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Auf dem Weg zum Frieden?

11 Jahre Krieg in Sierra Leone - Und die Rolle der "Blutdiamanten"

Der Abspann des Ende Januar 2007 in Deutschland angelaufenen Hollywood-Films spricht davon, dass in Sierra Leone seit fünf Jahren Frieden herrsche. Das gehört zu den Übertreibungen, deren sich solche Produktionen häufig bedienen. Dass das bürgerkriegsgeschundene Land auch fünf Jahre nach dem Waffenstillstand von einem wirklichen Frieden immer noch weit entfernt ist, zeigt der folgende Artikel. Wir haben ihn der "Kampagne Fatal Transactions" entnommen, die von "medico international" initiiert wurde und getragen wird.



Zeittafel

  • 1930 erster Diamantenfund
  • 1961 Unabhängigkeit
  • 1991 Ausbruch des Bürgerkrieges
  • 1996 Ahmed Tejan Kabbah gewinnt die Wahlen
  • 1999 Entsendung einer UN-Friedenstruppe
  • 2001 Friedensvertrag
  • 2002 der Krieg ist beendet
  • 2004 Sierra Leone liegt im Entwicklungsindex auf dem letzten Platz

Über den Bürgerkrieg in Sierra Leone wurde lange Jahre kaum berichtet. Erst als Rebellen 1999 in die Hauptstadt Freetown einfielen und ein schreckliches Massaker verrichteten, nahm die Weltöffentlichkeit den Krieg endlich wahr – er dauerte von 1991 bis 2002 und hinterließ tiefe Spuren in der Gesellschaft. Ein trauriges Erkennungszeichen dieses Krieges sind 20.000 Amputierte, denen die Rebellen die Gliedmaßen abhackten – während der belgischen Kolonialherrschaft im Kongo wurde diese grausame Methode erstmals praktiziert. Zehntausende Einwohner des 5 Millionen Staates mussten flüchten, wurden vergewaltigt, versklavt oder getötet. Mehr als 5000 Kinder wurden zum Kriegsdienst gezwungen. Finanziert wurde der Krieg zwischen der Rebellenorganisation Revolutionary United Front (RUF) und der sierra leonischen Armee aus dem Diamantenhandel.

Bereits im 16. Jahrhundert hatte Großbritannien in Sierra Leone Handelsstationen errichtet und 1896 wurde das kleine westafrikanische Land zum britischen Protektorat erklärt. 1930 fand man im Osten des Landes erstmals Diamanten. Sie wurden bald zum wichtigsten Exportartikel. Sierra Leone steht heute an neunter Stelle der afrikanischen Diamantenproduktion (s. Tabelle am Ende des Beitrags).

Am 27. April 1961 erreichte Sierra Leone seine Unabhängigkeit von Großbritannien. Nach anfänglichen Militärputschen etablierte sich in Sierra Leone bis 1992 eine auf Korruption basierende Einparteienregierung. Hohe Arbeitslosigkeit, Analphabetismus und eine zunehmende Militarisierung begünstigten den Ausbruch des Bürgerkrieges im Jahr 1991.

Auslöser des Krieges war jedoch das Eingreifen Sierra Leones im Nachbar- und Bürgerkriegsland Liberia zugunsten der dortigen Regierung. Als der Rebellenführer Charles Taylor in Liberia die Macht ergriff, fiel eine Gruppe seiner Verbündeten, die Revolutionary United Front (RUF), unter anderem aus Interesse an den sierra leonischen Diamantenvorkommen im März 1991 in Sierra Leone ein.

Die RUF propagierte anfänglich eine gerechte Verteilung des sierra leonischen Reichtums und weckte Hoffnungen auf eine bessere Zukunft. Nach kurzer Zeit verbreitete sie jedoch stattdessen Angst und Schrecken: die Verstümmelungen waren nur ein Teil ihrer grausamen Kriegsführung gegen die Zivilbevölkerung. Liberias Regierungschef Taylor importierte Waffen nach Sierra Leone, die größtenteils aus Europa stammten und tauschte sie mit der RUF gegen Diamanten. Ein Krieg um die Kontrolle der Rohstoffe hatte sich entfacht, an dem neben den Rebellenführern auch die sierra leonische Regierung und Konzerne wie der britisch-südafrikanische Diamantenmonopolist De Beers profitierten.

