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Mühsam gen Westen

Hintergrund. Vor 20 Jahren wurde die Slowakische Republik gegründet. Nach der Auflösung der Tschechoslowakei beschritt das Land einen Weg zwischen neoliberaler Anpassung und Erhaltung sozialer Ansprüche

Von Hannes Hofbauer *

Was von Berlin aus wie ein fernes, osteuropäisches Land erscheint, ist von Wien gerade einmal 50 Kilometer Luftlinie entfernt. Eisenbahnverbindungen links und rechts der Donau verbinden Bratislava mit der österreichischen Hauptstadt, die bis zum Ende der Monarchie im Jahre 1918 sogar auch mit der Straßenbahn erreichbar war.

Von den fünfeinhalb Millionen Einwohnern, die zwischen Tatra und Donau leben, sind knapp zehn Prozent Ungarn, die Schätzungen über den Anteil der Roma-Bevölkerung reichen von 300000 bis 500000.

Deutsche Medien kommen oft monatelang ohne Berichterstattung über das kleine Land aus, interessant wird es meist nur dann, wenn für Berlin bzw. Brüssel mißliebige Politiker parlamentarische Mehrheiten finden. Die politisch nach westlichen Kriterien nur schwer einzuordnenden Vladimír Meciar und Robert Fico wurden von diesen Demokratiewächtern als Outcasts betrachtet. Gleichwohl haben die beiden in ihren Funktionen als Ministerpräsidenten die Entwicklung des Landes seit der Wende wesentlich mitbestimmt.

Bratislavas doppelte Orientierung

Gestern, am 1. Januar 2013, feierte die Slowakei ihren 20. Geburtstag. Zusammen mit Tschechien ist sie damit die jüngste Nation in der Europäischen Union. Wie kein anderes Land Osteuropas hat die Slowakei über mehr als zwei Jahrzehnte außen- und innenpolitische Pendelbewegungen hinter sich. Diese in zweierlei Hinsicht doppelseitige Orientierung Bratislavas ist geradezu paradigmatisch für die Entwicklung nach dem Zusammenbruch des Sozialismus (1989) und des Rats für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) im Jahr 1991.

Außenpolitisch war die Epoche seit dem Ende des Kommunismus vom Ringen um eine westliche bzw. östliche Ausrichtung des Landes geprägt. Berlin/Brüssel und Moskau bildeten die jeweiligen Pole einer möglichen Orientierung, die sich politisch in den wechselnden Koalitionsregierungen der Slowakei spiegelte. Das Integrationsangebot aus Brüssel, das immer mit Drohungen verbunden war, eine gegenüber den großen Westinvestoren willfährige Wirtschaftspolitik umzusetzen, wurde in der Regierungszeit von Vladimír Meciar (1990–1998) teilweise zurückgenommen. Das hatte zur Folge, daß die Slowakei 1997 in die zweite Reihe der Aufnahmekandidaten für die EU zurückversetzt wurde. Auf der anderen Seite war Moskau unter Boris Jelzin (1991–1999) überhaupt nicht in der Lage und auch nicht gewillt, Ländern wie der Slowakei politische Kooperationsangebote zu machen. So waren es letztlich die Unzeitigkeit eines slowakischem Wunsches nach Ostausrichtung und die Unfähigkeit, einen solchen in Moskau zu erfüllen, die eine Balance zwischen West und Ost politisch nicht möglich machten und bestenfalls kulturell bestehen ließen.

Auch innenpolitisch sind die ersten 20 Lebensjahre der unabhängigen Slowakei von heftigen Ausschlägen geprägt. Der Pendel bewegte sich zwischen einer sozial-nationalen Orientierung auf der einen sowie einer ultraliberalen Ausrichtung auf der anderen Seite. Meciars Ziel war es, die herben ökonomischen Verluste der Transformationsperiode sozial in Grenzen zu halten und, weil das nicht funktionierte, mittels nationaler Identitätsbildung zu kompensieren. Dem folgte, mit tatkräftiger Unterstützung aus Brüssel, eine Phase experimentellen Liberalismus unter Mikuláš Dzurinda (1998–2006), die nirgendwo sonst in Europa zu dieser Zeit dermaßen radikal betrieben wurde. Diese nach dem Ökonomen Friedrich von Hayek modellierte Schocktherapie wurde in der ersten Regierungszeit des Sozialdemokraten Robert Fico zwischen 2006 und 2010 wieder verworfen. Der Staat kehrte als Akteur auf die gesellschaftliche Bühne zurück. In diesem Hin und Her bildete sich die slowakische Parteienlandschaft von links bis rechts aus.

