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Oppositionspolitiker: "Wir haben die Wahl gewonnen ohne den geringsten Zweifel"

Wiederholt sich in Simbabwe, was in Kenia stattgefunden hat? Gewinnt derjenige die Wahl, der als erster den Sieg für sich reklamiert??

Am 29. März 2008 fanden in Simbabwe Wahlen statt. Sie waren mit großer Spannung erwartet worden, weil es so schien, als sei die Vormachtstellung des alten Präsidenten Robert Mugabe zu Ende. Gleichzeitig hatte dieser angekündigt, im Falle von Unruhen hart durchgreifen zu wollen. Nüchterne Betrachter der Szene - einschließlich der bei uns vorherrschenden einseitigen Berichterstattung (Mugabe als Oberschurke, Morgan Tsvangirai als demokratischer Herausforderer) - mussten damit rechnen, dass es zu keniatischen Verhältnissen kommen würde. Die ersten Meldungen von den Wahlen gehen in diese Richtung. Und für die US-Außenministerin Condoleezza Rice scheint ohnehin alles klar zu sein: Wenn Mugabe siegen sollte, dann sind die Wahlen gefälscht.
Im Folgenden zunächst die Agenturmeldungen vom vermeintlichen Ausgang der Wahlen und dann einen längeren Hintergrundbericht über die Situation im Land und die Kandidaten. Am Schluss wieder einen aktuellen Artikel.



In Simbabwe bahnt sich heftiger Konflikt um Wahlasusgang an

Nach der Präsidentschafts- und Parlamentswahl in Simbabwe zeichnet sich Streit um die Ergebnisse des Urnengangs zwischen Staatchef Robert Mugabe und der Opposition ab. "Wir haben diese Wahl gewonnen ohne den geringsten Zweifel", sagte der Generalsekretär der oppositionellen Bewegung für einen Demokratischen Wandel (MDC), Tendai Biti, unter Berufung auf erste inoffizielle Auszählungsergebnisse. Mugabes Sprecher warnte den MDC-Kandidaten Morgan Tsvangirai, wenn er sich selbst zum Präsidenten erkläre, sei dies ein Staatsstreich. Die Wahlkommission kritisierte die MDC-Aussage vor der Veröffentlichung amtlicher Ergebnisse.

"Es ist ein Wunder. Wir haben diese Wahl gewonnen ohne den geringsten Zweifel", sagte MDC-Generalsekretär Biti in der simbabwischen Hauptstadt Harare. Dabei bezog er sich auf erste nichtoffizielle Auszählungsergebnisse aus einigen Wahllokalen. Seine Partei werde eine Nichtanerkennung ihres Sieges nicht hinnehmen.

Auf die Frage, warum er nicht wie von der staatlichen Wahlkommission gefordert die amtlichen Ergebnisse abwarte, sagte Biti: "Wir beschützen unsere Stimmen". Der Wahlkommission sei nicht zu trauen, weil sie nicht unabhängig sei. Seine Partei habe bereits bei der Präsidentschaftswahl 2002 und der Parlamentswahl 2005 den Fehler gemacht, ihre Siege nicht einzufordern.

Mugabes Sprecher übte in einem Interview scharfe Kritik daran, dass die MDC sich vorzeitig zur Siegerin erklärte. Dies komme einem Staatsstreich gleich. Die zentrale Wahlkommission, deren Führung von Mugabe ernannt wird, kritisierte die vorzeitigen Aussagen der MDC zum Wahlausgang. Die Endergnisse werden in einigen Tagen erwartet.

Die Opposition in Simbabwe hatte Mugabe von Anfang an Betrugsabsichten bei der Wahl vorgeworfen. Auch eine Gruppe afrikanischer Wahlbeobachter hatte sich "äußerst besorgt" über den Ablauf der Wahlen geäußert, nachdem tausende Phantomwähler auf Listen in einem Bezirk nördlich von Harare auftauchten. Mugabe, der eine sechste Amtszeit anstrebt, wies die Betrugsvorwürfe zurück.

US-Außenministerin Condoleezza Rice sagte: "Mugabes Regime ist eine Entehrung des simbabwischen Volkes und eine Schande für den Süden Afrikas und den gesamten afrikanischen Kontinent." Die USA hätten sich wie die ganze Welt für freie und faire Wahlen in Simbabwe eingesetzt. Dies sei jedoch schwierig gewesen, da keine Beobachter zugelassen worden seien.

