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Slowenien: Raus aus Jugoslawien - rein in die EU?

Der kurze Traum von der Unabhängigkeit

Unter der Rubrik "Der Blickpunkt" veröffentlichte die Frankfurter Rundschau am 6. April 2001 einen kurzen historischen Abriss der Entwicklung der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik Slowenien. Autor: Ulrich Glauber. Auch wenn manche Bewertung in dem Artikel nachlässig erscheint (z.B. wird über die faschistische "Heimwehr" [Domobrance]lediglich mitgeteilt, dass sie mit dem NS-Regime "kollaboriert" habe, was das aber für viele tausende Slowenen, die deportiert oder ermordet wurden, bedeutete, wird nicht mitgeteilt; dagegen findet die "Heimwehr" Erwähnung als Opfer: als sie - nach dem Krieg - "zu Abertausenden von ihren kommunistischen Gegnern ermordet wurden"): Der Autor bietet doch ein gutes Bild von der Kompliziertheit der historischen Einordnung dieses kleinen, aber sehr illustren Volkes. Wir dokumentieren den Artikel im Wortlaut:

Die Last der Vergangenheit

Ein Rückblick auf die Geschichte Sloweniens
Von Ulrich Glauber


Mit dem Beitritt zur Europäischen Union verlangt sich Slowenien viel ab. Vor anderthalb Jahrhunderten forderten die Slowenen erstmals die Einheit ihres Siedlungsgebiets und die Selbstverwaltung unter dem Dach des Habsburger Reiches. Erst vor zehn Jahren hat die jugoslawische Teilrepublik mit ihren zwei Millionen Bewohnern die Souveränität erlangt, die sie bei einer EU-Mitgliedschaft zum großen Teil wieder nach Brüssel delegieren müsste.

Im gesamten 20. Jahrhundert lebten die Slowenen in der Zwickmühle des Verlangens nach einem einheitlichen Gemeinwesen für ihre stark zersplitterte Nationalität und der Angst, den imperialistischen Gelüsten mächtiger Nachbarn allein nicht gewachsen zu sein. Bedroht von Italien, das die Küstenregion am Mittelmeer besetzt hatte, schloss sich das Land zwischen Alpen und Adria nach der Auflösung der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie am Ende des Ersten Weltkriegs dem 1918 gegründeten "Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen" an. Für die Zugehörigkeit zum neuen Staat, der - immer mehr von den Serben dominiert - 1929 in "Königreich Jugoslawien" umbenannt wurde, mussten die Slowenen eine hohe Schwelle überschreiten. Während der K.u.k.-Monarchie war ihr Land von Wien aus verwaltet worden. Kroatien hatte dagegen zur ungarischen Reichshälfte gehört. Serbien war nach Abzug der Türken ein von Russland gestütztes Königreich gewesen. Der neue südslawische Staat bescherte den Slowenen das Trauma, sich von Mitteleuropa ab- und dem Balkan zugewandt zu haben.

Dabei konnte ihnen ihre Entscheidung nicht einmal die Einheit des eigenen Siedlungsgebiets gewährleisten. Der Osten des Landes jenseits der Mur kam zu Ungarn, der istrische Westen am Mittelmeer 1920 zu Italien. Im gleichen Jahr entschieden sich die Slowenen in Südkärnten wegen der unsicheren Verhältnisse im südslawischen Staat bei einer Volksabstimmung für den Verbleib bei Österreich. Noch schlimmer kam es für Slowenien, als das instabile Jugoslawien mit seinen 15 Nationalitäten während des Zweiten Weltkriegs im April 1941 gegen Hitler-Deutschland verlor und zerschlagen wurde. Die Untersteiermark mit Maribor (Marburg) und Oberkrain kamen zum Deutschen Reich, das 1938 mit dem "Anschluss" Österreichs ein Nachbar Sloweniens geworden war. Der Westen mit der heutigen Hauptstadt Ljubljana (Laibach) wurde dem faschistischen Italien zugeschlagen.

So entstand ein Riss in der Gesellschaft, der bis heute nicht verheilt ist. Die Widerstandskämpfer schlossen sich den jugoslawischen Partisanen an, deren "Antifaschistischer Rat zur Befreiung Jugoslawiens" (AVNOJ) bald vom Kommunisten Jossip Broz Tito dominiert wurde. Bürgerliche und klerikale Kreise gründeten zum Schutz gegen den Aufbau einer sozialistischen Republik nach der Befreiung eine "Heimwehr" (Domobrance). Deren Mitglieder kollaborierten zum Teil, andere starben nach Konflikten mit den deutschen Besatzern in Konzentrationslagern.

