Schlagabtausch über die Donau hinweg
Krisentreffen zwischen Slowakei und Ungarn
Von Jindra Kolar, Prag *
Die Regierungen Ungarns und der Slowakei haben die Spannungen zwischen den Nachbarn zu beiden Seiten der Donau zur Chefsache erklärt. Am heutigen Donnerstag treffen sich die Ministerpräsidenten.
Europa wächst zusammen? Nicht überall. Die beiden Nachbarrepubliken Slowakei und Ungarn
demonstrieren seit Monaten, dass man auch in einer durch die Osterweiterung vergrößerten
Europäischen Union Kleinstaaterei wie im 18. Jahrhundert betreiben kann.
Der ungarische Außenminister Peter Balazs empörte sich dieser Tage nochmals über die am 1.
September in Bratislava in Kraft getretene Novelle eines Gesetzes, die den Gebrauch des
Slowakischen als Staatssprache vorschreibt und die Nutzung des Ungarischen im Amtsverkehr
unter Ordnungsstrafe zwischen 100 und 5000 Euro stellt.
Laut Balazs würde ein in der Slowakei lebender Arzt ungarischer Nationalität, der einen Landsmann
behandelt und dies auf Ungarisch begleitet, schon 100 Euro Strafe zahlen müssen - mehr als er an
er Behandlung verdiene.
Doch in Bratislava wird diese Äußerung des ungarischen Chefdiplomaten als übertrieben
zurückgewiesen. Natürlich denke niemand daran, einen Arzt, der in seinen Behandlungsräumen
Ungarisch spricht, in irgendeiner Form zurechtzuweisen.
Als Provokation bezeichnete wiederum der slowakische Präsident Ivan Gasparovic den unlängst
beabsichtigten Besuch seines ungarischen Kollegen László Sólyom, der an der Einweihung einer
Statue des ersten ungarischen Königs St. Stephan in der slowakischen Donaustadt Komarno
teilnehmen wollte. Sólyom war kurzerhand zur »unerwünschten Person« erklärt und an der Einreise
gehindert worden. Er selbst meinte freilich, es sei keineswegs um eine Verletzung der Souveränität
der Slowakischen Republik gegangen, sondern lediglich um ein Treffen der Kulturnation der Ungarn
auf einem von ihnen bewohnten Territorium.
Gerade da treffen sich die Empfindlichkeiten beider Staaten: Das slowakische Territorium wurde erst
1920 auf der Grundlage des Vertrages von Trianon der nach dem ersten Weltkrieg entstandenen
Tschechoslowakei zugesprochen. Zuvor war es jahrhundertelang Teil des Königreichs Ungarn.
Balasz' Großmutter stammte selbst aus »Oberungarn«, wie die Slowakei damals hieß.
Nationalistische Gruppierungen in Ungarn fordern vehement die Aufhebung des Vertrages und
stellen Gebietsansprüche an die Slowakei. Zwar bemühte sich Präsident Sólyom, das Problem der
Extremisten herunterzuspielen. Doch sein Auftreten in von Ungarn bewohnten Gemeinden in der
Slowakei ist Wasser auf die Mühlen der magyarischen Nationalisten.
Was in anderen europäischen Staaten als undenkbar gilt - man stelle sich einen ähnlichen
»privaten« Auftritt von Bundespräsident Horst Köhler in Elsaß-Lothringen oder von Frankreichs
Präsident Nicolas Sarkozy im Saarland vor -, sorgt in den von Ungarn bewohnten Gebieten der
Slowakei, Serbiens oder Rumäniens immer wieder für Probleme. Serbien und Rumänien hatten sich
Besuche des ungarischen Staatsoberhaupts zu solchen Anlässen verbeten, in slowakischen Städten
trat László Sólyom indes - als Privatperson eingereist - bereits mehrfach auf.
Doch wenn die slowakische Regierung nun unter anderem mit der Novellierung des
Sprachengesetzes reagiert, dann sei das übertrieben, sagen selbst Sprachwissenschaftler der
Universität Bratislava. Und zu Recht fürchtet die ungarische Minderheit in den Gemeinden der
Südslowakei Benachteiligungen, wie schon vor Jahren die Gemeindegebietsreform zeigte. Es bleibt
abzuwarten, ob die Regierungschefs Robert Fico (Slowakei) und Gordon Bajnai (Ungarn) für
Entspannung sorgen können. Bisher wurde nicht einmal offiziell der Ort ihres Treffens bekannt
gegeben.
* Aus: Neues Deutschland, 10. September 2009
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