Anzumerken wäre noch, daß die ethnisch konstituierte Partei der Magyaren (MKP) in allen Konstellationen immer in Allianz mit der jeweiligen neoliberalen Koalition zu finden war. Ohne sie hätten Versuche wie die Abschaffung der progressiven Steuer und ihre Ersetzung durch eine sogenannte Flat Tax, d.i. ein einstufiger Einkommenssteuertarif ohne Unterscheidung zwischen Eingangs- und Spitzensteuersatz, die Privatisierung des Gesundheitswesens oder die Aushebelung von Arbeitsgesetzen keine Mehrheit im slowakischen Parlament gefunden. Die fehlende soziale Ausrichtung der Ungarnpartei kann mit gesellschaftlicher Besserstellung der Minderheitsbevölkerung nicht erklärt werden. Sie ist eher in historischen Wurzeln begründet, im durch die Slowakisierung der Gesellschaft spürbaren Machtverlust der Magyaren als einstiger Elite des Landes. Dieser Verlust ist bis heute nicht überwunden.

Ende der Tschechoslowakei

Die wirtschaftlich schwersten Zeiten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges brachen mit der Phase der sogenannten Transformation über das Land herein. Die Slowakei, noch Teil der Tschechoslowakei, erlebte unmittelbar nach 1989, also mit dem Untergang des osteuropäischen sozialistischen Staatenblocks, die schlimmste Rezes¬sion der jüngeren Zeitgeschichte. Die Produktion brach bis 1993 um die Hälfte ein, was einer Deindustrialisierung gleichkam. Die Arbeitslosigkeit schnellte im selben Zeitraum von Null auf 15 Prozent hinauf; wer in Beschäftigung blieb, mußte Reallohnverluste von 25 Prozent hinnehmen.

Betroffen war vor allem die Schwer- und Rüstungsindustrie in der Mittelslowakei. Dort wurden – anders als in den traditionellen tschechoslowakischen Industriestandorten Böhmens und Mährens, die bereits zur Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie zu den Kernländern gehört hatten – erst nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Kommunistischen Partei Industrialisierungsanstrengungen unternommen. Die Wende des Jahres 1989 brachte es nun mit sich, daß in Prag mit Václav Havel ein den westlichen Finanzorganisationen und großen Konzernen besonders willfährig gesonnener Präsident auf dem Hradschin saß. In den Augen Bratislavas war er es, der – mit fadenscheinigen friedenspolitischen Argumenten – die mittelslowakische Industrie zur Freude der westeuropäischen und US-amerikanischen Konkurrenz opferte. Städte wie Martin verödeten binnen kürzester Zeit, die Arbeitslosenzahlen in der Mittelslowakei näherten sich der 40-Prozent-Marke.

