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Slowenen kappen balkanische Wurzeln

Informationen über das EU-Beitrittsland Slowenien - Grenzstreit mit Kroatien

Das "Neue Deutschland" berichtete im Frühjahr 2004 in einer Serie über die EU-Beitrittsländer. Wir dokumentieren im Folgenden den Beitrag über Slowenien.


Von Martin Schwarz, Wien

Janez Fajfar, Direktor des Luxushotels »Vila Bled« kann sich noch sehr gut an den Sommer 1991 und die seltsamen Gäste erinnern, die er in seinem romantisch am Bleder See gelegenen Haus empfangen musste: »Da kamen ein paar Deutsche, standen bei uns auf der Terrasse und fragten mich: ›Wo geht’s hier zum Krieg?‹« Die Deutschen wollten Slowenien helfen, die Unabhängigkeit zu erkämpfen. Doch nirgendwo in der Gegend tobte ein Krieg, und die Unabhängigkeitskämpfe im Juni 1991 dauerten nur sechs Tage. Beobachter in Ljubljana werten die relativ unblutige Trennung vom jugoslawischen Staatsverband heute als wesentlichen Faktor für die slowenische »Erfolgsstory«. Nur Slowenien wird am 1. Mai Mitglied der EU – Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Serbien und Montenegro und Mazedonien sind noch weit davon entfernt.

Der EU-Beitritt ist Ausdruck des Willens der Mehrheit der Bevölkerung, die »balkanischen Wurzeln« zu kappen und zu »Europa« zu gehören. Dennoch sind diese Wurzeln noch immer im Gedächtnis der Slowenen vorhanden – was sich auch beim Referendum über den Beitritt zur EU im März 2003 abzeichnete. Damals stimmten 89,61 Prozent der Slowenen für die Mitgliedschaft im elitären Staatenbund, und sie taten das nach Meinung slowenischer Kommentatoren auch, weil die Ermordung des serbischen Premiers Zoran Djindjic wenige Tage zuvor die Bevölkerung dramatisch daran erinnert hatte, wie instabil der Balkan nach wie vor ist und wie diese Instabilität auf Slowenien einwirken kann.

Da spielte es auch keine Rolle, dass vielleicht nicht alle Slowenen Gewissheit darüber hatten, was sie in der Europäischen Union erwartet. »Die nächsten Generationen werden uns sagen können, ob unsere Entscheidung richtig oder falsch war. Aber zumindest können wir behaupten, dass unsere Generation mutig ist, vielleicht sogar ein bisschen abenteuerlustig«, schrieb die Tageszeitung »Dnevnik« zum Abstimmungsergebnis. Weniger abenteuerlustig übrigens waren die Slowenen in der Frage Krieg und Frieden. Als einziges von sieben neuen Mitgliedern der NATO hat Slowenien die »Koalition der Willigen« im Irak-Krieg nicht verstärkt – wiewohl die Slowenen zeitgleich mit dem EU-Referendum auch über den NATO-Beitritt abstimmten: 66 Prozent waren dafür. Vor dem Irak-Krieg hatte die slowenische Regierung bewiesen, dass sie selbst gegenüber der Supermacht USA standhaft bleiben kann: Weder der Luftraum noch die Transitverbindungen zu Lande wurden für den Aufbau der Drohkulisse gegen Irak geöffnet. 80 Prozent der Slowenen waren laut damaligen Umfragen gegen eine Unterstützung der Invasion.

Die EU gewinnt mit Slowenien einen Mitgliedsstaat, der im Gegensatz zu den meisten anderen Neulingen – besonders jenen in Osteuropa – zumindest wirtschaftlich eine Ausnahmeerscheinung ist. Mit einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von rund 12000 Euro ist Slowenien das wirtschaftlich gesündeste Land und überrundet in Sachen Kaufkraft sogar Griechenland und Portugal. Ein wesentliches Anzeichen des wirtschaftliche Gesundheitszustandes eines Staates ist auch die Anfälligkeit für Korruption – und die ist in Slowenien kaum ausgeprägt: Laut neuestem Report von Transparency International ist in Slowenien der Griff zum Portemonnaie bei Problemen mit Behörden und Ämtern weniger häufig als etwa in Italien oder Griechenland. In den meisten der neuen EU-Staaten liegt die Bestechungswahrscheinlichkeit höher. So haben etwa 80 Prozent der Tschechen laut Umfrage zugegeben, den einen oder anderen Dienstweg bei Behörden per Zahlung abgekürzt zu haben.


Daten:
Fläche: 20273 km˛
Bevölkerung: 1,996 Millionen, 88 % Slowenen, 3 % Kroaten, 2 % Serben
Lebenserwartung: 75,5 Jahre
Hauptstadt: Ljubljana (265900 Ew.)
Bruttoinlandsprodukt 2002: + 3,2 %
BIP pro Kopf: 17700 Euro (70 Prozent des EU-Niveaus)
Arbeitslosenrate: 6,4 Prozent
Preissteigerung 2002: 7,5 Prozent
Währung: Tolar (SIT) (1 = 237,9 Tolar)
Quelle: Eurostat