AFP, 30. März 2008

Unklare Situation

Die Bewegung für Demokratischen Wandel (MDC) von Morgan Tsvangirai erklärte nach dem Auszählen erster Wahlbezirke, sie habe vor allem in der Hauptstadt Harare und in Bulawayo einen Vorsprung erreicht. «Wir haben diese Wahl gewonnen, aber sie (die Regierung) können uns den Sieg noch immer stehlen», sagte MDC-Generalsekretär Tendai Biti der Deutschen Presse-Agentur dpa.

Auch Präsident Mugabe zeigte sich siegessicher und betonte nach Angaben der staatlich kontrollierten Zeitung «Sunday Mail», eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen sei nicht nötig. Zwar schreibe dies die Verfassung für den Fall vor, dass keiner der Kandidaten mehr als 50 Prozent der Stimmen auf sich vereint. Aber das werde kaum nötig sein.

Die städtischen Gebiete sind traditionell Hochburgen der Opposition, während die regierende ZANU(PF)-Partei des seit 28 Jahren regierenden Mugabe (84) auf dem Lande ihre Anhänger hat. Dort hat Mugabes Herausforderer, Ex-Finanzminister Simba Makoni (58), nach MDC-Angaben Erfolge erzielen können.

dpa, 30. März 2008



Spannung in und um Harare

Weitgehend friedlicher Wahlkampf vor dem Urnengang

Von Georg Krase *


Erstmals gibt es am Sonnabend (29. März) in Simbabwe gleichzeitig Präsidenten-, Parlaments- und Lokalwahlen. Die Aussichten auf ein Ende der Ära Mugabe sind ernüchternd.

28 Jahre nach Simbabwes Unabhängigkeitserklärung ist vom damals hoffnungsvollen Neubeginn wenig geblieben. Das Land mit einer relativ entwickelten Wirtschaft wurde unter Präsident Robert Mugabe ökonomisch zugrunde gerichtet – mit der Weltrekord-Inflationsrate von 105 800 Prozent, 80 Prozent Arbeitslosigkeit und mehr als drei Millionen Flüchtlingen. Mugabe selbst macht alte und neue Kolonialisten für die Wirtschaftsmisere verantwortlich und verteufelt politische Gegner gern als Marionetten Großbritanniens und der USA.

Gegen den 84-jährigen Mugabe von der regierenden Afrikanischen Nationalunion Simbabwes (ZANU-PF) kandidieren der 56-jährige Morgan Tsvangirai von der Mehrheitsfraktion der oppositionellen Bewegung für Demokratischen Wandel (MDC) und überraschend Simba Makoni, 57 Jahre alt und vor kurzem noch ZANU-Führungsmitglied, als Unabhängiger. Bedeutungslos ist die Kandidatur des ehemaligen Lehrers Langton Towungana.

Der Wahlkampf verlief überraschend friedlich. Dennoch gab es Kritik. Tsvangirai bezweifelte die Integrität der Wahlkommission. Zehntausende nichtexistenter Wähler seien in den Wahllisten aufgetaucht. Er reklamierte den Druck von insgesamt 9 Millionen Stimmzetteln für nur 5,9 Millionen Wähler. Der Einsatz von Polizisten in Wahllokalen sowie die Auszählung der Präsidentschaftswahlen in einem nationalen Kommandozentrum in Harare entsprächen nicht den Vereinbarungen.

Organisationen wie das Menschenrechtsforum sehen Mugabe durch institutionelle Rahmenbedingungen begünstigt. Ein Wahltag sei viel zu wenig in den großen Städten, den Hochburgen der Opposition, mit einer unzureichenden Zahl von Wahllokalen. Den staatlichen Medien wird Parteinahme für Mugabe vorgeworfen. Mugabes öffentliche Unterstützung durch die Polizei- und Armeechefs wird als Einschüchterung der Wähler kritisiert.

Wahlkampfplakate zeigen Mugabe mit emporgereckter Faust – bereit zum erbarmungslosen Kampf gegen seine Gegner, bemerken Beobachter. Allerdings übten die berüchtigten Schlägertrupps der ZANU-Jugendbrigaden und sogenannte Kriegsveteranen diesmal Zurückhaltung. Oppositionelle Wahlkampfveranstaltungen verliefen weitgehend ungestört – auch in den Hochburgen der ZANU (PF). Das politische Klima in Simbabwe hat sich nicht grundlegend verändert, dennoch bezeichneten selbst Opposition und internationale Medien die Bedingungen für die Wahlen als weitgehend frei von Gewalt und Einschüchterung.

