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Grünes Licht für Besatzungstruppen

Die Mehrheit im Reichstag ohne völkerrechtliche Grundlage für ihre Kosovopolitik

Von Jürgen Elsässer *

Der Bundestag hat entschieden, die Abspaltung Kosovos von Serbien weiter durch die Bundeswehr zu unterstützen.

Mit großer Mehrheit hat der Bundestag am gestrigen Donnerstag (29. Mai) das Mandat der Bundeswehr für Kosovo um ein weiteres Jahr verlängert. Dort stellen die Deutschen mit knapp 3000 Soldaten das größte Kontingent in der 16 000 Mann starken Besatzungstruppe KFOR. DIE LINKE hatte mit gutem Grund den Abzug gefordert: Das völkerrechtliche Mandat für KFOR beruht auf der UN-Resolution 1244 vom Sommer 1999. Diese Resolution geht aber an mehreren Stellen von der Zugehörigkeit Kosovos zu Serbien aus. Mit der einseitigen Abtrennung der Provinz vom Mutterstaat am 17. Februar dieses Jahres wurde sie Makulatur – es sei denn, die KFOR würde sich, entsprechend ihrem Mandat, um die staatliche Integrität Serbiens bemühen. Zumindest die Bundesregierung will das aber definitiv nicht: Sie wird, wie Aussenminister Frank-Walter Steinmeier gestern betonte, das Kosovo auf dem eingeschlagenen Weg unterstützen.

Gefahr der Zuspitzung

Die frischgebackene Republika Kosova besteht bisher nur auf dem Papier. Die albanische Bevölkerungsmehrheit hat zwar eine Regierung gebildet, eine Staatsflagge gewählt und unter US-Auspizien sogar eine Verfassung ausgearbeitet, die Mitte Juni verabschiedet werden soll. Aber im Norden der Provinz verweigern die nicht-albanischen Minderheiten, vor allem Serben und Roma, dem Regime in der Hauptstadt Pristina jeden Gehorsam. Anfang März kam es zu tagelangen Unruhen in der Serbenmetropole Nord-Mitrovica, Grenzstationen zum Mutterland gingen in Flammen auf.

Die große Gefahr besteht darin, dass die Separatisten mit Hilfe der NATO-Truppen die unbotmäßigen Bevölkerungsgruppen unter ihre Knute zwingen. Ein entsprechendes Szenario war bereits im Herbst 2006 von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), einem der wichtigsten Think Tanks der Bundesregierung, durchgespielt worden. Die Durchsetzung einer Kosovo-Lösung werde »nachhaltiges diplomatisches Engagement fordern und die politischen, militärischen und finanziellen Ressourcen der EU (...) beanspruchen«, schrieb damals einer der SWP-Experten. Eine Intervention könnte dabei nicht nur aufs Kosovo zielen, sondern auch auf das eigentliche Serbien: Der SWP-Autor prognostizierte eine Situation, »die an die Krise im Jahr 1999 erinnert« – also an den NATO-Bombenkrieg! Unruhen in Kosovo könnten auf die kernserbischen Gebiete Vojvodina, Sandzak und das Presevo-Tal übergreifen. »Organisierte Massendemonstrationen mit Zusammenstößen zwischen gemäßigten und radikalen Kräften sowie mit der Polizei könnten bis zur Auflösung staatlicher Strukturen führen«, hieß es.