Mitten in diese Phase regionaler Desintegration und sozialer Verheerung privatisierten wechselnde politische Eliten, die allesamt ohne administrative Erfahrung waren, die zuvor kollektiv oder staatlich geführten Betriebe. Dazu wurden vier sich teilweise widersprechende Privatisierungsarten entwickelt: Die Herzstücke des nach wie vor gemeinsamen tschechoslowakischen Staates verkaufte man über eine ministeriell gelenkte Treuhandgesellschaft an Meistbietende oder an jene, denen die Fabriken zugeschanzt werden sollten. Andere Objekte wurden mittels einer verqueren Art von »Volkskapitalismus« über die sogenannte Kupon-Methode privatisiert, bei der jeder Staatsbürger, der dies wollte, ein Büchlein mit Vouchers erhielt, die er nach Belieben in Aktien von Betrieben oder Betriebsteilen tauschen konnte. Die meisten dieser Kupons bündelten sich rasch in eigens errichteten Fonds, deren Besitzer sich nicht selten nach erfolgter Sammlung auf und davon machten. Wieder anderes Volkseigentum fand über eine Restitution seinen Weg zu früheren Besitzern bzw. meist zu deren Erben, wobei die 2,5 Millionen Deutschen, die vor der kommunistischen Machtübernahme 1948 aus dem Land vertrieben worden waren, per Fristsetzung des Privatisierungsgesetzes leer ausgingen. Und schließlich wurden – meist kleinere Objekte und Geschäfte – versteigert. Diese vollständige Neuordnung der Besitzverhältnisse fand vor dem Hintergrund eines sich desintegrierenden Staates statt, was in vielen Fällen die Unsicherheit, wer nun welche Privatisierungen – z.B. von Flughäfen, Betrieben mit Standorten in mehreren Landesteilen etc. – durchführen durfte, erhöhte. Am Ende dieses Ausverkaufs waren jedenfalls die wichtigsten Branchen, Banken, die Großindustrie (etwa Skoda), die Bauwirtschaft, Lebensmittel- und Baumärkte in ausländischen Händen.

Daß die Teilung der Tschechoslowakei ohne Referendum vonstatten ging, ist vielfach kritisiert worden. Vor dem Hintergrund der jugoslawischen Tragödie, die zeitgleich im Sommer 1991 ihren Anfang nahm, muß allerdings berücksichtigt werden, daß ein Tauziehen um das Für und Wider der gemeinsamen Staatlichkeit die Gesellschaft möglicherweise ähnlich zerrissen hätte wie im südslawischen Raum. Nimmt man Meinungsumfragen jener Tage ernst, existierte weder in Böhmen und Mähren noch in der Slowakei eine Mehrheit für die Trennung. Den politischen Eliten in Prag und Bratislava kam sie dennoch zupaß. Prag war froh, mit der ökonomisch schwächeren Slowakei eine mögliche Last auf dem Weg in Richtung Westeuropa abstreifen zu können. Der Liberale Václav Klaus vertrat diese Ansicht. Er machte sich bereits in kommunistischen Zeiten am Prager Weltwirtschaftsinstitut mit neoliberalen Ansichten vertraut. Sein Diktum, daß für die Tschechoslowakei nur die Einführung einer »adjektivlosen« Marktwirtschaft in Frage käme, also eine ohne Beiwörter wie »sozial« oder »ökologisch«, machte ihn auch im Westen bekannt.

In Bratislava nützte eine anders geartete politische Elite die Chance der Landesteilung für ihre eigene Karriere, indem sie die soziale Karte geschickt mit der nationalen kombinierte. Die Marktwirtschaft hatte hier, zwischen Donau und Tatra, im Volk keinen so guten Klang wie in Böhmen und Mähren. Das lag an den Erfahrungen unmittelbar nach der Wende, als »Transformation« für alle »Betriebsschließung« bedeutete und sich in der noch gemeinsamen Hauptstadt Prag niemand fand, der Gegenstrategien zur Deindustrialisierung in der Slowakei eingeleitet hätte. Die Führung der Bürgerplattform »Öffentlichkeit gegen Gewalt«, aus der Meciar in der Folge dann seine »Bewegung für eine demokratische Slowakei« (HZDS) formte, versuchte von Anfang an, dem ungebremsten Kapitalismus Zügel anzulegen. Deren Notwendigkeit wurde mit der Zerstörungskraft des Privatisierungsprozesses, dem man grundsätzlich nicht abgeneigt war, gerechtfertigt. Meciar forderte soziale Abfederungen und entwickelte, weil diese nicht leistbar waren und von Prag aus auch nicht gewollt war, eine nationale Rhetorik.

Auf dieser recht unterschiedlichen Grundlage – Befürwortung des wilden Kapitalismus in Prag und sozial-nationale Bremsversuche in Bratislava – trennten sich die beiden Landesteile in beidseitigem Einvernehmen. Und der stärksten europäischen Wirtschaftsmacht war sie auch recht. Deutschland konnte zufrieden sein, in Zukunft mit zwei schwächeren Verhandlungspartnern leichteres Spiel zu haben. Hüben wie drüben war es übrigens der Volkswagenkonzern, der lukrative Deals einfädelte und Tschechien, noch mehr die Slowakei, zu einem Automobilcluster für Europa aufbaute.

