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Kolonialverwalter sind zufrieden

Der Ärger der Einheimischen wächst

Von Hannes Hofbauer *

Niemand in Kosovo - das sich albanisch Kosova nennt - kann ernsthaft bestreiten, dass der »jüngste europäische Staat« ein Jahr nach seiner Unabhängigkeitserklärung abhängiger denn je ist.

Nach wie vor in Kraft ist die UN-Resolution 1244, die Kosovo als »integralen Bestandteil« Jugoslawiens (Serbiens) begreift. Solange Russland und China an ihr festhalten, bleibt die internationale Wahrnehmung hinsichtlich des Status Kosovos geteilt. So gelang es Serbien im Herbst 2008, seine völkerrechtlichen Einwände gegen die Sezession seiner Südprovinz zu internationalisieren: 77 UN-Mitglieder stimmten dafür, den Fall an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu übergeben.

Zum anderen stimmte Belgrad im November 2008 dem bereits im Juni entwickelten Sechspunkteplan von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zu. Ban schlägt darin Verhandlungen zwischen serbischer und kosovarischer Seite über folgende Punkte vor: Polizei, Zoll, Justiz, Eigentum, Bildung und Flüchtlingsrückkehr. Keine Kleinigkeiten also, die unter UN-Ägide diskutiert werden sollen. Die Regierung in Pristina befürchtet zu Recht, den mit militärischer Unterstützung der NATO erkämpften Status neuerlich zur Disposition stellen zu müssen. Entsprechend ablehnend äußerte sie sich und wird von den USA unterstützt.

Zufrieden mit der Situation in Kosovo sind Tausende von internationalen »Helfern«. Zwischen 30 000 und 50 000 Ausländer verdienen hier gutes Geld, die Mehrheit davon als Soldaten in der Truppe KFOR. Dazu kommen Zivilisten aus mindestens 50 Staaten, die sich unter Kürzeln wie UNMIK, OSZE, EULEX, ICO, US-Aid und hunderterlei Nichtregierungsorganisationen tummeln und für so gut wie alles zuständig sind, obwohl die wenigsten von ihnen die nötigen Kenntnisse aufweisen, geschweige denn albanisch oder serbisch sprechen.

Immer mehr Kosovo-Albaner wenden sich verärgert von dieser Kolonialstruktur ab. Allein die Einkommensdifferenz zwischen einem durchschnittlich verdienenden Kosovaren und einem ausländischen Verwalter offenbart die Obszönität der Situation: Während ein Arzt in Pristina nicht viel mehr als 300 bis 350 Euro monatlich erhält, sackt ein befristet im Fremdland tätiger deutscher Jurist im Dienste der »Rechtstaatsmission« EULEX gut und gerne 5000 Euro ein.

Die bedeutendste Initiative, die sich seit Jahren gegen das koloniale Gebaren wehrt, ist die Gruppe »Selbstbestimmung«. Landauf, landab sind ihre Parolen an Wänden oder als Folien auf Verkehrsampeln zu lesen: »Selbstbestimmung ja -- EULEX nein« oder »UNMIK nein«.

Das durchschnittliche Jahreseinkommen der Einheimischen beträgt ein Achtundzwanzigstel des deutschen. Die Arbeitslosenrate beläuft sich auf 40 Prozent. Ein Rentner muss mit monatlich 50 Euro sein Auskommen finden. Und 15 Prozent der Bevölkerung leben von weniger als einem Dollar pro Tag. Das sind großteils jene, die man als »Internationaler« gar nicht zu Gesicht bekommt, weil sie sich in den Dörfern mit halb-subsistenter Lebensweise über Wasser zu halten versuchen.

Die Industrieproduktion ist laut Riinvest-Institut (Pristina) seit 1989 um zwei Drittel geschrumpft. Die Mängel der Energieversorgung dröhnen täglich in den Ohren, wenn sich Dieselaggregate zu Tausenden einschalten, um Häuser und Geschäfte mit Strom zu versorgen. Korruption, Drogen-, Waffen- und Menschenhandel aber blühen.

Sozial gesehen gilt Kosova als schwarzes Loch. Die neue Verfassung sieht keinerlei Rechte für Arbeiter oder auch nur die Koalitionsfreiheit für Gewerkschaften vor. Sie operieren im gesetzlosen Raum, die Regierung nimmt sie überhaupt nicht wahr.

Politisch ist die Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovos ins Stocken geraten. Die »internationale Gemeinschaft« setzt nach dem Machtwechsel in Belgrad auf die dortigen liberalen Kräfte und wird die national agierende albanisch-kosovarische Elite zunehmend leid.

Ökonomisch war die Eigenständigkeit des Landes von Anfang an eine Illusion. Die »überwachte Unabhängigkeit« dient in erster Linie als Spielwiese der kolonialen Herrschaft. Brüssel ist gerade dabei, sie langfristig abzusichern.

Von Hannes Hofbauer erschien im Herbst 2008: »Experiment Kosovo. Die Rückkehr des Kolonialismus« (Wien, Promedia Verlag).

* Aus: Neues Deutschland, 17. Februar 2009


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