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"Die Mörder sind ungeschoren davongekommen"

Eines der NATO-Opfer wurde verurteilt: Exchef des Belgrader Senders RTS seit acht Jahren im Knast. Gespräch mit Ljiljana Milanovic *

Ljiljana Milanovic war Redakteurin des Belgrader Senders Radio Television Serbien (RTS), den ihr Mann Dragoljub Milanovic als Direktor leitete. Vor genau elf Jahren, am 23. April 1999 wurde das RTS-Gebäude von der NATO bombardiert, wobei 16 Menschen ums Leben kamen.



Seit fast acht Jahren sitzt Ihr Ehemann im Gefängnis. Er wurde verurteilt, weil er es angeblich versäumt habe, vor dem Bombenangriff der NATO die Mitarbeiter zu evakuieren. Warum wird ihm angelastet, den Tod von 16 Menschen verschuldet zu haben?

Dragoljub ist die einzige Person, die jemals wegen des Aggressionskrieges der NATO gegen Jugoslawien vor Gericht gestellt und verurteilt worden ist. Die wirklichen Täter wollen sich so ihrer Verantwortung entziehen –schließlich hat die NATO mit diesem Angriff ein Kriegsverbrechen begangen. Das Opfer wurde verurteilt, die Mörder kommen ungeschoren davon.

Ihr Mann wurde beschuldigt, er habe eine amtliche Anweisung mißachtet, die Mitarbeiter zu evakuieren ...

Er wurde aufgrund eines Entwurfs verurteilt, den irgend jemand irgendwo ausgedruckt hat – vor Gericht wurde das Papier als »Order 37« präsentiert. Dieser Entwurf trägt weder Stempel noch Siegel, der Verfasser wurde nie identifiziert. Ein Zeuge behauptete in dem Verfahren, das Original sei am 5. Oktober 2000 verbrannt worden, als der vom Westen gesteuerte Mob das RTS-Gebäude in Brand setzte und meinen Mann dabei halbtot schlug.

Nicht einmal in der Sicherungsdatei, in der alle »geheim« eingestuften Dokumente als Kopien gespeichert wurden, ist eine Version des Originals zu finden. Angeblich ist es bei der erwähnten Brandstiftung mit der Tasche des damaligen Sicherheitsbeauftragten von RTS, Slobodan Perisic, in Flammen aufgegangen. Mein Mann hatte ihm schon 1998 die Verantwortung für die Sicherheit übertragen.

Auf Basis eines solchen Nicht-Dokuments wurde Ihr Mann also für zehn Jahre eingesperrt?

So ist es – aber das Papier verlangte ja nicht einmal die Evakuierung! Im Text heißt es, es liege im Ermessen des Direktors, ob und wann er die Arbeit in ein anderes Gebäude verlegt.

Hintergrund für diese Absurditäten ist der »demokratische Wandel« in Serbien, also der am 5. Oktober 2000 vom Westen inszenierte Staatsstreich. Danach wurde die Anklage Serbiens gegen verantwortliche NATO-Politiker zurückgezogen – statt dessen kam der RTS-Chef vor Gericht. Der Prozeß war eine Propaganda-Show: Der Anklageteil war öffentlich, der Verteidigungsteil wurde geheimgehalten. Als der Oberste Gerichtshof das Urteil bestätigte, behauptete er wahrheitswidrig, die Öffentlichkeit sei von der Verteidigung gar nicht ausgeschlossen gewesen.

Richtig ist allerdings, daß ich mich damals gezwungen sah, die Geheimhaltung zu durchbrechen, indem ich Journalisten Kopien von Dragoljubs Verteidigungsrede aushändigte. Daraufhin wurde ich selbst verurteilt –wegen Verrats von Staatsgeheimnissen. Ein kafkaesker Prozeß!

Wurde Ihr Mann stellvertretend für die Milosevic-Regierung verurteilt, die sich von den NATO-Staaten nichts vorschreiben lassen wollte?

Natürlich, er war immerhin Direktor einer staatlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt in der Zeit von Milosevic, als sich das Land gegen den NATO-Angriff verteidigte. Wir haben damals Bilder der durch Bomben getöteten und verwundeten Zivilisten in alle Welt gesendet. Die NATO hat diese Opfer damals zynisch als »Kollateralschaden« abgetan – wozu dann nur nicht die 16 getöteten RTS-Kollegen gerechnet wurden.

Aus Anlaß des zehnten Jahrestages des NATO-Angriffs hat 2009 erstmals eine internationale Delegation Ihren Mann im Gefängnis besucht – dabei waren der Schriftsteller Peter Handke und die Anwältin Tiphaine Dickson. Hatte die Visite Folgen?

Der Besuch hat Dragoljub sehr viel bedeutet. Wir beide hatten das Gefühl, nicht allein zu stehen. Seine Haftbedingungen wurden indes nicht besser. Er kann zweimal im Monat für ein, zwei Stunden Besuch von Familienangehörigen erhalten. Ausgang wird ihm im Gegensatz zu mehrfachen Mördern seit Jahren verweigert. Es gibt aber auch einen Hoffnungsschimmer: Die irische Aktivistin June Kelly hat es vermocht, die irische Sektion von Amnesty International (AI) nach dem Solidaritätsbesuch für diesen Fall zu interessieren. Nun wurde die AI-Zentrale in London beauftragt, den Fall zu untersuchen.

Interview: Cathrin Schütz

* Aus: junge Welt, 23. April 2010


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