EU-Druck auf Meciar

Die Angst um Arbeitsplätze, Wohnung und soziale Sicherheit machte Vladimír Meciars HZDS bei den ersten Parlamentswahlen 1994 mit 35 Prozent zur führenden Kraft im neuen, nun unabhängigen Staat. Und tatsächlich erwies sich seine Koalitionsregierung als Schutzwall gegen ein allzu aggressives Auftreten ausländischer Kapitalgruppen. »Nicht auf den Knien in die EU«, lautete das Motto der HZDS, die bis 1998 auch eine Mitgliedschaft der Slowakei in der NATO ablehnte. Kein Wunder, daß Meciar bei westlichen Politikern und Medien unbeliebt war, ja geradezu gehaßt wurde. Schon seine Koalition aus »Bewegung für eine demokratische Slowakei«, Slowakischer Nationalpartei (SNS) und »Arbeiterassoziation der Slowakei« stieß zwischen Brüssel und Berlin auf Unverständnis. Mit der SNS war eine radikale rechte Kraft in die Regierung gekommen, deren Vorsitzender immer wieder durch antiungarische Ausfälle von sich reden machte; auf dem anderen Ende der Skala brachte die »Arbeiterassoziation« mit ihren 7,5 Prozent Wähleranteil kommunistisches Gedankengut ins Ministerkabinett. Vor allem ihr war es zu verdanken, daß Privatisierungen ausgesetzt und eine EU-kritische Politik betrieben wurden.

Von Washington (IWF und Weltbank) sowie von Brüssel (EU) aus erhöhte sich der Druck auf die ungeliebte Koalition. So forderten IWF und EU unisono die Abwertung der Krone zwecks billigeren Einkaufs von slowakischen Betrieben durch ausländische Investoren. Auch die fortgesetzten staatlichen Subventionen für Energie und Wohnen stießen den westlichen Ratgebern bitter auf. Die Hartnäckigkeit Bratislavas trug Meciar alsbald Zuordnungen wie »Autokrat«, »Nationalist« oder »Nationalkommunist« ein. Und Brüssel rückte die Slowakei aus der ersten Reihe der EU-Aufnahmekandidaten zusammen mit Rumänien und Bulgarien in die hintere Gruppe.

Fieberhaft wurde im Westen nach gesprächsbereiteren slowakischen Politikern gesucht. Gefunden wurden sie im Dunstfeld christlich-liberaler Kreise um Mikuláš Dzurinda. Der Wahlgang 1998 sah seine »Slowakische Demokratische Koalition« zwar nur – hinter Meciar HZDS – auf dem zweiten Platz, der Absturz der linken »Arbeiterassoziation« und die gleichzeitige Bereitschaft sowohl des Ungarnbündnisses als auch der reformierten Exkommunisten der »Partei der demokratischen Linken« (SDL) zur Zusammenarbeit mit den Christdemokraten machte eine Koalition gegen Meciar möglich. Während die Ungarn ihr – nationales – Profil in den folgenden Jahren behalten konnten, verlor die SDL durch ihren politischen Schwenk in die Wirtschaftsliberalität jede Glaubwürdigkeit und in der Folge auch ihre Parlamentssitze.

Dzurinda führte zwischen 1998 und 2006 zwei radikalliberale Koalitionsregierungen. Die Slowakei wurde unter seiner Führung zum neoliberalen Experimentierfeld in sozialen und steuerpolitischen Fragen. Dazu gehörten die Einführung der bereits erwähnten Flat Tax mit gleichzeitiger Erhöhung der Mehrwertsteuer und Senkung der Unternehmenssteuer auf 19 Prozent, die versuchte vollständige Privatisierung des Gesundheits- und Pensionswesens, die Streichung von Sozialleistungen, die 2004 zu Hungerrevolten von Roma in der Ostslowakei geführt haben, und die Einführung neuer Arbeitsgesetze, die aus Lohnarbeitern Selbständige machte.

