Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Die Form wahren

"Übergangszeit" abgelaufen. "Internationale Gemeinschaft" läßt Somalia Demokratie spielen, aber es klappt nicht

Von Knut Mellenthin *

Am Montag endete nach dem Willen der »internationalen Gemeinschaft« die sogenannte Übergangszeit in Somalia. Damit steht das Land, in dem seit 1991 Bürgerkrieg geführt wird, vor einer »beispiellosen Chance für mehr Frieden und Stabilität«, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung, die die UNO, die Afrikanische Union und die regionale Staatengemeinschaft IGAD am Sonntag veröffentlichten. »Um ihre Unterstützung zu zeigen« hatten diese Organisationen am Freitag Vertreter nach Mogadischu geschickt. Die hielten sich allerdings nur in dem stark gesicherten Militärstützpunkt am internationalen Flughafen auf. Obwohl die Kämpfer der islamistischen Al-Schabab Mogadischu schon vor einem Jahr geräumt haben, verlassen ausländische Gäste in der Regel nicht das Airport-Areal.

Was am Montag genau geschehen würde, war bis zuletzt nicht geklärt. Nach dem schon vor Monaten von der »internationalen Gemeinschaft« diktierten Zeitplan sollte am 20. August die Wahl des Staatspräsidenten durch das Parlament stattfinden. Indessen war schon am Sonntag deutlich, daß man es vermutlich bei einer feierlichen Eröffnung des Parlaments belassen würde, die eigentlich schon für den 4. August geplant war. Die Präsidentenwahl, so hieß es, solle im Lauf der Woche durchgeführt werden. Zuvor muß das Abgeordnetenhaus noch seinen Sprecher – in Somalia traditionell eine der wichtigsten Positionen – und dessen zwei Stellvertreter bestimmen. Außerdem gilt es, einen Ausschuß einzusetzen, der die Präsidentenwahl vorbereitet.

Laut Zeitplan hat bei dieser »Beendigung der Übergangszeit« gar nichts geklappt, obwohl die »internationale Gemeinschaft« und insbesondere der tansanische UN-Sonderbeauftragte Augustine Mahiga, der sich zunehmend wie der Chef einer Kolonialverwaltung gebärdet, immer wieder aufs Tempo gedrückt hatten, um wenigstens den 20. August noch irgendwie zu retten. Von den 275 Abgeordneten, die das Parlament künftig haben soll, waren bis zum Sonntag erst 215 bestimmt. Und obwohl das Parlament nach dem Willen der »internationalen Gemeinschaft« zu 30 Prozent aus Frauen bestehen soll, sind unter den bereits feststehenden Abgeordneten nur 25 Frauen.

Zeitweise war in der »internationalen Gemeinschaft« sogar der abenteuerliche Gedanke aufgekommen, die bis Montag ausgewählten Abgeordneten zum rechtmäßigen Parlament zu erklären und eisern die Präsidentenwahl schon an diesem Tag durchzuziehen. Tatsächlich ist die formale Beschlußfähigkeit, die bei zwei Dritteln, also bei 184 Abgeordneten liegt, bereits erreicht. Legal wäre ein solches Verfahren aber nicht gewesen, und es hätte die ohnehin zu erwartenden Konflikte um die Besetzung des Parlaments noch verschärft.

Das Vorschlagsrecht für die Abgeordneten liegt nach den eingespielten traditionellen Verfahren bei den Clans und mehr noch bei den Unterclans. Das letzte Wort soll aber nach dem Willen der »internationalen Gemeinschaft« das sogenannte Technische Auswahlkomitee haben. Dieses besteht aus 27 Somalias, die das Clansystem repräsentieren, und zwei von der UNO entsandten Beobachtern, die zwar kein Stimmrecht, aber starken realen Einfluß haben. Das Komitee hat zu prüfen, ob die Kandidaten bestimmte, weitgehend von der »internationalen Gemeinschaft« vorgegebene Kriterien erfüllen. Bisher sind rund 70 Personen, die von ihren Clans und Unterclans vorgeschlagen worden waren, vom Komitee abgelehnt worden. Mehrere Gruppen haben sich daraufhin geweigert, neue Vertreter zu benennen. Ablehnungsgründe sind unter anderem fehlender Oberschulabschluß, Überschreitung des Höchstalters (75) und vor allem tatsächliche oder unterstellte Verbrechen während des Bürgerkriegs.

Präsident Scharif Scheikh Ahmed, der dem bedeutendsten der vier Hauptclans, den Hawije, angehört, hat am Freitag gefordert, daß alle abgelehnten Bewerber das Recht haben müssen, ihren Fall durch ein ordentliches Gericht überprüfen zu lassen. Bisherige Praxis ist, daß das Komitee nicht einmal Ablehnungsgründe nennen muß.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 21. August 2012


Zurück zur Somalia-Seite

Zurück zur Homepage