Zu Kriegesende zogen sich die "Domobrancen" nach Kärnten zurück. Die britische Armee wies die bewaffneten Kämpfer jedoch wieder nach Jugoslawien aus, wo sie zu Abertausenden von ihren kommunistischen Gegnern ermordet wurden. Gleichzeitig setzten die kommunistischen Antifaschisten nach Wiederherstellung Jugoslawiens auch in Slowenien die "AVNOJ-Beschlüsse" um, Angehörige der italienischen Minderheit und der deutschstämmigen "Altösterreicher" zu enteignen und auszubürgern. Kärntner verhinderten im "Abwehrkampf", dass der Süden ihrer Region von den kurzerhand einmarschierten Partisanen für Jugoslawien vereinnahmt wurde.

Damit war der Boden für Konflikte bereitet, die auch zehn Jahre nach der Unabhängigkeit die ältere und die mittlere Generation noch umtreiben. Der heutige slowenische Präsident Milan Kucan hat als Chef der slowenischen kommunistischen Partei viel dazu beigetragen, die Unabhängigkeit in die Wege zu leiten. Auch die Öffnung zum Westen wie zur Marktwirtschaft hat er mitgetragen. Dennoch wird der von seinen Sympathisanten als "Vater der slowenischen Unabhängigkeit" gefeierte Präsident vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Spaltung von seinen Gegnern als Alt-Kommunist angefeindet.

Zu diesen im westlichen Sinn konservativen Gegnern gehört der 44-jährige Janez Jansa. Der regimekritische Journalist wurde nach der Proklamation der Unabhängigkeit am 25. Juni 1991 als Organisator des militärischen Widerstands gegen die jugoslawische Bundesarmee im so genannten Zehn-Tage-Krieg populär. In Kucan sehen Jansa und die meisten Führer der rechtsliberalen Parteien einen Repräsentanten der Funktionärselite, die radikale Reformen und eine Aufarbeitung kommunistischer Verbrechen im Interesse eigener Machterhaltung verhindert hat. Der Einfachheit halber wird auch der heutige Premier Janez Drnovsek dieser Gruppe zugeschlagen. Dabei nimmt er für sich in Anspruch, erster nichtkommunistischer, allerdings auch letzter Vertreter Sloweniens im Bundespräsidium Jugoslawiens vor dessen Zerfall gewesen zu sein. Die Rechte konnte die Mehrheit der Slowenen offensichtlich nicht überzeugen. Präsident und Premier wurden zum wiederholten Mal in ihr Amt gewählt.

Auch außenpolitisch lasten unbewältigte Vergangenheitsfragen auf der kleinen Republik. Der Konflikt mit Rom um den Besitz der vertriebenen italienischen Minderheit konnte 1998 durch spanischer Vermittlung mit einem Kompromiss in der Entschädigungsfrage beigelegt werden. Mit Österreich aber wird bis heute ein latenter Streit ausgefochten. Getrieben vom Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider verlangt Wien Kompensation für die Enteignung der "Altösterreicher" und die Anerkennung der knapp 2000 deutschstämmigen Slowenen als Minderheit. Angesichts gelegentlicher Drohungen aus Österreich mit einem Veto gegen den angestrebten EU-Beitritt Sloweniens begegnet Ljubljana dem Wiener Angebot einer "strategischen Partnerschaft" an die EU-Aufnahmekandidaten mit Skepsis.

Auch sonst tut sich die linksliberale Koalition Sloweniens mit der Suche nach Bündnispartnern auf europäischer Ebene - etwa nach Benelux-Vorbild - seit der Loslösung von Jugoslawien schwer. Ohnehin sind die modern ausgebildeten Bewohner im hoch industrialisierten Land verärgert, weil sie vom "Westen" immer noch dem Balkan zugerechnet werden. Der EU-Kandidat mit den besten Wirtschaftsdaten wurde bereits im jugoslawischen Bundesstaat zu Gunsten des unterentwickelten Ostens ausgebeutet. Vor zwei Jahren wurde Slowenien von der Nato-Erweiterung ausgeschlossen, weil die atlantische Allianz nicht die sympathisierenden Balkanstaaten vor den Kopf stoßen wollte.

Aus: Frankfurter Rundschau. 6. April 2001

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