Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kosovo-Politiker müssen weiter zittern

EU-Sonderermittler bestätigt Praxis des illegalen Handels mit den Organen Getöteter »in sehr begrenztem Maß«

Von Thomas Roser, Belgrad *

Etliche Verbrechen kosovo-albanischer »Befreiungskämpfer« sind noch immer ungeklärt. Demnächst aber könnten auch heutige Politiker Kosovos vor Gericht stehen.

Ehemalige Kommandeure der »Befreiungsarmee Kosovos« (UÇK) müssen weiter zittern. Ein von der EU bestellter Sonderermittler, der US-amerikanische Jurist Clint Williamson, kündigte am Dienstag in Brüssel neue Anklagen gegen führende, aber noch nicht namentlich genannte frühere Kommandeure wegen Kriegsverbrechen an.

Die seinerzeit von den UÇK-Chefs zumindest sanktionierten Gewaltexzesse hätten »kein höheres Ziel« verfolgt, sondern nur der Selbstbereicherung und der Sicherung der eigenen Macht gedient: »Als Individuen müssen sie die Verantwortung für die begangenen Verbrechen tragen«, sagte Williamson. Diese Personen trügen Verantwortung »für eine Verfolgungskampagne, die sich gegen ethnische Serben, Roma und andere Minderheiten in Kosovo richtete«. Auch Albaner seien als angebliche Kollaborateure verfolgt worden.

Bereits 2010 hatte Dick Marty, Berichterstatter des Europarats, Kosovos derzeitigen Premier Hashim Thaçi für den illegalen Handel mit Organen verantwortlich gemacht, die gefangenen Serben entnommen wurden. Die EU setzte daraufhin im Herbst 2011 ein von Williamson geführtes Sonderermittlungsteam ein. Dessen nach dreijährigen Untersuchungen veröffentlichter Bericht hat die Vorwürfe des Organhandels zwar relativiert, könnte sich aber für heute führende Politiker Kosovos noch als gefährlicher Stolperstein erweisen: Neben Premier Thaçi, der die Vorwürfe stets bestritt, müssen wohl auch dessen möglicher Nachfolger und Rivale Ramush Haradinaj und der potenzielle Koalitionspartner Fatmir Limaj neue Prozesse wegen Kriegsverbrechen fürchten.

Die Beweislage für eine Anklage wegen Organhandels hält Williamson noch für unzureichend, man werde aber weiter suchen. Zwar seien nicht Hunderte vermisste oder getötete Serben Organhändlern zum Opfer gefallen, doch gebe es »überzeugende Hinweise darauf, dass diese Praxis in einem sehr begrenzten Maße stattfand«. Auf Nachfrage von Journalisten präzisierte er, es gehe um »weniger als zehn« Fälle. »Doch selbst im Fall, dass nur eine Person dieser furchtbaren Praxis ausgesetzt war, mindert das das Teuflische einer solchen Tat keineswegs.«

Wie Marty hatte sich Williamson bei seinen Ermittlungen auf das Schicksal von 470 vermissten Zivilisten konzentriert, die unmittelbar nach Ende des Kriegs und dem Einmarsch der NATO-Truppen im Juni 1999 von der UÇK verschleppt und ermordet wurden – rund 370 von ihnen waren Kosovo-Serben.

Ausdrücklich bedauerte der Sonderermittler die Verzögerung bei der Einrichtung eines Kosovo-Tribunals: »Wir sind in der Rechtspraxis ein Präzedenzfall. Wir haben zwar Ankläger, aber noch kein Gericht.« Überdies klagte Williamson über die anhaltende Zeugeneinschüchterung in Kosovo. Politiker und Journalisten, die Zeugen wegen deren Aussagebereitschaft verurteilten, »verteidigen Kosovo keineswegs, sondern geben dessen Zukunft preis.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch 30. Juli 2014


Fahndung nach Sündenböcken

Detlef D. Pries über die Untersuchung von Kriegsverbrechen in Kosovo **

Für Kriegsverbrechen führender Mitglieder der »Befreiungsarmee Kosovos« (UÇK) gebe es »ausreichende Beweise«, stellte EU-Chefermittler Clint Williamson jetzt fest – 15 Jahre nach dem Ende des Krieges in und um Kosovo. Aus gutem Grund nannte Williamson jedoch keine Namen. Man erinnere sich des Falles Ramush Haradinaj. Der einstige UÇK-Kommandeur, der gerade wieder Regierungschef in Kosovo werden will, stand schon zweimal vor dem Jugoslawien-Tribunal, wurde aber »mangels Beweisen« freigesprochen. Im Laufe des Verfahrens hatten allerdings nicht weniger als 19 Zeugen das Zeitliche gesegnet, andere ihre Aussage zurückgezogen.

Die Zeugeneinschüchterung dauert an, bestätigte Williamson jetzt. In Kosovo werden nämlich auch Kriegsverbrecher und -gewinnler als Freiheitskämpfer gefeiert. Und den westlichen Paten des »jüngsten Staates in Europa« gelten frühere Terroristen, Drogen- und Menschenhändler inzwischen als ehrenwerte, weil verhandlungswillige Politiker. Schon 2008 beklagte sich die ehemalige Chefanklägerin des Haager Tribunals, Carla del Ponte, bitter darüber, dass Ermittlungen gegen UÇK-Größen »im Keim erstickt worden« seien, denn man habe sich auf die Verfolgung serbischer Kriegsverbrechen konzentriert. Bleibt abzuwarten, wer nun wann in der Rolle des Sündenbocks vor Gericht gestellt wird.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch 30. Juli 2014 (Kommentar)


Zurück zur Serbien-Seite

Zur Serbien-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage