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"Auf Knien" um Verzeihung gebeten

Serbiens Präsident Nikolic äußert öffentlich Bedauern über "Verbrechen in Srebrenica" *

Der serbische Präsident Tomislav Nikolic hat sich erstmals für das Massaker von Srebrenica entschuldigt.

»Ich bitte auf Knien darum, dass Serbien für dieses in Srebrenica begangene Verbrechen verziehen wird«, sagte Präsident Tomislav Nikolic in einem Interview mit dem bosnischen Fernsehen, das in Auszügen am Donnerstag veröffentlicht wurde. Von Völkermord sprach Nikolic nicht. Auf Vorhaltungen, ob die Massentötungen nicht die Kennzeichen eines Völkermordes trügen, entgegnete Nikolic: »Alles, was im ehemaligen Jugoslawien geschehen ist, hatte die Kennzeichen eines Völkermords.« Trotz all des Übels, das stattgefunden hat, müssen wir jetzt im Interesse unserer Bürger nach vorne schauen«, hieß es aus dem Präsidialamt.

Die Ereignisse nach der Eroberung der ostbosnischen Stadt Srebrenica durch bosnisch-serbische Verbände im Juli 1995 wurden vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag 2007 als Völkermord eingestuft, wofür Serbien jedoch nicht verantwortlich gemacht wurde. Etwa 8000 muslimische Bosniaken sollen den Massakern zum Opfer gefallen sein. Nach serbischer Darstellung sind allerdings viele im Kampf gefallen. Von Völkermord wollen offizielle serbische Stellen deshalb nicht sprechen. Nikolic hatte noch im Juni vergangenen Jahres gesagt, es sei »sehr schwierig«, vor Gericht zu beweisen, »dass ein Ereignis die Form eines Völkermordes hatte«. In dem Interview entschuldigte er sich für die »Verbrechen, die im Namen unseres Staates und unseres Volkes« von Einzelnen verübt wurden.

Nikolics Vorgänger Boris Tadic hatte unter anderem durchgesetzt, dass das Belgrader Parlament das Massaker von Srebrenica verurteilte; in seiner Amtszeit wurden der ehemalige bosnische Serbenführer Radovan Karadzic und der bosnisch-serbische Armeechef Ratko Mladic an das Haager Tribunal überstellt. Tadic begab sich im Jahr 2005 zu den Gedenkfeiern in Srebrenica und bat die Angehörigen der Opfer um Verzeihung.

Bevor Nikolic Präsident wurde, trat er solchen Entwicklungen entgegen. Serbien strebt allerdings den Beitritt zur Europäischen Union an, und Nikolic befleißigt sich seit geraumer Zeit einer gemäßigten, EU-freundlichen Sprache.

Die Vorsitzende der Vereinigung der Mütter von Srebrenica, Munira Subasic, war »nicht davon überzeugt«, dass Nikolic seine Äußerungen ernst meine. »Wir wollen den serbischen Präsidenten und Serbien das Wort ›Völkermord‹ sagen hören.«

* Aus: neues deutschland, Freitag, 26. April 2013


Nikolic "auf Knien"

Von Detlef D. Pries **

Der serbische Präsident Tomislav Nikolic galt einst als radikaler Nationalist, der - wie er selbst bekannte - von »Großserbien« träumte. Entsprechend giftig wurde im Ausland vor knapp einem Jahr seine Wahl zum Staatsoberhaupt kommentiert. Noch in dieser Woche lehnte es der kroatische Vertreter im dreiköpfigen Staatspräsidium von Bosnien-Herzegowina ab, seinen serbischen und seinen bosniakischen Kollegen nach Belgrad zu begleiten. Deren Gastgeber Nikolic überraschte jetzt mit einem Kniefall, der Eilmeldungen auslöste: Er entschuldigte sich für Verbrechen, die namens des serbischen Staates und des Volkes von Einzelnen begangen wurden. »Auf Knien« bitte er darum, »dass Serbien für das in Srebrenica begangene Verbrechen verziehen wird«. Ist Nikolic an seinem Amt gewachsen oder ist er vor der EU zu Kreuze gekrochen? Schon Amtsvorgänger Boris Tadic hatte die Angehörigen der Opfer von Srebrenica um Verzeihung gebeten, das serbische Parlament hat die Massaker verurteilt, obwohl Serbien vom Haager Gerichtshof nicht dafür verantwortlich gemacht wurde. An offiziellen Reuebekundungen von serbischer Seite mangelt es also nicht. Zeigten die anderen Parteien der jugoslawischen Sezessionskriege doch nur ähnliche Reue! Denn niemand kann bestreiten, dass in diesen Kriegen abscheuliche Verbrechen auf allen Seiten begangen wurden. Einer aufrichtigen Versöhnung der Völker in Südosteuropa dient nicht, wer - wie seinerzeit der deutsche Außenminister Klaus Kinkel - allein »Serbien in die Knie zwingen« will.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 26. April 2013 (Kommentar)


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