Adria spült Nationalisten an die Oberfläche
Streit um die Meeresgrenze lässt kroatisch-slowenische Beziehungen immer kälter werden
Von Michael Müller, Zagreb *
»Für mich gibt es hierzulande wahrlich andere Probleme als das mit den Slowenen wegen eines
winzigen Stücks Grenze an der Adria. Aber es nervt einfach auf die Dauer. Und ich spüre, dass wir
Kroaten – nicht die offizielle Politik und die Medien, sondern Familie und Freunde – auch immer
genervter auf die slowenische Nein-Haltung reagieren.«
So beschreibt Martina Sabatic, Lehrerin im nordkroatischen Varazin, die Stimmung nach dem
neuerlichen harschen Veto Sloweniens gegen den für 2010 geplanten EU-Beitritt des
Nachbarlandes. Gerade hatte sie der slowenische Außenminister Samuel Zbogar beim Treffen mit
seinen EU-Amtskollegen in Luxemburg bekräftigt. Solange Kroatien in der Grenzfrage nicht einlenkt,
sei Widerstand angesagt, meinte er salopp.
Von Varazin aus ist es über die Drau ein Katzensprung nach Slowenien. Wie viele in der Stadt hat
auch Martina Sabatic Bekannte drüben. Es gibt viele Berufspendler nach Maribor oder auch nach
Ljubljana. »Ein Arbeitsplatz in Slowenien gilt wegen der besseren Bezahlung und wegen
wachsender Arbeitslosigkeit bei uns nach wie vor als attraktiv«, erläutert sie bei einem Espresso.
»Doch seit ein, zwei Jahren hat sich dieser Grenzstreit in die Alltagsthemen richtiggehend
eingeschlichen. Und mich erschreckt, wie nun auch schon die Kinder in der Klasse beginnen
nachzuplappern, was sie offensichtlich zu Hause an Sticheleien gegen die Nachbarn auffangen.«
Was Slowenien, bereits seit fünf Jahren EU-Mitglied, zum Anlass nimmt, den Beitritt Kroatiens zu
blockieren, ist ein von der Politik beider Seiten seit 1991 verschlepptes Problem, sagt Prof.
Vjenceslav Vlahov in Zagreb. Letztlich verhehlt aber auch er nicht, dass er die Schuld vor allem beim
Nachbarn sieht. »Weitgehend ist das einfach an den Haaren herbeigezogen«, meint er. »Und leider
gibt das alles auch bei uns vor allem wieder den Turbo-Leuten Auftrieb.« Turbo-Kroaten, Turbo-
Slowenen – das sind umgangssprachlich die Nationalisten.
Formal geht es bei dem Streit vor allem um die Seegrenze in der nur etwa fünf Kilometer breiten
Bucht, in die im Norden der Halbinsel Istrien der Grenzfluss Dragonja mündet. In dessen seewärts
weitergedachtem Verlauf soll die Grenze nach kroatischer Auffassung die Bucht fast in der Mitte
teilen. Nach slowenischer soll sie hingegen – auch deshalb, weil der Grenzfluss schon zu
jugoslawischen Zeiten durch Kanalisierung einen anderen Verlauf erhielt – weiter südlich der
kroatischen Uferlinie folgen. Die Bucht selbst wäre dann ganz slowenisch. Dortige Karten
reklamieren das bereits, indem die Bucht nach einem slowenischen Küstenort als »Piran-Bucht«
bezeichnet wird. Auf kroatischer Seite spricht man lieber, nach einem eigenen Küstenort, von der
Savudrija-Bucht.
Pro und Kontra sind beiderseits vielfältig und diffizil. Letztlich pocht die slowenische Seite auf ihre
Version, weil sie meint, nur dadurch freien Zugang zu internationalen Gewässern zu haben.
Wogegen die kroatische darauf verweist, dass sie diesen nie verwehrt habe oder verwehren wolle.
Zuletzt signalisierte Kroatien, man könne auf das Kompromissangebot der EU-Kommission
eingehen und die Frage gemäß dem Billigungsprinzip bilateral vertraglich entscheiden. Slowenien
beharrt indes vorerst weiter auf einer bilateralen völkerrechtlichen Lösung.
Oberflächlich betrachtet, bremst das alles lediglich den EU-Erweiterungsfahrplan. Man kann
mutmaßen, wem in der EU die Blockade durch Slowenien passend und wem sie unpassend kommt.
Die Angelegenheit kann sich aber auch zu einem Prüfstein dafür auswachsen, ob und wie die EU
durch zweiseitige Zerwürfnisse erpressbar ist. Da begänne eine Zeitbombe zu ticken. Denn offene
territoriale und ethnische Probleme gibt es auf dem Balkan, besonders in und zwischen den
Folgestaaten Jugoslawiens, zu Dutzenden.
In der Sache geht es zwischen den beiden ehemaligen jugoslawischen Republiken um mehr als nur
um eine paar Kilometer Adria. Zum ersten nämlich um ein – immerhin noch verständliches –
beinhartes ökonomisches Positionsgerangel in Krisenzeiten. Zum zweiten aber auch um das Spiel
mit der nationalistischen Karte.
In der kroatischen Presse werden die Kommentare immer spitzer. Warum billigte Slowenien im
Frühjahr unseren NATO-Beitritt, und warum jetzt das Veto in der EU? Man fühle sich arg von oben
herab behandelt. Von einem Nachbarn, »der einst nur vier Wochen und nicht wie wir vier Jahre den
Heimatkrieg gegen serbische Truppen im Land hatte«. Wer hoch fliegt, fällt tief, schließt der Autor
des »Vjesnik«. Und wenn das Lokalblatt der grenznahen Stadt Varazin, die »Varazdinske vijesti«,
gar ein Exklusivinterview mit dem kroatischen Staatspräsidenten Stipe Mesic druckt, enthält das
nicht nur beteuernd Staatsmännisches, sondern auch die populistische Warnung vor der Gefahr,
dass sich in Slowenien die politische Elite vom Volk entferne.
Von slowenischer Seite wird Kroatien hingegen vorgehalten, dass es für das Seegrenzproblem
bereits vor Jahren einen paraphierten Vertrag gegeben habe, mit dem die damalige kroatische
Regierung allerdings im Parlament allein gelassen worden sei. Kroatien wäre so gesehen ein
unsicherer Kantonist, und deshalb müsse eine bilaterale völkerrechtliche Lösung her. Das alles wird
begleitet von weitgehend unterschwelligem, ab und an aber auch offenem Dauergroll. Nämlich
darüber, dass Kroatien mit allen Buchten und Inseln rund 2000 Kilometer Adriaküste hat und
Slowenien nur rund 50.
* Aus: Neues Deutschland, 13. Mai 2009
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