Schon zu Titos Zeiten war Slowenien die reichste der jugoslawischen Republiken. Zudem wurde in Ljubljana auch nach der »Wende« eine ziemlich geschickte Wirtschaftspolitik betrieben: eine Wirtschaftspolitik der Globalisierungsgegner nämlich. Während andere Staaten, die den mühsamen Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft gingen, auf Gedeih und Verderb privatisierten und ihre Unternehmen Spekulanten aus dem Ausland überantworteten, wählte Slowenien einen sanfteren Weg. Privatisiert wurde erst, wenn ein Betrieb am Markt Chancen hatte. »Wir haben einen eigenen Weg gewählt, und der hat sich als richtig erwiesen. Ständig wurden wir kritisiert wegen zu langsamer Privatisierung, aber wir haben keine großen Pleiten gehabt, wir haben keine großen Katastrophen mit Tausenden von Arbeitslosen und wir haben vor allem keines unserer guten Unternehmen an Spekulanten verkauft. Wir haben keine spekulative Firma, die eine slowenische Firma kaputt gemacht hätte«, freut sich der slowenische Botschafter in Deutschland, Ivo Vajgl.

Für ausländische Investoren war Slowenien aus mehreren Gründen weniger interessant: Die vergleichsweise hohen Einkommen machten das Land nicht zu einem bevorzugten Ziel für die Auslagerung von Produktionskapazitäten, und ruinierte Firmen, die billig zu kaufen und stückchenweise zu verkaufen waren, sind auch kaum vorhanden.

Auch der jüngste Entwicklungsbericht der Vereinten Nationen, der mit anderen Beitrittsstaaten sehr kritisch ins Gericht geht, hat an der ökonomischen Entwicklung des kleinen Adriastaates kaum etwas auszusetzen: Während im Falle der Slowakei und Ungarns moniert wird, dass der wirtschaftliche Aufschwung der letzten Jahre nur einigen Bevölkerungsgruppen zugute kam und etwa Angehörige der Roma-Minderheit unter extremer Armut und Hunger leiden, gibt es derartige Phänomene in Slowenien nicht: »Extreme Armut und Hunger sind praktisch nicht existent, außer für eine kleine Bevölkerungsgruppe wie Obdachlose.«

Slowenien hat sich also seiner balkanischen Wurzeln entledigt, wiewohl dieses Bestreben auch zu bizarren Situationen führt: Seit Jahren muss Hoteldirektor Janez Fajfar ein sozialistisch-heroisches Wandgemälde im Veranstaltungssaal seines Hotels – der ehemaligen Sommerresidenz von Josip Broz Tito – mit einem schweren Vorhang verdecken. Einheimische Hotelgäste hatten sich beschwert. Ganz verzückt dagegen sind die Touristen darüber, dass ihre Zimmer und Suiten noch mit den Möbeln bestückt sind, die einst Tito benutzte.

Grenzstreit mit Kroatien

Im letzten Sommer schien sich der Konflikt zu verschärfen: Schiffe der kroatischen Küstenwache feuerten Warnschüsse auf slowenische Fischerboote ab, die wiederum die slowenische Küstenwacht zur Hilfe riefen. Erst politische Interventionen in Zagreb und Ljubljana stoppten die symbolischen Seegefechte in der Adria, bei denen glücklicherweise niemand zu Schaden kam.

Gegenstand des Streits zwischen Slowenien und Kroatien ist die Nutzung der adriatischen Küstengewässer. Slowenien nämlich verfügt nur über rund 46 Kilometer Küstenlinie. Die Seegrenze zu Italien übernahm es vom ehemaligen Jugoslawien. Die Abgrenzung zu den kroatischen Gewässern dagegen ist umstritten. Bei der üblichen Verlängerung der Landgrenze ergäbe sich nämlich, dass der Hafen im slowenischen Koper praktisch keinen Zugang zur freien See hätte, sondern von kroatischen und italienischen Hoheitsgewässern »eingeschlossen« wäre. Verschärft wurde die Situation durch die einseitige kroatische Ausrufung einer Fischereizone, die den Slowenen endgültig die kommerzielle Nutzung der Adria verbietet.

Dabei ist das kleine Slowenien dem südlichen Nachbarn zumindest politisch überlegen: Zagreb möchte ebenfalls der EU beitreten und hofft auf Fürsprache durch die Nachbarn. Großzügig gab sich der bisherige slowenische Europaminister und künftige EU-Kommissar ohne Geschäftsbereich, Janez Potocnik. »Der Streit um die Adria-Grenze sollte nicht überbewertet werden«, erklärte er kürzlich, und natürlich werde Slowenien den Nachbarn weiterhin bei seinen Integrationsbemühungen unterstützen.

Die Kontrahenten wollen die fruchtlosen Gespräche zur Lösung des Grenzproblems jetzt beenden. In der Vorwoche einigten sich Kroatiens Außenminister Miomir Zuzl und sein slowenischer Amtskollege Dimitrij Rupel, ein internationales Schiedsgericht mit der leidigen Angelegenheit zu befassen. Besonders Kroatien scheint mittlerweile mit beinahe jeder Lösung zufrieden zu sein, denn Zagreb weiß, dass sämtliche Bemühungen um Aufnahme in die EU vergebens sind, solange der Grenzstreit nicht gelöst ist. Schließlich wird sich die Union hüten, zwei Staaten mit ungelösten Grenzproblemen als Mitglieder zu haben.

Aus: Neues Deutschland, 16. April 2004


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