginnt eine neue Ära"

Herausforderer Sall wird neuer Präsident Senegals / Präsident Wade räumt Niederlage ein *

Macky Sall dürfte nächster Präsident der westafrikanischen Republik Senegal werden. Gleich nach Bekanntwerden erster Wahlergebnisse gestand Amtsinhaber Wade seine Niederlage ein und gratulierte seinem Herausforderer zum Sieg.

Der friedliche Machtwechsel bei der Präsidentschaftswahl in Senegal ist im In- und Ausland begrüßt worden. Die Europäische Union sprach am Montag (26. März) von einem »großen Sieg für die Demokratie in Senegal und in Afrika«. Die nahezu umgehende Anerkennung des Sieges von Oppositionskandidat Macky Sall durch den bisherigen Amtsinhaber Abdoulaye Wade mache dem ganzen Kontinent »Ehre«, hieß es bei der Afrikanischen Union (AU).

Der 85-jährige Wade gratulierte Sall noch am Sonntagabend in einem Telefonat zu seinem Wahlsieg. Offizielle Wahlergebnisse werden zwar erst am heutigen Dienstag oder am Mittwoch erwartet; Sall lag jedoch in den meisten Wahllokalen deutlich vor Wade. Selbst in Wades Wahlkreis in Dakar erlitt der bisherige Staatschef eine deutliche Niederlage. Der 50-jährige Sall erklärte, das senegalesische Volk sei der »wahre Sieger« der Wahl. »Ich werde der Präsident aller Senegalesen sein. Heute Nacht beginnt eine neue Ära.« Tausende Menschen feierten Salls Wahlsieg am Montag in Dakar.

»Senegal ist ein sehr gutes Beispiel für Afrika«, erklärte ein Sprecher der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes begrüßte in Berlin den »friedlichen und demokratischen Verlauf« der Wahlen. Dies sei ein »Zeugnis der demokratischen Reife« des Landes, sagte er.

Der französische Staatschef Nicolas Sarkozy sagte, Salls Sieg sei eine »sehr gute Nachricht für Afrika im Allgemeinen und für Senegal im Besonderen«. Auch dem unterlegenen Amtsinhaber Wade wolle er dazu gratulieren, dass die Wahl so »würdig« über die Bühne gegangen sei. AU-Kommissionspräsident der Afrikanischen Union Jean Ping erklärte, der Wahlverlauf sei das »beredte Zeugnis für die Lebendigkeit der senegalesischen Demokratie«.

Sieg für das senegalesische Volk!«, titelte die Zeitung »Walf Fadjiri« am Montag. Der Schriftsteller Mamadou Thiam sagte: »Wade hat die einzige Karte gespielt, die es ihm ermöglichte, durch die Tür abzutreten und nicht durch das Fenster der Vergangenheit.«

Die Kandidatur des seit 2000 amtierenden Wade war äußerst umstritten: Nach Ansicht der Opposition durfte er sich gemäß der Verfassung nicht ein drittes Mal bewerben. Die einstige Kolonialmacht Frankreich und auch die USA hatten an Wade appelliert, nicht erneut anzutreten. Angesichts der heftigen Proteste gegen Wades Kandidatur vor der ersten Runde der Wahlen mit sechs Toten waren Befürchtungen laut geworden, es könne nach der Stichwahl vom Sonntag zu neuer Gewalt kommen.

In der Südregion Casamance vertrieben bewaffnete Männer am Sonntag Bürger aus einigen Wahllokalen. Nach Angaben aus Militärkreisen, von Augenzeugen und örtlichen Politikern wurde jedoch keine Waffe eingesetzt und niemand verletzt. In den übrigen Landesteilen blieb es ruhig.

300 ausländische Beobachter überwachten die Stichwahl, vor allem von der AU, der Europäischen Union und der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft.

Zur Abstimmung waren 5,3 Millionen der 13 Millionen Senegalesen aufgerufen. Wade hatte im ersten Durchgang mit 34,8 Prozent die meisten Stimmen erhalten. Sall kam mit 26,6 Prozent auf den zweiten Platz. Doch vor der Stichwahl erhielt Sall die Unterstützung aller zwölf anderen Kandidaten, die in der ersten Runde ausgeschieden waren.

Sall gehörte früher selbst zu den Vertrauten des Präsidenten. Er war von 2001 bis 2003 Bergbauminister, dann bis 2004 Innenminister und von 2004 bis 2007 Regierungschef. Nach seinem Bruch mit Wade gründete er eine eigene politische Partei.

* Aus: neues deutschland, 27.03.2012


Machtwechsel in Senegal

Von Martin Ling **

Wer nicht hören will, muss fühlen: Wade, c'est fini!, hieß es in Senegal allerorten schon vor der Stichwahl. Nun ist es definitiv: Der seit 2000 amtierende Präsident Abdoulaye Wade hat verloren. Es gebührt ihm Respekt dafür, dass er seine Schlappe umstandslos anerkannt hat und sich nicht wie manch anderer Potentat mit Wahlfälschung und Gewalt an die Macht klammert. Denn, soviel ist sicher: Mangelnder Machtwillen kann dem seit 2000 amtierenden 85-jährigen Präsidenten nicht vorgeworfen werden. Schließlich ließ er die Verfassung so umbiegen, dass ihm eine dritte Kandidatur überhaupt erst ermöglicht wurde. Mit diesem Manöver wollte er eine Wade-Dynastie einleiten, in der sein Sohn Karim ihm folgen sollte. Doch von Dynastien haben nicht nur die Senegalesen die Nase voll.

Nach Ende der 19-jährigen Ära Abdou Dioufs 2000 kommt nun die Ära Wade nach zwölf Jahren zum Schluss. Der zweite friedliche Machtwechsel via Urnengang ist für afrikanische Verhältnisse durchaus bemerkenswert und nach wie vor alles andere als selbstverständlich.

Auf Wade folgt nun sein einstiger Weggefährte Macky Sall. Für einen grundsätzlichen Kurswandel und eine Abkehr von der marktliberalen Politik Wades steht Sall nicht. Bei der Eindämmung der massiven Armut hatte Wade keinen Erfolg. Auch Sall wird daran gemessen werden.

** Aus: neues deutschland, 27.03.2012 (Kommentar)


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