Somalia zwischen Kriegsgefahr und Verhandlungsbereitschaft
Union Islamischer Gerichte geht auf Angebot der Übergangsregierung ein
Von Thomas Berger *
Die politische Lage in Somalia wogt hin und her. Die Gefahr eines großen Krieges am Horn von
Afrika ist nicht gebannt, auch wenn die somalischen Islamisten inzwischen wieder Dialogbereitschaft
verkünden.
Die Vorzeichen wandeln sich fast im Tagesrhythmus. Mitte letzter Woche waren die Gespräche
zwischen der von der UNO gestützten somalischen Übergangsregierung in Baidoa und der in
Mogadischu residierenden und regierenden Union der Islamischen Gerichte (UIC) auf unbestimmte
Zeit ausgesetzt worden. Nun sind Zeichen einer leichten Entspannung in Sicht. Die UIC will die
Friedensverhandlungen mit der Übergangsregierung in Baidoa fortsetzen. Dies kündigte ein
Vertreter der Milizen der UIC am Sonntag in Mogadischu an. Ein entsprechendes Angebot des
Parlamentspräsidenten Scharif Hassan Scheich Aden, das dieser bei einem Treffen in der
Hauptstadt Mogadischu übermittelt habe, sei angenommen worden. »Nun sind wir bereit, den
Friedensprozess in Khartum fortzusetzen«, sagte Scheich Mohamed Ibrahim als Vertreter der
Islamisten.
Bisher waren die Gespräche nicht in Gang gekommen, weil die Islamisten ein Treffen mit der
Regierung verweigert hatten, solange in Somalia eingesetzte äthiopische Truppen nicht
zurückgezogen sind. Die Islamisten fordern den sofortigen Abzug der äthiopischen Truppen, die
rund um Baidoa stationiert sind, um Interimspräsident Abdullah Yusuf Ahmed, die Minister und die
Abgeordneten des Übergangsparlaments im Falle eines Angriffs zu schützen.
Glaubt man einem vertraulichen Bericht aus UN-Kreisen, von dem die Nachrichtenagentur AP
Kenntnis erhalten haben will, sind es 6000 bis 8000 Soldaten, die das Nachbarland inzwischen über
die Grenze entsandt hat. Dabei gibt es aus Addis Abeba bis heute im Grunde nicht einmal das
amtliche Eingeständnis, dass überhaupt Truppen nach Somalia vorgerückt sind.
Der Umstand stellt politischen Sprengstoff dar, denn nicht nur die UIC, sondern auch viele Somalier,
die nicht mit den Islamisten sympathisieren, sind gegen die Präsenz ausgerechnet äthiopischer
Kämpfer. Schließlich gibt es seit Jahrzehnten Grenzstreitigkeiten zwischen beiden Staaten, die in
den 70er Jahren auch schon einmal zum offenen Krieg führten. Einige der heutigen UIC-Führer
waren damals als somalische Offiziere an der Front.
Der UN-Bericht erwähnt auch bis zu 2000 Soldaten aus Eritrea, die wiederum den Islamisten zur
Seite stehen. So droht in Somalia ein Stellvertreterkrieg für den äthiopisch-eritreischen Konflikt, der
trotz Friedensabkommen nach wie vor nicht beigelegt ist.
Vereinte Nationen, USA, EU und Afrikanische Union (AU) befürchten deshalb einen Flächenbrand
am Horn von Afrika, sollte es nicht gelingen, die Krise einzudämmen. In den Augen der Bush-
Regierung in Washington handelt es sich bei der UIC um Terroristen, die mit dem Al-Qaida-
Netzwerk Osama bin Ladens in Verbindung stehen. Den gleichen Vorwurf erhebt Äthiopiens
Regierung. Zumindest die streng konservative Ausrichtung der Union der Islamischen Gerichte in
Glaubensfragen steht außer Zweifel. Es gibt aber mindestens zwei Flügel innerhalb der Bewegung.
Dass neuerdings auch die Fraktion der »Moderaten« sich dem Aufruf zum »Heiligen Krieg« gegen
alle ausländischen Kämpfer auf somalischem Boden angeschlossen hat, wird als Zeichen einer
weiteren Radikalisierung der gesamten Gruppierung gewertet. Die auf Ausgleich drängenden Kräfte
im Führungsgremium sind weitgehend isoliert, haben ihre Hausmacht eingebüßt.
