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Simbabwes Leiden nimmt kein Ende

UNICEF rechnet mit 60 000 Cholera-Fällen

Mit der Ausbreitung der Cholera in Simbabwe wächst der Druck auf Staatspräsident Robert Mugabe. Der kenianische Premier Raila Odinga forderte eine afrikanische Eingreiftruppe, um die Mugabe-Herrschaft zu beenden. UNICEF befürchtet, die Zahl der Cholera-Kranken könnte auf biszu 60 000 steigen.

Kapstadt (Agenturen/ND). Der Leiter des UNICEF-Büros in Simbabwes Hauptstadt Harare, Roeland Monasch, sagte dem britischen Rundfunksender BBC, bis zu 60 000 Menschen könnten an Cholera erkranken. Es sei mit 2700 Toten zu rechnen. Bisher wurden offiziell etwa 600 Verstorbene und 12 700 Erkrankte gezählt. Nach Angaben von »Ärzte ohne Grenzen« hat die Cholera inzwischen alle Provinzen Simbabwes erreicht. Weil das Gesundheitswesen in Simbabwe wegen der wirtschaftlichen und politischen Krise weitgehend zusammengebrochen ist, können viele Kranke nicht versorgt werden.

Durch die Epidemie wächst die Kritik an Präsident Mugabe. Eine Gruppe ehemaliger Staatsmänner um den früheren UN-Generalsekretär Kofi Annan erklärte, Mugabe könne sein Land nicht aus der Krise führen. Dem früheren USA-Präsidenten Jimmy Carter zufolge braucht das Land dringend eine funktionsfähige Regierung. Die Ehefrau Nelson Mandelas, Graça Machel, beklagte, die Regierenden in Simbabwe begriffen das Leiden der Menschen nicht oder es lasse sie gleichgültig.

Kenias Premier Odinga verlangte eine Sondersitzung der Afrikanischen Union und eine Untersuchung des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gegen Mugabe wegen möglicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Teilnahme am Befreiungskrieg gebe einem Staatschef nicht das Recht, den Besitz eines Landes zu beanspruchen. Der britische Premier Gordon Brown hatte zuvor erklärt, die Welt müsse Mugabe klar sagen, dass es nun genug sei und er gehen müsse. Simbabwes staatliche Medien machten dagegen am Sonntag die EU für den Ausbruch der Cholera- Epidemie verantwortlich. Die Seuche sei eine Folge von Sanktionen gegen Simbabwe, hieß es in der Zeitung »Sunday Mail«. »Der Ausbruch der Cholera ist ein Beispiel für die Auswirkungen von Sanktionen auf Unschuldige.« Am meisten litten nicht die Politiker, die durch die Sanktionen bestraft werden sollten, sondern »das arme Volk«. Dem Land würden Devisen vorenthalten, die für den Kauf von Chemikalien zur Wasserdesinfektion benötigt würden.

Die EU-Außenminister werden nach Angaben der französischen Ratspräsidentschaft voraussichtlich am Montag die Sanktionen gegen die simbabwische Führung verschärfen. Vermutlich wird die Liste der in der EU »unerwünschten Personen«, die derzeit 170 Personen umfasst, um zehn Namen erweitert.

Ban verlangt anderes Simbabwe

Zahl der Choleratoten erreichte 1000

Für Simbabwe gibt es nach Einschätzung von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon ohne politische Veränderungen auch keine Lösung der erdrückenden humanitären Probleme. Unterdessen hat die Zahl der Choleraopfer die Tausendermarke überschritten

Harare/Genf (dpa/ND). In Simbabwe ist die Zahl der Choleratoten auf annähernd 1000 gestiegen. Hilfsorganisationen haben die Epidemie trotz aller Anstrengungen nicht im Griff. Wenn es nicht gelinge, alle Kräfte zu mobilisieren, steuere das Land auch angesichts der einsetzenden Regenzeit auf eine Katastrophe zu, sagten am Dienstag Vertreter der Föderation der Rotkreuz- und Roter Halbmondgesellschaften in Genf. Die Hälfte der Todesfälle werde aus der Hauptstadt Harare gemeldet.

