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Der Ischinger-Plan

Der EU-Verhandlungsführer bei den Kosovo-Gesprächen läßt erstmals Sympathien für eine Teilung der Provinz erkennen

Von Jürgen Elsässer *

Jetzt kommt Schwung in die Sache: Erstmals hat nicht irgendein Hinterbänkler, sondern einer der Entscheider in der europäischen und deutschen Politik eine neue Idee für die Zukunft des Kosovo auf den Tisch gelegt. Wolfgang Ischinger verhandelt seit gut zwei Wochen zusammen mit dem russischen Emissär Alexander Botsan-Chartschenko und dem US-Vertreter Frank Wisner mit den Konfliktparteien. Das Mandat hat die Troika im Juni von der sogenannten Balkankontaktgruppe bekommen, die ihrerseits wiederum vom UN-Sicherheitsrat beauftragt worden war. Die Vereinten Nationen gingen diesen unkonventionellen Weg, nachdem die von ihrem Kosovo-Beauftragten Martti Ahtisaari geleiteten Verhandlungen in Wien nach über einjähriger Dauer im Frühjahr 2007 abgebrochen worden waren.

Mission Impossible

Am zweiten Augustwochenende sprachen Ischinger und seine zwei Kollegen mit der serbischen Regierung und der kosovoalbanischen Provinzadministration. Dabei bekamen sie dieselben unversöhnlichen Standpunkte zu hören wie bisher: Belgrad will der Region alles an Selbstverwaltungskompetenz und internationalen Vertretungsrechten zugestehen, was unterhalb der Schwelle der Eigenstaatlichkeit möglich ist. Pristina will aber genau diese Schwelle unbedingt überschreiten – über alles weitere ließe man ansonsten mit sich reden.

Daraufhin bemerkte Ischinger am 17. August gegenüber Pressevertretern, die Troika werde »jede Übereinkunft« unterstützen, auf die sich beide Parteien verständigen. Als er gefragt wurde, ob dies auch eine mögliche Teilung der Provinz einschließe, antwortete er: »Wenn sie das wollen. Wir drängen beide Parteien dazu, die eingefahrenen Gleise zu verlassen.« Eine Teilung würde das Gebiet zwischen Nord-Mitrovica und der innerserbischen Grenze, wo ein Gutteil der noch verbliebenen 100 000 Orthodoxen lebt, vom Rest der Provinz und den dort wohnenden knapp zwei Millionen Albanern trennen.

Ischingers Statement ist ein Bruch mit der bisherigen Linie der NATO-Staaten. Bis dato hatten Washington, Brüssel und Berlin den sogenannten Ahtisaari-Plan unterstützt, der eine »kontrollierte Unabhängigkeit« des Kosovo mit der EU als Mandatsmacht vorsieht. Nachdem dieser Plan im Sicherheitsrat an der Veto-Drohung Rußlands im Mai/Juni scheiterte, wurden die Differenzen innerhalb des atlantischen Blocks unübersehbar: Die US-Regierung versprach den Albanern eine baldige Anerkennung ihres neuen Staates auch ohne UN-Segen – also völkerrechtswidrig. Die EU lehnte eine Umgehung des Sicherheitsrates ab und hoffte weiter auf ein Einlenken Belgrads und Moskaus. Daß dies eine Illusion ist, muß Ischinger spätestens jetzt klargeworden sein – deswegen die neuen Töne.

Ein mögliches Szenario

Allerdings hat die deutsche Diplomatie an dieser Option B schon länger gearbeitet. Bereits Mitte Juli hatte der regierungsnahe Think-Tank »Stiftung Wissenschaft und Politik« (SWP) das Tabu gebrochen und die »Teilung als alternatives Szenario« skizziert. »Genauso abwegig wie die Annahme, daß Belgrad jemals wieder die Kontrolle über die gesamte Provinz erreichen könnte, ist auch die Vorstellung, daß Pristina die Herrschaft über den Norden der Provinz irgendwann vollständig gewinnt, außer mit Hilfe fremder Truppen.« Mit einer Teilung, so SWP-Autor Dusan Reljic, müsse gerechnet werden, »wenn es zur Anerkennung der einseitig ausgerufenen Unabhängigkeit Kosovos durch einzelne Staaten kommen sollte«. Dies ist eine Anspielung auf die Ankündigung der USA, das Kosovo nach Ablauf der jetzigen Verhandlungsrunde, also möglicherweise schon zum Jahresende, diplomatisch anzuerkennen.

Im Unterschied zum Ahtisaari-Plan, der die vollständige Amputa­tion der Provinz von Serbien vorsieht, versucht der Ischinger-Plan die serbischen Interessen wenigstens ein Stück weit mitzuberücksichtigen. Trotzdem wird man sich im Auswärtigen Amt nicht die Illusion machen, daß die Teilungsidee von den Konfliktparteien unterstützt wird. Man stellt sich in Berlin eher auf ein Wild-West-Szenario ein, wie die gewöhnlich gut informierte FAZ Mitte August durchblicken ließ. Dort wurde der Vorstoß der Belgrader Regierung, zum Schutz der serbischen Siedlungsgebiete im Kosovo endlich wieder Sicherheitskräfte in die Provinz zu entsenden – was nach der UN-Resolution 1244 durchaus möglich ist – nicht in Bausch und Bogen abqualifiziert, sondern als Tendenz gewertet, daß sich die Serben damit auf eine mögliche Teilung des Kosovo vorbereiteten. Denkt man den FAZ-Ansatz weiter, wäre es vorstellbar, daß die deutschen Truppen im Kosovo – das Gros der KFOR-Besatzung – sowohl eine völkerrechtswidrige Abspaltung des Kosovo von Serbien tolerieren würden, wie auch in der Folge den Einmarsch serbischer Verbände in den Norden der Provinz und dessen Anschluß an das Mutterland. Das ist ein ziemliches irres Szenario – aber genau dafür ist der Balkan bekannt.

* Aus: junge Welt, 27. August 2007


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