Auch wenn Somalias Außenminister Ismael Mohamed Hurreh meint, viele überschätzten die
militärische Schlagkraft der UIC, so kontrolliert diese doch fast den kompletten Süden des Landes.
Etliche Ortschaften hat sie ohne einen einzigen Schuss eingenommen, weil deren Verteidiger beim
Eintreffen der ersten Fahrzeuge mit bewaffneten Islamisten den Rückzug antraten. Aus Sicht
unabhängiger Beobachter ist keiner der somalischen Kriegsherren in der Lage, ihrer Übermacht
wirklich Paroli zu bieten. Mit diesem Faustpfand kehrt die UIC an den Verhandlungstisch zurück,
wenn nicht eine neuerliche Kehrtwende erfolgt.
* Aus: Neues Deutschland, 8. November 2006
Streit um Schlichtung
"Übergangsregierung" uneins über Kontakte zu islamischen Rebellen. Dritte Verhandlungsrunde in Khartum gescheitert
Von Knut Mellenthin **
In Somalia gibt es neue Hoffnungen, die Verhandlungen zwischen der in der Provinzstadt Baidoa residierenden »Übergangsregierung« (TFG) und der fundamentalistischen Union der Islamischen Gerichte (UIC) wieder in Gang zu bringen. Der Sprecher des Baidoa-»Übergangsparlaments«, Sharif Hassan Sheikh Aden, hielt sich von Sonntag bis Dienstag zu Gesprächen in der Hauptstadt Mogadischu auf, die seit Anfang Juni von der UIC kontrolliert wird. Erst in der vorigen Woche war in der sudanesischen Hauptstadt Khartum die dritte Verhandlungsrunde zwischen TFG und UIC gescheitert. Den internationalen Vermittlern, darunter Vertreter der Arabischen Liga, der Afrikanischen Union und der EU, war es nicht gelungen, die Streitparteien an einen gemeinsamen Tisch zu bekommen.
Nach dem Besuch in Mogadischu äußerten sich am Mittwoch sowohl Aden als auch seine Gesprächspartner von der UIC zuversichtlich, die in die Sackgasse geratenen Verhandlungen wieder aufnehmen zu können, um die Gefahr eines neuen Bürgerkriegs abzuwenden. Wieweit diese Einigung trägt, bleibt abzuwarten, da Parlamentssprecher Aden seine Vermittlungsission ohne Zustimmung der »Übergangsregierung« angetreten hatte. Diese hat inzwischen das Vertrauen der Mehrheit des »Übergangsparlaments« verloren. Mehrere Abgeordnete haben in den zurückliegenden Wochen Baidoa verlassen und sich der UIC angeschlossen.
Der stellvertretende Ministerpräsident der TFG, Abdullahi Sheik Ismail, distanzierte sich bei einem Besuch in Kenia von Adens Gesprächen in Mogadischu und sagte, die »Übergangsregierung« habe den Parlamentssprecher zuvor aufgefordert, seine Reise zu »verschieben«, um »die Strategie zu koordinieren«.
Ein zentrales, unmittelbares Ziel Adens war, die UIC zur Aufhebung der Blockade Baidoas zu veranlassen. Milizen der Islamisten und ihrer örtlichen Verbündeten kontrollieren alle Inlandsverbindungen des TFG-Sitzes und verhindern vor allem die Lieferung von Energieträgern. Die UIC sicherte dem Gast zwar zu, seine Bitte zu »prüfen«, vermied aber eine Festlegung.
In der vergangenen Woche deutete sich ein weiterer Konfliktherd an: Es kam erstmals zu einer militärischen Konfrontation zwischen der UIC und Soldaten aus der nordöstlichen Region Puntland, die 1998 mit Unterstützung Äthiopiens ihre Unabhängigkeit erklärte. Truppen aus Puntland sollen nach Angaben der UIC an der Seite eines lokalen Warlords in die Kämpfe um eine somalische Stadt eingegriffen haben. Die Regierung Puntlands, die mit der TFG zusammenarbeitet, bestreitet eine Beteiligung an den Kämpfen.
** Aus: junge Welt, 9. November 2006
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