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Russland fordert weitere Gespräche über Zukunft des Kosovo

Von Jelena Schesternina, Moskau *


Die Vermittler-Troika (die USA, die EU und Russland), die sich monatelang mit einer eleganten Lösung des Kosovo-Problems herumgeschlagen hat, muss ihre Niederlage eingestehen.

Im Abschlussbericht, den sie dem UN-Generalsekretär Ban Ki Moon vorzeitig vorgelegt hatte (geplant war der 10. Dezember), gibt es keine einzige konkrete Empfehlung - weder für Belgrad noch für Pristina noch für die UNO selbst. Wie wird das Geschehen weitergehen? Womit wird Moskau antworten, wenn die Kosovo-Regierung ihre Drohungen verwirklicht und einseitig eine Unabhängigkeit verkündet?

Die Mission der Kosovo-Troika ist gescheitert. Es hätte auch nicht anders kommen können. Die Positionen ihrer Vertreter waren von Anfang an viel zu gegensätzlich. Washington bestand auf die Unabhängigkeit der südserbischen Provinz, Moskau versuchte mit allen möglichen Mitteln zu beweisen, dass keine Eile nötig sei. Und die EU lavierte, da sie eigentlich die Interessen aller 27 Mitgliedsländer vertreten sollte, zwischen den zwei Positionen. Nicht alle Europäer würden sich über einen neuen Staat auf der Weltkarte freuen. Am stärksten protestieren Spanien, Griechenland, Rumänien und die Slowakei. Ihnen ist sehr wohl bewusst: Sobald sich das Kosovo für unabhängig erklärt, werden ihre eigenen Separatisten ruckartig mit denselben Forderungen aktiver werden.

Doch der größte Stolperstein sind zweifellos nicht die Positionen der Vermittler. Die Serben waren praktisch zu allem bereit. Sie wollten Pristina die größtmögliche Autonomie und solche Rechte, wie es eine Autonomie in keinem anderen Land genießt, gewähren, wenn nur das Wort „Unabhängigkeit“ nicht die Runde macht. Doch die Kosovaren hatten sofort den Beschluss gefasst: Ihre Abtrennung von Serbien ist nur eine Frage der Zeit. Ja, sie waren bereit, die diplomatische Prozedur einzuhalten und sich mit den Serben an einen Verhandlungstisch zu setzen, doch nicht mehr. Wozu auch, wenn die USA und einige europäischen Länder ihnen diese Unabhängigkeit im Voraus versprochen hatten? Was sie damit anfangen wollen, wissen die Kosovaren selber nicht genau. Vermutlich hoffen sie, dass der Westen sich mit mehr Elan für die Lösung ihrer zahlreichen wirtschaftlichen Probleme engagieren wird.

Moskau versucht immer noch, zu zeigen, dass es verfrüht ist, einen Punkt hinter der Frage der Unabhängigkeit der Region zu setzen. Doch der Punkt scheint bereits gesetzt zu sein. Und die Kosovaren scheinen Recht zu haben mit ihrer „Frage der Zeit“. Darin liegt auch das größte Rätsel: Wann kommt die Unabhängigkeit offiziell zustande und wie wird das aufgeführt?

Das Szenario, nach dem alles bis Jahresende geschehen soll, ist bislang mehr oder weniger klar. Nachdem Ban Ki Moon den Bericht vorgetragen hatte, wird dieser dem UN-Sicherheitsrat vorgelegt. Die Diskussion im Sicherheitsrat verspricht, spannungsgeladen zu werden, doch das Ergebnis ist von vornherein klar: Moskau wird sich kategorisch gegen jedes Dokument wenden, in dem das Wort „Unabhängigkeit“ vorkommt. Wenn es Russland gelingt, den Westen von einer neuen Verhandlungsrunde zu überzeugen, wird es sein größter außenpolitischer Sieg im Jahr werden. Doch die Chancen stehen schlecht.

Die meisten Experten sind der Meinung, dass die Kosovaren es nicht wagen, sich gleich nach dem Flop der UN-Debatte für unabhängig zu erklären. Erstens müssen sie auf die Präsidentschaftswahl in Serbien warten, deren erste Runde am 20. Januar über die Bühne geht. Zweitens wäre es nicht schlecht, sich außer den USA auch die Unterstützung des „vereinten Europa“ zu sichern. Die führenden Politiker der EU-Länder werden in dieser Woche beim Gipfeltreffen in Brüssel versuchen, ihre Handlungen zur „Kosovo-Frage“ abzustimmen. Solange gibt die bisher verkündete Position Hoffnung: Die EU erklärte mehrmals, dass einseitige Schritte der Kosovo-Regierung verhindert werden müssen.

Es gibt mindestens zwei geheime Pläne, die die Europäer entwickeln. Das heißt, die Pläne von jenen, die keine Gefahr im Präzedenzfall Kosovo sehen. Wie die Verfasser des Berichts der International Crisis Group behaupten, werden Großbritannien, Deutschland, Italien und Frankreich die Unabhängigkeit der Provinz bis Mai 2008 unterstützen. Anfänglich werden sie versuchen, beim Brüsseler Treffen eine gemeinsame Erklärung zu erreichen, dass die EU die Kosovo-Verhandlungen für beendet sieht und dass der beste Ausweg aus der Sackgasse eine Rückkehr zum Ahtisaari-Plan wäre (Martti Ahtisaari ist UN-Sonderbeauftragter für das Kosovo, der einen Unabhängigkeitsplan ausgearbeitet hatte). Wenn Spanien, Griechenland und die anderen Länder, die gegen den Ahtisaari-Plan sind, sich weiter sträuben, wird die Europäische Kommission jedem Land freie Hand geben, ob sie die Region anerkennt oder nicht.

Die zweite Variante wurde von Paris entwickelt. Nach Angaben, die in die Presse durchgesickert waren, wird Pristina im Januar „eine letzte Warnung“ geben und sich im Februar offiziell unabhängig erklären. Albanien wird das neue Land als erstes anerkennen, dann folgen die USA, die islamischen Länder und einige EU-Mitglieder.

Was bleibt Moskau in diesem Fall übrig? Nicht viel. Die Variante einer „adäquaten Antwort“, also eine Anerkennung der Unabhängigkeit von Südossetien, Abchasien und Transnistrien, wird kaum angewendet werden. Außenminister Sergej Lawrow hatte mehrmals verkündet, dass das Außenamt im rechtlichen Rahmen handeln und keine Verletzung der territorialen Integrität anderer Länder eingehen werde. Es hat auch wenig Sinn, sich weiter mit Georgien zu streiten. Zumal der Westen sich bestimmt für Tiflis einsetzen wird. Er hat sich nicht umsonst mit der Erklärung abgesichert, dass der Fall Kosovo einmalig sei. Niemand wird die Kosovo-Unabhängigkeit rückgängig machen, doch Russland wird mit den Problemen an den eigenen Grenzen überhäuft. Wer die Präsidentschaftswahl auch gewinnen mag, Tiflis wird die offizielle Abspaltung der abtrünnigen Republiken nicht tatenlos hinnehmen.

Es geht also höchstwahrscheinlich wieder um diplomatische Schritte Moskaus. Zum Beispiel wird Moskau den Beitritt Kosovos zur OSZE und, was für Pristina viel wichtiger ist, zur UNO behindern. Denn ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrates kann Kosovo kein Mitglied der Vereinten Nationen werden.

* Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 10. Dezember 2007



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