Nächste Runde im Streit um Kosovo
Scheitern die Wiener Gespräche über die Dezentralisierung der Provinz?
Von Marko Winter*
Die Wiener Gespräche über die Dezentralisierung der südserbischen, von der UNO beaufsichtigten
Provinz Kosovo sollen am 4. Mai in ihre vierte Runde gehen. Sowohl in Belgrad als auch in Pristina,
Washington und Brüssel sieht man derzeit wenig Chancen für einen erfolgreichen Verlauf.
Anfang April war in Wien die dritte Runde der Verhandlungen zwischen Serben und Kosovo-
Albanern ohne greifbare Ergebnisse zu Ende gegangen. Durch eine Dezentralisierung – die
Gewährung größerer Befugnisse an die einzelnen Gemeinden – sollten eigentlich die Grundlagen für
den Beginn von Verhandlungen über den künftigen Status der serbischen Provinz geschaffen
werden. Doch zeigt sich, dass schon jetzt die unterschiedlichen Ziele hinsichtlich des Status auf die
Gespräche durchschlagen.
Die Führung der Kosovo-Albaner lässt keinen Zweifel daran, dass sie nur die vollständige
Unabhängigkeit akzeptiert. Demzufolge legte sie ein Konzept der Selbstverwaltung für alle
Gemeinden vor, das nach Verkündung der Unabhängigkeit in Kraft treten soll. Belgrad dagegen
lehnt eine endgültige Lostrennung Kosovos – also eine Änderung der international anerkannten
Grenzen Serbiens – als völkerrechtswidrig ab. Wohl aber will man der Provinz eine sehr weit
gehende Autonomie zugestehen.
Die internationalen Vermittler, insbesondere Martti Ahtisaari als Sonderbeauftragter des UNGeneralsekretärs
und die internationalen Kontaktgruppe, machen derweil kein Geheimnis daraus,
dass sie Kosovo zumindest eine »eingeschränkte« Unabhängigkeit unter internationaler Aufsicht
gewähren und die Verhandlungen bis Ende 2006 abschließen wollen. Alle Versuche, die Belgrader
Führung durch die Aussicht auf Schuldenerlass oder Erleichterungen auf dem Wege in Richtung EU
zu Zugeständnissen zu bewegen, sind jedoch bisher ergebnislos geblieben. Und Drohungen der
USA und Großbritanniens, eine Lösung notfalls auch ohne serbische Zustimmung durchzusetzen,
sind international wenig populär.
So wissen die Vorkämpfer eines unabhängigen Kosovos nach wie vor nicht, wie dieses Ziel zu
erreichen ist. Unzufriedenheit herrscht vor allem in Pristina. Dort hatte man darauf spekuliert, dass
die Wiener Verhandlungen mehr oder weniger symbolischen Charakter tragen und dass rasch ein
Rahmenplan für die Unabhängigkeit vorgelegt würde. Die UN-Mission in Kosovo (UNMIK) und
internationale Organisationen bemängeln indessen, dass es in den letzten Monaten keinerlei
Fortschritte bei der Durchsetzung demokratischer und menschenrechtlicher Standards gegeben hat.
Die albanische Zeitung »Zeri« orakelte sogar, dass die Verhandlungen deshalb im Juni ausgesetzt
werden könnten.
Die Wahl des in Serbien wegen Kriegverbrechen in Kroatien und Kosovo gesuchten Generals Agim
Ceku zum Ministerpräsidenten Kosovos hat die Situation keineswegs erleichtert. Im Gegenteil: Erst
recht weigerten sich die Kosovo-Serben, an der Arbeit der provisorischen Organe in der Provinz
teilzunehmen. Bedingung sind für sie spezielle Rechte der serbisch dominierten Gemeinden: Sie
wollen sowohl mit Pristina als auch direkt mit Belgrad zusammenarbeiten und in Fragen der Bildung,
des Gesundheitswesens, der Kultur von Serbien finanziert werden. Dem will die Kosovo-Führung
jedoch nur zustimmen, wenn die Gelder aus Belgrad nicht direkt an die Gemeinden, sondern an die
Regierung in Pristina überwiesen werden.
Nach dem Misslingen der dritten Gesprächsrunde in Wien berichtete die Zeitung »Koha Ditore« in
Pristina, Ahtisaari wolle im Juni ein Treffen zwischen Agim Ceku und dem serbischen
Ministerpräsidenten Vojislav Kostunica organisieren, um die Verhandlungen aus der Sackgasse
führen. Doch bisher lehnt Kostunica aus begreiflichen Gründen ein solches Treffen ab. Bei einem
Besuch in Paris kündigte er kürzlich an, dass Serbien einen eigenen Plan bezüglich des endgültigen
Kosovo-Status vorlegen wird. Davon wiederum will Martti Ahtisaari Zeitpunkt nichts hören, er will
dem UN-Sicherheitsrat seine Strategie im Juli vortragen.
In Südosteuropa selbst findet die serbische Haltung, wonach ein notwendiger Kompromiss den
Prinzipien des Völkerrechts Rechnung tragen muss, durchaus Unterstützung. Rumäniens Präsident
Traian Basescu beispielsweise sprach sich unlängst in Belgrad gegen die Schaffung neuer Staaten
und die Veränderung von Grenzen auf dem Balkan aus.
Sollten sich die streitenden Parteien nicht doch noch auf einen Kompromiss einigen, wären neue
gefährliche Spannungen in und um Kosovo zu befürchten. Auch direkte Angriffe gegen die in
Kosovo stationierten NATO-Truppen (KFOR) und gegen Angehörige der UN-Verwaltung wären nicht
mehr auszuschließen.
* Aus: Neues Deutschland, 4. Mai 2006
Zurück zur Seite "Serbien-Montenegro"
Zur Seite "NATO-Krieg gegen Jugoslawien"
Zurück zur Homepage