Genau diese Situation droht jetzt. Nicht nur Kosovo ist instabil, sondern Serbien insgesamt. Im Sandzak drängen radikale muslimische Gruppen auf größere Autonomie. In der reichen Nordregion Vojvodina hat am vergangenen Sonntag ein Wahlbündnis die absolute Mehrheit gewonnen, das eine schnelle EU-Aufnahme Serbiens fordert. Die wird jedoch abgelehnt von den Parteien des sogenannten patriotischen Blocks, die derzeit über die Bildung einer neuen Regierung für den Gesamtstaat verhandeln. Dass das klappt, ist wahrscheinlicher geworden, seit sich die drei ungleichen Partner – Radikale, Nationaldemokraten und Sozialisten – zu Wochenanfang über eine gemeinsame Regionalregierung für die Hauptstadt Belgrad verständigt haben. Lässt sich dieses Modell auf die nationale Ebene übertragen, werden sich die autonomistischen Tendenzen in der Vojvodina verstärken. Der deutsche Botschafter Andreas Zobel hatte bereits im April 2007 die serbische Regierung aufgefordert, die Abspaltung Kosovos hinzunehmen, ansonsten werde »auch die Frage der Vojvodina und des Sandzak« aufs Tapet kommen. Zobel wurde daraufhin ausgetauscht – routinemäßig, wie es hieß. FDP: Ein »Jammerspiel«

Bei der Debatte im Reichstag war die pausbäckige Zuversicht des Aussenministers am unerträglichsten. Steinmeier lobte die Fortschritte auf dem Balkan und betonte, dass diese sich »unserer Bereitschaft, militärisch einzugreifen«, verdankten. Kein Wort zu den völkerrechtlichen Problemen der Kosovo-Sezession.

Immerhin hatte der FDP-Abgeordnete Rainer Stinner den Mut, seinen Kollegen ein ungeschminktes Bild der Situation zu geben. »Die UNMIK hat es in acht Jahren nicht geschafft, das Kosovo zu stabilisieren«, kritisierte er die Arbeit der UN-Verwaltung. Die Stromversorgung im Kosovo sei instabil, Korruption weit verbreitet. Die russische Reaktion auf die Abspaltung der Provinz habe man »völlig falsch eingeschätzt«.

Aufmerken ließen Äußerungen Stinners über die Widersprüche zwischen den NATO-Großmächten. In Brüssel gebe es keine Kommunikation zwischen der EU und der NATO. Dies wirke sich insbesondere auf die geplante Polizeimission EULEX aus. EULEX im Zwielicht

Unter der Bezeichnung EULEX bereitet die EU die Entsendung von knapp 2000 Beamten ins Kosovo vor, die angeblich beim Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen helfen sollen. Mittlerweile hat die USA, ohne von der EU eingeladen worden zu sein, ihre Beteiligung angekündigt. Allerdings ist die völkerrechtliche Basis für EULEX noch weniger gegeben als für KFOR: Es gibt nämlich keinen Beschluss des UN-Sicherheitsrates, die Kompetenzen der bisherigen UNMIK-Verwaltung ganz oder teilweise auf EULEX zu übertragen. Selbst der in Washington ersonnene Trick, die EU-Truppe hilfsweise vom UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon einladen zu lassen, ist bisher nicht aufgegangen. Der Südkoreaner, ansonsten den USA zugetan, sperrt sich standhaft. Stinner sprach richtig von einem »Scherbenhaufen, was die EULEX-Mission angeht«.

Trotz seiner Kritik befürwortete Stinner eine Fortsetzung des KFOR-Mandates. Ein Abzug sei »unverantwortlich«, es drohe »Chaos«. In das selbe Horn stieß Verteidigungsminister Franz Josef Jung.

Das zielte gegen DIE LINKE, für die Monika Knoche sprach. Sie machte klar, dass die »desolate Bilanz« von UNMIK und KFOR das Resultat eklatanter »Fehlentscheidungen« sei. Sie konnte sich darauf berufen, dass die Anerkennung des Kosovo von drei Viertel der Staaten auf der Welt und immerhin sieben EU-Mitgliedern abgelehnt wird.

Die Mehrheit im Plenarsaal des Bundestages ließ das kalt: Man hat auf dem Amselfeld der albanischen Terrorbewegung UCK einen Staat geschenkt, und damit das nicht im »Chaos« endet, will man nun mit eigenen Truppen vor Ort bleiben. So mandatiert sich der Bock zum Gärtner.

* Aus: Neues Deutschland, 30. Mai 2008


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