Gefahr bestehe auch für die umliegenden Länder, erklärten die Rotkreuzvertreter. Derzeit gebe es mehr als 10 000 Cholerafälle in Angola und über 8000 in Mosambik. Viele Wanderarbeiter aus Südafrika kämen außerdem über Weihnachten in ihre Heimat zurück und könnten sich anstecken. Nach Einschätzung von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon gibt es keine Lösung der erdrückenden humanitären Probleme Simbabwes ohne die lange überfälligen politischen Veränderungen. Vor dem Weltsicherheitsrat in New York drängte Ban die Regierung von Robert Mugabe am Montagabend erneut, endlich die Machtteilung mit der Opposition umzusetzen. »Die Menschen von Simbabwe können nicht länger warten«, erklärte Ban. Der britische Außenminister David Miliband sagte, dass zwar die Choleraepidemie für Schlagzeilen sorge, »die eigentliche Seuche in Simbabwe aber die Regierung und Korruption« seien.

Simbabwes Luftwaffenchef Perence Shiri ist nach Darstellung der Medien bei einem Anschlag leicht verletzt worden. Wie die Zeitung »The Herald« am Dienstag (16. Dez.) weiter berichtete, hatten Unbekannte den General in der Nähe seiner Farm nördlich von Harare überfallen.

Aus: Neues Deutschland, 17. Dezember 2008



Nach Medienberichten hat Mugabe, der am Mittwoch (3. Dez.) den Notstand verkünden lassen hatte, Militär und Polizei inzwischen in Alarmbereitschaft versetzt. In der vergangenen Woche waren Soldaten offenbar erstmals plündernd und prügelnd durch Harare gezogen. Die Zeitung »The Herald« berichtete am Sonnabend, dass einige der Soldaten vor ein Kriegsgericht gestellt werden sollen. Im Nachbarland Südafrika meldeten Zeitungen, 10 bis 20 Soldaten seien bereits erschossen worden.

Bisher waren Polizei und Militär Mugabe treu ergeben. Doch Simbabwe befindet sich in der schwersten Krise seiner Geschichte, gekennzeichnet auch durch eine Hyperinflation. Die Regierung kündigte am Sonnabend im Amtsblatt die Einführung eines 200-Millionen-Dollar-Geldscheins an. Erst am Donnerstag waren drei neue Scheine mit einem Wert von 10, 50 und 100 Millionen Simbabwe-Dollar in Umlauf gebracht worden.

* Aus: Neues Deutschland, 8. Dezember 2008


Kommentar

Schimpf und Schande

Von Uwe Sattler **

Gepoltert wird auf beiden Seiten: Simbabwes Staatschef Mugabe machte kurzerhand die EU für den Ausbruch der Cholera verantwortlich und sah darin die unmittelbaren Auswirkungen der westlichen Embargopolitik. Die Europäer ihrerseits setzen unbeirrt auf die Entmachtung der »Schurken-Regierung« in Harare mittels Sanktionen. Heute sollen die Daumenschrauben von den EU-Außenministern weiter angezogen werden – trotz Cholera und Hungers.

Natürlich hat Mugabe recht, wenn er meint, das Embargo treffe vor allem die Armen. Dass deren Zahl aber gerade in den letzten Jahren durch seine Politik dramatisch gestiegen ist, verschweigt er. Auch über die verfahrene politische Situation im Land mag er nicht sprechen. Die unter südafrikanischer Vermittlung eingeleiteten Gespräche zur Machtteilung mit dem offensichtlichen Wahlsieger vom Frühjahr, Oppositionsführer Tsvangirai, brach der seit fast 30 Jahren amtierende Staatschef ab.

Dass die EU mit Kontensperrungen und Einreiseverboten die Regierung in Harare schrecken kann, ist illusorisch. Zumal es dabei vor allem um Symbolik geht. Als der geächtete Mugabe vor einem Jahr beim EU-Afrika-Gipfel in Madrid auftauchte, ließ man ihn gewähren. Wirklich geredet haben die Westeuropäer mit dem Präsidenten nicht. Das »Problem Simbabwe« aber auf dem Rücken der Bevölkerung auszusitzen, ist schändlich. Brüssel und Harare werden um den Dialog nicht herumkommen.

** Aus: Neues Deutschland, 8. Dezember 2008 (Kommentar)


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