Mugabe setzt auf Zuckerbrot, Wahlgeschenke gehören dazu. Es gab Busse und Traktoren, Pflüge für Kleinbauern, Autos für Ärzte, Computer für Schulen und Diesel für Häuptlinge. Angekündigt sind Lohnerhöhungen für streikende Lehrer und den öffentlichen Dienst sowie die Mehrheitsbeteiligung schwarzer Simbabwer an ausländischen Unternehmen.

Mugabe sieht die etablierte MDC und Tsvangirai als seine Hauptgegner an, Makoni mangelte es an Wahlkampfmaschinerie und Bekanntheitsgrad. Tsvangirai eilte landesweit per Flugzeug von einer Kundgebung zur anderen und soll auch auf dem Lande – zuvor eine Domäne Mugabes – an Boden gewonnen haben. Die Oppositionskandidaten konzentrieren sich auf Wirtschaftsprobleme, Makoni thematisiert Simbabwes Perspektive und die wirtschaftliche Lage, Tsvangirai die Alltagsfragen der Menschen.

Über Makonis Wahlchancen wird spekuliert – ist er nun die bisher größte Herausforderung Mugabes oder nur ein einflussloser Einzelkämpfer? Gegner Mugabes in der ZANU (PF), kritische Intellektuelle und politische Aktivisten sehen ihn als Alternative zu Mugabe, der künftig auch in der ZANU (PF) mehrheitsfähig wäre. Hinter ihm soll Solomon Mujuru stehen, einer der »Königsmacher« in der Partei. Öffentliche Unterstützung einflussreicher Parteigrößen gab es jedoch nur von Politbüromitglied Dumiso Dabengwa. Er bezeichnete Makonis Kandidatur als Rettungsoperation für Simbabwe, 60 Prozent der Mitglieder des Zentralkomitees dächten wie er. Doch kaum einer wagte sich bisher aus der Deckung.

Überdies ist die Opposition zerstritten. Während Tsvangirai sich selbst Chancen auf den Sieg ausrechnet, aber glaubt, die könnten durch Manipulation zunichte gemacht werden, unterstützt eine kleinere MDC-Fraktion Makoni. Der erklärte eine Regierung der nationalen Einheit aus Vertretern von ZANU (PF), MDC und anderen Organisationen zum Wahlziel. Offenkundig integriert Makoni über ethnische und politische Differenzen hinweg, dennoch gilt er derzeit noch als Außenseiter. Eine Umfrage der Universität Harare sieht Mugabe mit 56 Prozent in Führung vor Tsvangirai mit 26 und Makoni mit 14 Prozent.

Der Wahlausgang ist offen, wenn auch Beobachter mit einem Sieg Mugabes rechnen. Gibt es bei den Präsidentschaftswahlen keine absolute Mehrheit im ersten Durchgang, kommt es in drei Wochen zur Stichwahl. Eine objektive Bewertung der Wahlen wird nicht einfach. Die Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrikas (SADC) hat 150 Beobachter im Lande, darunter 55 Südafrikaner. Es gibt eine Beobachtermission des Panafrikanischen Parlaments der Afrikanischen Union ebenso wie Beobachter einzelner Länder wie Russland, China und Iran. Wahlbeobachter aus Großbritannien, den USA und der EU waren nicht erwünscht. Mugabe hat unmittelbar vor den Wahlen die Opposition vor gewalttätigen Protesten wie in Kenia gewarnt. Auch wenn eine solche Entwicklung unwahrscheinlich ist – Stabilität wird in Simbabwe kaum einziehen.

* Aus: Neues Deutschland, 29. März 2008

Rivalen des alten Mannes

Zwei Herausforderer unterschiedlichen Profils

Die Herausforderer Mugabes, nahezu gleichaltrig und fast 30 Jahre jünger als der Autokrat, könnten unterschiedlicher kaum sein:
Morgan Tsvangirai brach die Schule ab, wurde Bergarbeiter und stieg in der Gewerkschaft bis zum Generalsekretär des Dachverbandes ZCTU auf. Als solcher kappte er die Bindungen der Gewerkschaft an die regierende ZANU (PF) und gründete 1999 die Bewegung für Demokratischen Wandel (MDC). Seither war er der wichtigste politische Gegenspieler Mugabes, auch wenn die MDC seit 2005 gespalten ist. Tsvangirais offensives, ja aggressives Auftreten ist bei Gegnern Mugabes populär. Wiederholt wurde er verhaftet, auch misshandelt, eine Hochverratsanklage wurde niedergeschlagen. Er will Mugabe mit seinen eigenen Waffen schlagen. Tsvangirais Eignung als nationale Führungspersönlichkeit wird jedoch in Frage gestellt. Kritisiert werden Kompromisslosigkeit, Arroganz und Machtstreben.

