Serbien verzichtet nicht auf Kosovo
Führung der Kosovo-Albaner droht mit einem Aufstand
Von Marko Winter, Belgrad *
Einen Monat nach den neuen Unruhen zwischen Serben und Albanern in der geteilten Stadt
Kosovska Mitrovica ist die Brücke zwischen den Stadtteilen der beiden Volksgruppen jetzt wieder
geöffnet worden. Während der UN-Sonderbeauftragte Martti Ahtisaari meint, dass die Serben selbst
schuld seien, wenn ihnen Kosovo genommen würde, hat sich das Belgrader Parlament kürzlich in
seltener Einmütigkeit gegen die Abspaltung der Provinz ausgesprochen.
Es ist kein Geheimnis, dass vor allem die USA, aber auch die Mehrheit in der EU, mit allen Mitteln
versuchen, die Verhandlungen über den zukünftigen Status von Kosovo bis Ende dieses Jahres
abzuschließen. Dabei besteht kein Zweifel daran, dass das Ergebnis eine volle oder zumindest
bedingte Unabhängigkeit, auf jeden Fall aber die Lostrennung Kosovos von Serbien sein soll. Doch
je näher das Jahresende rückt, umso häufiger wird die Frage nach dem Wie gestellt. Völkerrechtlich
gehört Kosovo zu Serbien, die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates vom Juni 1999 hat es
bestätigt. Doch gab es zuletzt nicht wenige Versuche, Serbien mit Versprechungen – schnelle
Aufnahme in NATO und EU, umfangreiche ökonomische Hilfe usw. – zum freiwilligen Verzicht auf
die Provinz zu bewegen. Oder man bemühte sich, ähnlich wie 1999 in Rambouillet, die serbische
Seite zum Verlassen der Verhandlungen zu provozieren – siehe die Erklärung von Ahtisaari. Folgte
damals der völkerrechtswidrige NATO-Angriff, könnte man dieses Mal Serbien als Strafe 15 Prozent
seines Territoriums nehmen.
In Belgrad hat diese Politik vor allem dazu geführt, dass die extrem nationalistische Radikale Partei
Vojislav Seseljs zur stärksten Kraft aufstieg und nach Umfragen bei den angestrebten Wahlen mit
bis zu 40 Prozent der Stimmen rechnen könnte. Und in Kosovo spitzt sich die Lage weiter zu. Noch
immer wurde niemand für die Pogrome gegen die serbische Bevölkerung im März 2004 zur
Verantwortung gezogen. In den letzten Wochen nahm die Zahl der antiserbischen Übergriffe wieder
deutlich zu. Deshalb hat der Auftritt des neuen Chefs der UN-Verwaltung (UNMIK) vor dem
Weltsicherheitsrat in Belgrad starke Verwunderung ausgelöst. Der deutsche Diplomat Joachim
Rücker bezeichnete dieser Tage die Lage in Kosovo in seltsamer Logik als »stabil, aber brüchig«
und machte sich für eine schnelle Entscheidung über den Status stark, weil sonst weitere
Spannungen und Schwierigkeiten drohten. Dahinter verbirgt sich aus serbischer Sicht wohl auch die
Furcht vor neuen Unruhen und Angriffen der Albaner, sollte ihrer Forderung nach bedingungsloser
Unabhängigkeit nicht stattgegeben werden. Kosovos Parlamentspräsident Kolj Berisha hat bereits
gedroht, dass es im Fall der Verschiebung einer Entscheidung über die Unabhängigkeit »zum
Aufstand kommen könnte«.
Während das von Serbiens Ministerpräsident Vojislav Kostunica als direkte Bedrohung des Friedens
in der Region verurteilt wurde, haben bisher weder Rücker noch Ahtisaari Berisha in die Schranken
gewiesen. Die serbische Führung erklärt nach wie vor ihre Bereitschaft zu Verhandlungen mit
Pristina und zu einer Kompromisslösung unter Achtung des Völkerrechts und Wahrung der
territorialen Souveränität Serbiens. Obwohl die Parteien in Belgrad völlig zerstritten sind – so
nehmen die Abgeordneten der Demokratischen Partei (DS) von Präsident Boris Tadic schon seit
Oktober 2005 nicht an den Sitzungen des Parlaments teil –, zeigen sie sich jetzt in der Kosovo-
Frage einig. Alle im Parlament vertretenen Kräfte haben einstimmig beschlossen, eine
entsprechende Formulierung in die neue serbische Verfassung aufzunehmen, die nun doch bis
Ende des Jahres verabschiedet werden und nach einem Referendum in Kraft treten soll. Der
Regierungsvorschlag für die Präambel dieser Verfassung lautet: »Die Provinz Kosovo und
Methohien ist ein Bestandteil Serbiens und genießt eine wesentliche Autonomie im Rahmen des
souveränen Staates Serbien.« Niemand in Belgrad ist bereit, auf 15 Prozent des Territoriums zu
verzichten, damit auf serbischem Gebiet ein zweiter unabhängiger albanischer Staat gebildet
werden kann.
Was aber passiert, wenn der UN-Sicherheitsrat Serbien eine solche Lösung aufzwingen will? Die
Erklärung Präsident Wladimir Putins, dass Russland von seinem Vetorecht Gebrauch machen
könnte, wenn eine für Belgrad nicht annehmbare Lösung vorgeschlagen werde, wird hier zwar
begrüßt und als gutes Zeichen gewertet. Doch hat die bisherige Haltung Moskaus auch viele Zweifel
ausgelöst. Deshalb nutzt Präsident Tadic die gegenwärtige UNO-Vollversammlung, um deutlich zu
machen, dass Serbien zwar eine Verhandlungslösung anstrebt, eine völkerrechtswidrige
Lostrennung Kosovos aber niemals akzeptieren würde. Alles andere wäre nicht nur ein
Präzedenzfall in den internationalen Beziehungen, so die Argumentation, es würde in der Region
und darüber hinaus auch für neue Instabilität sorgen.
* Aus: Neues Deutschland, 27. September 2006
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