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Sierra Leone hat den Bürgerkrieg hinter sich gelassen

Der Wirtschaftsaufschwung in den vergangenen Jahren basiert auf Rohstoffexporten und geht mit Menschenrechtsverletzungen einher

Von Markus Schönherr, Kapstadt *

Beim vierten EU-Afrika-Gipfel will Sierra Leones Präsident Ernest Koroma Investoren umwerben. Die Wirtschaft des einstigen Bürgerkriegslandes wächst, jedoch an den Bedürfnissen der Mehrheit vorbei.

Mit Lob sparte Ban Ki-moon nicht, als er vor wenigen Tagen das Friedensbüro der Vereinten Nationen (UNIPSIL) nach 15 Jahren formell schloss. »Sierra Leone ist eines der erfolgreichsten Beispiele der Welt für Friedensschaffung und Aufschwung nach einem Konflikt.« Deshalb wolle man weg von einer politischen, hin zu einer entwicklungsorientierten UN-Präsenz.

Von 1991 bis 2002 war die ehemalige britische Kolonie Schauplatz eines der blutigsten Bürgerkriege des Kontinents. Paramilitärs hatten gegen die Regierung in der Hauptstadt Freetown rebelliert. Unzählige Kinder wurden gewaltsam rekrutiert und unter Drogeneinfluss in die Schlacht geschickt. Abgehackte Hände, Waisenkinder und eine arbeitslose, drogensüchtige Jugend erinnern heute noch an die Gräueltaten. Der Index für menschliche Entwicklung (HDI) spiegelt eine Nation im Nachkriegszustand: Hier rangiert Sierra Leone auf Platz 177 und ist damit unter den zehn unterentwickeltsten Staaten.

Die sichtbaren Hinterlassenschaften des Bürgerkrieges kontrastieren mit einem beachtlichen Wirtschaftsaufschwung: 2012 verzeichnete das westafrikanische Land laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) mit 15 Prozent die höchste Wachstumsrate in Subsahara-Afrika. Während das Land in den Bürgerkriegswirren die größte Friedensmission beherbergte, entsendet es heute selbst Blauhelme in afrikanische Krisenherde wie die sudanesische Provinz Darfur. 2012 hielt die junge Demokratie seine dritten friedlichen Wahlen ab und ein Entwicklungsplan für die nächsten 50 Jahre sieht vor, den Gesundheits- und Bildungssektor sowie die Infrastruktur zu überholen.

Europa soll dabei helfen: Wie die sierra-leonische Botschaft für die EU mitteilte, werde Präsident Ernest Koroma von 2. bis 3. April am EU-Afrika-Gipfel in Brüssel teilnehmen und anschließend durch Belgien, die Niederlande und Luxemburg reisen. Laut der Botschaft wolle er »Sierra Leone den Unternehmen der BENELUX-Staaten vorstellen, um Direktinvestitionen zu stärken.«

Die rasante Entwicklung hat aber auch ihre Schattenseiten. Der Boom, so warnen Experten, könnte die breite Bevölkerung auslassen: Mit dem Abbau von seltenen Mineralien, Rohöl und Gas drohe das Land denselben Fehler zu begehen wie andere Schwellenstaaten zuvor, sagt Herbert McLeod, Koordinator der in Freetown abgehaltenen »Konferenz zur Entwicklung und Transformation«: »Die Ausbeutung dieser Ressourcen birgt Gefahren, falls sie nicht richtig verwaltet werden. Wenn die Gewinne einer reichen Elite in die Hände spielen, könnte eine ohnehin schon ungerechte Gesellschaft noch ungerechter werden.« Auch Abdul Karim Bah vom UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) in Freetown meint, dass eine einseitige Wirtschaft durchaus ein Entwicklungshindernis darstelle – gezeichnet von Instabilität und Ungleichheit.

Die Organisation »Human Rights Watch« (HRW) warnte im Februar, der Bergbau-Boom habe längst begonnen. Sie prangert gravierende Menschenrechtsvergehen in den Minen des Landes an. 2012 habe die Polizei gewaltsam Dorfbewohner vertrieben und deren Farmland beschlagnahmt. »Die Regierung und ein Bergbauunternehmen verweigerten den Bewohnern Zugang zu Nahrung und hielten sie davon ab, die ausbeuterischen Bedingungen anzuzeigen.«

Ban versprach bei seinem Besuch, die UN werde die Regierung bei ihren Bemühungen um nachhaltige Entwicklung und Menschenrechte unterstützen. Doch ebendiese Regierung, so bemängelt HRW, schaue weg, wenn Bergbauunternehmen die Rechte der Arbeiter verletzten: Zum einen sei der angeprangerte Bergbauriese der größte private Arbeitgeber des Landes, zum anderen profitiere die Regierung von den Steuern.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 18. März 2014


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