Simba Makoni hat dagegen ein ganz anderes Profil. Er erwarb mehrere akademische Abschlüsse, gilt als Ökonomie- und Finanzfachmann mit guten Beziehungen zur Wirtschaft. Bereits als Student in England war er ZANU-Vertreter für Westeuropa, galt jedoch nie als typischer ZANU-Funktionär.

Makoni gilt als reformorientierter Technokrat, er wird in Simbabwe und international respektiert. Seine intellektuelle Ausstrahlung verbindet er mit jugendlichem Auftreten und vermeidet Arroganz. Er sucht die Lösung der Simbabwe-Krise im nationalen Konsens. Möglicherweise denkt er bereits über diese Wahlen hinaus. GK




Nach den Wahlen in Simbabwe: Go East

Von Gerd Schumann **

Simbabwe hat abgestimmt. Millionen Menschen reihten sich vor den Wahllokalen geduldig in lange Schlangen. Zwar stand bei jW-Redaktionsschluß nicht fest, ob ein Präsidentschaftskandidat die absolute Mehrheit erhielt -- und sich damit eine Stichwahl erübrigt. Und auch, ob der Urnengang »frei und fair« war, war noch nicht zu beurteilen. Eine Art Wahlsiegerin gab es dennoch schon: Die südafrikanische Staatengemeinschaft SDAC. Sie setzte in beharrlicher Diplomatie durch, daß die verfeindeten Lager per Stimmzettel gegeneinander antraten -- und nicht mit der Waffe in der Hand. Mag der Westen mit den Exkolonialisten Rhodesiens aus London an der Spitze auch noch so sehr auf Konfrontation setzen: Afrika geht im Fall Simbabwe selbstbewußt einen eigenen Weg.

Dessen ungeachtet weiß derzeit niemand, ob es nicht doch zu jener gewalttätigen Konfrontation kommt, die in Harare auch nach dem Urnengang noch durch Drohungen, Vorwürfe und voreilige Siegerposen entstehen kann. Das wäre fatal -- auch deswegen, weil bewaffnete Kämpfe zwischen den Lagern alle Hoffnungen auf eine Konsoli­dierung des Landes vernichten würden. Und gerade um diese dreht sich alles: Deswegen stimmten die Menschen massenhaft ab. Sie wollen raus aus der Krise.

Simbabwe liegt am Boden. In den vergangenen Jahren machte eine galoppierende Hyperinfla­tion den Hunger besonders in den Städten alltäglich. Auf dem Land, wo die Mehrheit der 13 Millionen Einwohner lebt, half Subsistenz über den schlimmsten Mangel hinweg. Eingeleitet wurde der Niedergang zu Beginn der 1990er Jahre, als nicht nur mehrere Dürrekatastrophen die fetten Böden unfruchtbar machten. Es griff auch das »Strukturanpassungsprogramm« von Weltbank und Währungsfonds: Löhne wurden gesenkt, staatseigene Unternehmen privatisiert und ihre Beschäftigten entlassen, der Sozialetat zusammengestrichen, die kostenlose Krankenversorgung ebenso abgeschafft wie der kostenlose Schulbesuch -- die Errungenschaften des antikolonialen Entwicklungswegs nach der Befreiung 1980 gekappt. Robert Mugabes Politik der Enteignung weißer Großgrundbesitzer ab dem Jahr 2000 ist Folge, nicht Ursache dieses Niedergangs.

In ihrer Verzweiflung wählten Millionen Menschen am Samstag Morgan Tsvangirai. Dessen orange MDC propagiert einen »Democratic change« genannten neoliberalen Kurswechsel. Zurück in die Vergangenheit westlicher Dominanz inklusive des Wiedereinzugs alter Besitzverhältnisse. Oder die Wähler machten beim ehemaligen Mugabe-Finanzminister Simba Makoni ihr Kreuz, Vertreter einer eher vorsichtigen Öffnung des Landes nach Westen. Millionen stimmten aber auch für den autokratisch regierenden Mugabe und dessen scharf antikolonialistische Attitüde, das Embargo habe die Schäden angerichtet. Besserung sei in Sicht: Die »ökonomische Orientierung nach Osten« -- China, Indien, Indonesien, Iran und Malaysia -- trage immer mehr Früchte, so Mugabe. »Go East« lautet die neue, altbekannte Losung.

** Aus: junge Welt, 31. März 2008


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