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Große Koalition im Kosovo

NATO zufrieden. Fünf Monate nach der Wahl verständigen sich Parteien auf neue Regierung

Von Roland Zschächner *

Die Clans haben sich geeinigt. Im Kosovo wird es eine Koalitionsregierung zwischen der »Demokratischen Partei des Kosovo« (PDK) des Ministerpräsidenten und ehemaligen Kommandanten der UÇK, Hashim Thaçi, und der »Demokratischen Liga des Kosovo« (LDK) unter Isa Mustafa geben. Darauf haben sich beide Parteien am späten Mittwoch abend in Pristina verständigt. Zu den Gesprächen eingeladen hatte Präsidentin Atifete Jahjaga. Mit am Tisch saß auch die US-Botschafterin Tracey Ann Jacobson.

Bei den im Juni abgehaltenen vorgezogenen Parlamentswahlen in der seit 2008 einseitig und völkerrechtswidrig von Serbien abgespaltenen Provinz ging keine Partei als klarer Sieger hervor. Die PDK erhielt 30,38 Prozent der Stimmen, die oppositionelle LDK wurde mit 25 Prozent zweitstärkste Kraft. Vier weiteren Parteien gelang ebenfalls der Einzug. Seitdem wurde über die Bildung eines Kabinetts gestritten.

Wer im Kosovo regiert, kann unter anderem über die Verteilung der westlichen »Hilfsgelder« in Millionenhöhe entscheiden. Damit verbunden sind lukrative Aufträge für Firmen und gutbezahlte Posten. Außerdem vermag die herrschende Partei, »unliebsame« Kontrahenten aus dem Weg zu räumen sowie den Schmuggel zu kontrollieren. Das Balkanland ist eines der wichtigsten Transitländer für den Drogen-, Menschen- und Waffenhandel in Europa.

Die nun getroffene Vereinbarung sieht laut lokalen Medien vor, dass der LDK-Vorsitzende und ehemalige Bürgermeister von Pristina, Isa Mustafa, neuer Premier des NATO-Protektorats wird. Außerdem sollen PDK und LDK die gleiche Anzahl an Ministerposten erhalten. Der bisherige Regierungschef Thaçi soll 2016 ins Amt des Präsidenten aufrücken.

Die Vertreter der NATO, die mit den KFOR-Truppen de facto das Sagen haben, waren mit dem späten Ergebnis vom Mittwoch zufrieden. Nicht zuletzt US-Botschafterin Jacobson drängte beide Parteien, endlich ein Kabinett zu bilden. Der britische Botschafter, Ian Cliff, erklärte am Donnerstag gegenüber Radio Dukagjini, er werde sich »nicht in die Bildung der neuen Institutionen einmischen«. Mit dem nun gefundenen Kompromiss wurde auch ein Ausgleich zwischen den Interessen der EU, die durch die LDK vertreten werden, und denen der USA erreicht. Washington setzt seit den 90er Jahren auf Thaçi.

Welche politischen Ziele die Parteien verfolgen, ist unbedeutend. In einem Land, in dem der Großteil der Jugend »Mafiaboss« als Berufswunsch nennt, dienen Parteien den Zwecken krimineller Clans. Thaçi steht wie kaum ein anderer für dieses System: Als UÇK-Anführer bekämpfte er mit Unterstützung der NATO die serbische Regierung und sorgte für die Vertreibung der nichtalbanischen Minderheiten. Dabei füllten sich auch seine Konten. Heute ist der vom Westen Hofierte in Amt und Würden und noch immer gut »im Geschäft«.

Untersuchungen zeigen, dass Thaçi an schweren Kriegsverbrechen beteiligt war. So wird er im Bericht des Schweizer Europaratsabgeordneten Dick Marty über illegalen Organhandel als Verantwortlicher genannt. Die UÇK hat laut dem Rapport serbische Gefangene ausgeweidet und ihre Organe verkauft.

Eine juristische Verfolgung hat Thaçi wie auch andere kosovarische Kriminelle weder von Den Haag noch von der »Rechtsstaatlichkeitsmission der Europäischen Union« (EULEX) zu befürchten. Diese dient dazu, Serben wie den seit zehn Monaten inhaftierten Politiker Oliver Ivanovic zu verurteilen.

EULEX hat sich auch sonst gut im Kosovo integriert: Ende Oktober erhob die ehemalige britische Staatsanwältin Maria Bamieh Korruptionsvorwürfe gegen hohe EU-Beamte. So soll ein Untersuchungsrichter einen Dreifachmörder und Bombenleger für 300.000 Euro auf freien Fuß gesetzt haben. Die Untersuchungen dazu laufen, erklärte ein EULEX-Vertreter am Mittwoch. Einem Offiziellen sei bereits die Immunität entzogen worden.

* Aus: junge Welt, Freitag, 21. November 2014


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