Nach Schätzungen der UN verdiente die RUF von 1999 bis 2001 zwischen 25 und 125 Millionen US $ jährlich am Handel mit Diamanten, die größtenteils auf europäischen Märkten verkauft wurden.

Die aktive Teilnahme am Krieg wurde für viele Menschen zur einzigen Verdienstquelle: Landwirtschaft war aufgrund massenhafter Vertreibungen nicht mehr möglich und die wenigen Wirtschaftsstandorte wurden im Krieg zerstört. Hinzu kam, dass zahlreiche Jugendliche keinen Platz in der kriegszerrütteten Gesellschaft fanden, und ihr Auskommen als Bürgerkriegssoldat suchten. Plünderungen wurden zur Versorgungsquelle. 1996 gelang es zwar dem Zivilisten Ahmed Tejan Kabbah durch Wahlen an die Regierung zu kommen, er wurde jedoch bald mithilfe der RUF gestürzt. Seit 1999 scheiterten mehrere Versuche, Frieden zu stiften. Im Mai 2000 wurden von der RUF mehr als 500 Blauhelmsoldaten entführt. Daraufhin entschied sich der UN-Sicherheitsrat für einen massiven Einsatz in Sierra Leone. Es wurden bis zu 20.000 UN-Soldaten nach Sierra Leone geschickt. Im Jahr 2001 wurden unter Druck der UNO Friedensverhandlungen geführt, die mit der Einstellung der Kämpfe und einem Friedensvertrag endeten.

Seit 2002 ist der Krieg beendet. Im gleichen Jahr wurde der von der RUF 1997 gestürzte Präsident Kabbah mit 70 % der Stimmen erneut gewählt. Überfälle und willkürliche Gewalt haben seither abgenommen. Allerdings verbessert sich die sonstige Lebenssituation nur sehr langsam. Sierra Leone lag 2004 im Entwicklungsindex der UN auf dem letzten Platz. Von 1000 geborenen Kindern sterben 300 bevor sie das fünfte Lebensjahr erreichen. 70 % der Bevölkerung sind Analphabeten. Die Arbeitsbedingungen der ca. 4000 Arbeiter und Arbeiterinnen in den Diamantenminen – darunter mehrere hundert Kinder – sind sklavenähnlich. Wie schon zu Kolonialzeiten verlässt der Großteil des erwirtschafteten Reichtums das Land gen Europa.

Schon während des Krieges begannen Organisationen wie das Network Movement for Justice and Development (NMJD) die katastrophalen Arbeitsbedingungen in den sierra leonischen Diamantenminen publik zu machen. Die länderübergreifende Zusammenarbeit mit Kampagnen wie Fatal Transactions machte die sog. Konfliktdiamanten international zum Thema und trug dazu bei, die Diamantenindustrie unter Druck zu setzen und die sozialen wie ökologischen Folgen der Diamantenproduktion zu skandalisieren. NMJD treibt seit Kriegsende die Gründung von Gewerkschaften im Minensektor voran und verhandelt mit der Regierung über eine Reform der Besitzverhältnisse der Minen. Die Unterstützung solcher Initiativen ist ein wichtiger Beitrag zur Demokratisierung des Landes.

Ohne eine nachhaltige Veränderung der Eigentums- und Einkommensverhältnisse gibt es wenig Perspektiven für die Demokratisierung des Landes und einen dauerhaften Frieden.

* Quelle: www.medico.de


Tabelle:

Afrikanische Diamantenproduktion 2002-2004

LandProduktionsmenge
in Karat
Anteil Weltproduktion
in %
Botswana 28.396.926 24,0
Kongo 16.000.000 13,3
Südafrika 10.900.000 9,1
Angola5.500.0004,6
Namibia 1.400.000 1,2
Ghana 950.000 0,79
Guinea 600.000 0,5
Zentralafrik. Rep. 550.000 0,46
Sierra Leone300.000 0,25
Tansania 152.243 0,13
Afrika insges. 64.749.160 58,5
Welt 2002 - Juni 2004120.000.000 100

Quelle: www.medico-international.de


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