Ficos Coup

Mit diesem sozialen Kahlschlag erstarkte aber ein Linksabweichler aus der SDL. Sein Name: Robert Fico. Mit seiner Partei »Smer« (Richtung) siegte Fico überraschend beim Urnengang im Jahr 2006. Er tat dies mit einem explizit antiliberalen Wahlkampf, versprach die Abschaffung der Flat Tax, die Rückverstaatlichung der Pensionskassen und den Stopp von Privatisierungen. Eine entsprechende Regierungskoalition wurde geformt, diesmal mit »Smer«, HZDS und SNS. Genauso wie Meciar zwölf Jahre zuvor mutierte Fico in der Außenwahrnehmung schnell zum Bösewicht Osteuropas. Die Mitgliedschaft von »Smer« bei den EU-europäischen Sozialdemokraten und bei der Sozialistischen Internationale wurde suspendiert, vorgeblich wegen seines nationalistischen Koali¬tionspartners SNS. Dahinter stand freilich die Angst vor der Unberechenbarkeit seiner Politik, sowohl außenpolitisch mit Versuchen einer Anbindung an Rußland, Belarus, Venezuela und Kuba als auch wirtschaftspolitisch die Vorgaben aus Brüssel zu mißachten. Tatsächlich führte er Privatversicherte wieder unter den Schirm staatlicher Pensionskassen zurück und stoppte Privatisierungsvorhaben wie den Verkauf des Flughafens Bratislava und des Cargo-Geschäfts der slowakischen Eisenbahnen. Die Flat Tax kann Fico erst Anfang 2013 abschaffen.

Dem Wahlsieg im Jahr 2012, als »Smer« mit 44 Prozent der Stimmen die absolute Mandatsmehrheit erreichte, ging politisch eine Läuterung Ficos voraus. Diese war einer speziellen innenpolitischen Konstellation im Oktober 2011 geschuldet. Im Jahr zuvor – das Pendel war erneut zurückgeschlagen – kam unter der Führung der christlich-liberalen Iveta Radicová wiederum eine Brüssel ergebene Koali¬tion an die Macht. Diesmal waren besonders gläubige Wirtschaftsliberale rund um Richard Sulík mit an Bord. Als es in Brüssel darum ging, den euphemistisch »Euro-Rettungsfonds« genannten EFSF über alle Euro-Länder zu stülpen und ihre »Solidarität«, sprich: ihre Zahlungsgarantie, einzufordern, stellte sich heraus, daß Radicová in den eigenen Reihen dafür keine Mehrheit zustande brachte. Sulíks Partei »Freiheit und Solidarität« (SaS) weigerte sich, slowakisches Geld für in Griechenland investierte französische Banken oder griechische Pensionen freizugeben. Sein Argument war ein durch und durch liberales: Warum soll der Staat (bzw. der Suprastaat EU) für wirtschaftliche Fehler von Kreditinstituten einspringen? Und: Wie kann man es slowakischen Pensionisten erklären, daß ihre Regierung griechischen Pensionsempfängern zur Seite springt, deren Renten zu dem Zeitpunkt zweieinhalb bis dreimal so hoch wie die durchschnittlichen slowakischen waren?

Robert Fico erkannte seine Chance. Das Ja seiner oppositionellen »Smer« zum Rettungsfonds ließ er sich mit einem Neuwahlbeschluß abgelten. Die im März 2012 abgehaltenen Wahlen gewann er souverän. Taktisch war dieser Doppelschlag eine Meisterleistung: Seinem Wiedereinzug ins Amt des Ministerpräsidenten, das er ja schon zwischen 2006 und 2010 bekleidet hatte, folgte die Dankbarkeit Brüssels auf dem Fuß. »Smer« hatte den »Euro-Rettungsschirm« gerettet. Fico ist es damit gelungen, vom mißtrauisch beäugten Outcast zum geachteten Partner zu werden. Die Slowakei, so scheint es, ist damit ihren mühsamen Weg nach Westen zu Ende gegangen.

* Von Hannes Hofbauer ist gemeinsam mit David Noack soeben erschienen: Slowakei. Der mühsame Weg nach Westen, Promedia Verlag Wien 2012

Aus: junge Welt, Mittwoch, 02. Januar 2013

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