Tummelplatz für Dschihadisten
Das Kosovo ist eine der wichtigsten Drehscheiben für den "Islamischen Staat" in Europa
Von Roland Zschächner *
Unter den Augen der NATO und der Europäischen Union entwickelt sich das Kosovo zu einem der wichtigsten Stützpunkte der Dschihadisten des »Islamischen Staates« (IS) in Europa. Am Mittwoch räumte der Leiter der Polizeidirektion, Shpend Maxhuni, vor dem Sicherheitsausschuss des Parlaments in Priština ein, dass momentan rund 100 Kosovaren auf seiten des IS in Syrien und Irak kämpften. Gegen eine ebenso große Zahl von mutmaßlichen IS-Unterstützern wurden im vergangenen Jahr Strafverfahren eingeleitet, darunter auch gegen den Chefimam der Moschee in Priština, der Ende 2014 für einige Tage in Untersuchungshaft genommen worden war.
Doch auch im Land selbst wächst die Gefahr von Anschlägen. So nahm die Polizei vor zwei Wochen fünf Männer fest, die geplant haben sollen, das Trinkwasser von Priština zu vergiften. Drei Männer wurden damals nahe dem Badovac-See gestellt. Bei ihnen wurde eine Tasche mit Gift gefunden, die Wasserversorgung der Hauptstadt wurde für mehrere Stunden unterbrochen. Zwei der Verdächtigen sollen laut Medienberichten für den IS im Nahen Osten gekämpft haben.
Unlängst waren Dokumente über Anschlagspläne im Kosovo und in Mazedonien öffentlich geworden. So soll ein kosovoalbanischer IS-Kämpfer Sympathisanten der Miliz aufgefordert haben, Ziele in Priština und Skopje zu attackieren und möglichst viele Opfer und Schäden zu hinterlassen. In Mazedonien wurden daraufhin die Sicherheitsmaßnahmen verschärft. Im Juli tauchten zwei Videos des IS auf. In einem ruft ein Dschihadist dazu auf, auf dem Balkan während des Fastenmonats Ramadan möglichst viele »Ungläubige« zu töten. In dem zweiten Film mit dem Titel »Der Weg zum Kalifat«, wird damit gedroht, Serbien und andere Balkanländer unter die Kontrolle des IS zu bringen.
Insgesamt 232 Kosovaren kämpften laut einer Mitte April dieses Jahres vorgestellten Studie des von den USA und der EU finanzierten Kosovarischen Zentrums für Sicherheitsstudien (KCSS) auf seiten des IS. Skënder Hyseni, Innenminister des Kosovos, sprach Anfang März sogar von 300 Landsleuten, die seit 2012 als Freiwillige in die Kriege nach Syrien und den Irak gezogen sind; rund 50 von ihnen seien dort getötet worden. Wie hoch die Zahl der Rückkehrer ist, ist unklar. Im vergangenen August wurden 40 Männer im Kosovo verhaftet, die für den IS in Syrien und im Irak gekämpft haben sollen.
Die serbische Provinz Kosovo, die 2008 mit Hilfe der NATO und der EU einseitig ihre Unabhängigkeit erklärte, ist mit ihren 1,8 Millionen Einwohnern ein bevorzugtes Rekrutierungsgebiet der Islamisten in Europa. Außerdem hat sich das Land für die Dschihadisten zu einer der wichtigsten Transitstationen in Europa auf dem Weg in den Nahen Osten entwickelt.
Der Politikwissenschaftler Necmettin Spahiu aus Priština erklärte gegenüber der Belgrader Zeitung Politika, für den Erfolg der Islamisten sei die kosovarische Regierung verantwortlich, weil sie keine Perspektive bieten würde. Armut und Arbeitslosigkeit bestimmen das Leben der Mehrheit der jungen Generation. Der IS bekommt indes Geld aus Saudi-Arabien, Katar und anderen Golfstaaten, mit dem sie ihre Kämpfer bezahlen kann. Vor allem die serbische Minderheit im Kosovo befürchtet, dass kriegserfahrene Rückkehrer auf dem Balkan ein Kalifat ausrufen könnten.
Dschihadisten kamen erstmals massenhaft in den 90er Jahren während des Jugoslawien-Krieges auf den Balkan, wo sie sich den bosnisch-muslimischen Einheiten anschlossen. Nach dem Ende des Konflikts zog ein Teil von ihnen zum nächsten Kriegsschauplatz. Ein anderer Teil blieb, um mit finanzieller und logistischer Unterstützung von Saudi-Arabien dessen mittelalterliche Auslegung des Islams zu verbreiten.
Dschihadistische Gruppen sind im Kosovo seit dem Krieg der UÇK gegen die serbische Regierung 1999 präsent. Damals kämpften die Islamisten auf seiten der Separatisten. Seit Jahren bauen sie mit finanzieller Hilfe aus Saudi-Arabien ihre Strukturen in dem Land aus, wie die KCSS-Studie feststellt. So bildet Riad wahabitische Prediger aus und finanziert diese nebst modernen Moscheen. Doch auch sogenannte Nichtregierungsorganisationen (NGO) dienen den Islamisten als Rekrutierungsbüros. Meistens haben diese NGOs einen karitativen Anstrich und sind in der Türkei oder den Golfstaaten registriert.
Dass dies alles unter den Augen der USA und der EU, die den Kosovo zu einer Kolonie gemacht haben, geschieht, ist kein Zufall. Die ehemaligen UÇK-Kader haben sich nach der Machtübernahme auf ihren Posten eingerichtet und versuchen, ihre Pfründe bestmöglich zu verteidigen. Die Islamisten indes können bei Bedarf in Stellung gebracht werden, egal ob zur Destabilisierung einzelner Staaten oder auch als Argument für militärische Interventionen.
* Aus: junge Welt, Samstag, 25. Juli 2015
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