Somalia: Der gescheiterte Staat
Von Ruedi Küng *
Während US-Kampfhelikopter südlich der Hauptstadt Mogadischu Jagd auf die al-Kaida machen, darbt die Bevölkerung vor sich hin. Humanitäre Hilfe gibt es in Somalia so gut wie keine mehr.
Somalia hat es wieder einmal in die Schlagzeilen der Weltmedien geschafft. Doch nicht etwa mit der Meldung des Uno-Hochkommissariats für Flüchtlinge, dass die Zahl der SomalierInnen, die wegen des andauernden Krieges und der schweren Dürre im eigenen Land vertrieben sind, auf 1,55 Millionen gestiegen ist oder dass 3,8 Millionen - mehr als die Hälfte der somalischen Bevölkerung - dringend humanitäre Hilfe benötigen. Und auch nicht mit der Nachricht des Welternährungsprogramms (WFP), es habe in Somalia zwölf Ernährungszentren für Mütter und Kinder schliessen müssen, da die Staatengemeinschaft nicht einmal die Hälfte der notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt hat.
Der Hubschrauberangriff
Stattdessen macht ein US-Luftangriff auf eines der meistgesuchten Al-Kaida-Mitglieder Ostafrikas Schlagzeilen. Am Montag waren Kampfhubschrauber von einem vor Somalia patrouillierenden US-Kriegsschiff aus gestartet. Rund 250 Kilometer südlich der Hauptstadt Mogadischu hatten sie Saleh Ali Saleh Nabhan sowie weitere Mitglieder der Asch-Schabab-Milizen, die in einem Fahrzeug unterwegs waren, unter Beschuss genommen. Zwei Männer seien getötet worden, zwei weitere verletzt, wie Augenzeugen berichten. Die beiden Verletzten seien kurz darauf mit den Hubschraubern abtransportiert worden. Bei einem der beiden habe es sich um Nabhan gehandelt, sagte ein Asch-Schabab-Sprecher der BBC. Ob das stimmt, ist nicht sicher.
Die US-Geheimdienste halten den 28-jährigen Nabhan für eine wichtige Figur des Al-Kaida-Netzes in Ostafrika. Nabhan soll als enger Mitarbeiter von Abdullah Mohammed, dem Al-Kaida-Operationschef in Ostafrika, 1998 bei den Terroranschlägen gegen die US-Botschaften in Kenia und Tansania beteiligt gewesen sein. Damals wurden 229 Menschen getötet und Tausende verletzt. Er soll auch 2002 in den Anschlag auf ein Hotel in der kenianischen Hafenstadt Mombasa verwickelt gewesen sein, bei dem fünfzehn Menschen ums Leben kamen.
Die US-Geheimdienste hätten Nabhan schon mehrere Jahre lange verfolgt, sagen US-ExpertInnen. Er sei inzwischen zu einer Führungsperson der islamistischen asch-Schabab geworden, habe Ausbildungslager für Dschihad-Kämpfer eingerichtet und strategische Entscheidungen im Kampf gegen die somalische Übergangsregierung von Präsident Scheich Scharif Scheich Ahmed getroffen. Scheich Scharif gehörte der Union islamischer Gerichte an, die einst im Auftrag der USA von äthiopischen Truppen aus Somalia verjagt wurden. Heute arbeitet er mit den westlichen Staaten zusammen. Die Afrikanische Union hat 4300 Soldaten zum Schutz seiner Regierung in Mogadischu stationiert. Zwar hat Präsident Scheich Scharif Forderungen der beiden wichtigsten islamistischen Gruppen, asch-Schabab und Hizbu al-Islam, etwa der nach Einführung des islamischen Rechts, nachgegeben. Dennoch sehen sie ihn als Verräter und bekämpfen ihn unerbittlich. Die beiden Gruppierungen kontrollieren weite Teile Somalias, vor allem im Süden des Landes. Dort versuchen sie, ein strenges Regime zu errichten, das ihrer Lesart des Islams entspricht.
Clintons neue Waffen
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Die USA sowie der Westen insgesamt sind über diese Entwicklung am Horn von Afrika schon seit langem besorgt. Wegen der politischen Instabilität, die seit dem Sturz des Diktators Mohammed Siad Barre im Jahre 1991 herrscht, sei Somalia zum Zufluchtsort ausländischer Extremisten geworden, heisst es in Regierungskreisen. Dennoch scheint ein US-Truppen-Einsatz wie Anfang der neunziger Jahre heute undenkbar. Zu gross war die Schmach für die Weltmacht USA, als ihr Truppeneinsatz im Fiasko endete und somalische Milizen die getötete Besatzung eines abgeschossenen Black-Hawk-Hubschraubers mit Geländewagen durch die Strassen Mogadischus schleiften. Die US-Regierung von George Bush wählte ab 2007 eine andere Strategie: Sie ordnete Helikopterangriffe im Süden Somalias an, um mutmassliche Al-Kaida-Führer zu töten.
US-Präsident Barack Obama setzt diese Antiterrorstrategie seines Vorgängers nun offensichtlich fort. Dazu gehört auch die Unterstützung der somalischen Übergangsregierung. US-Aussenministerin Hillary Clinton sicherte auf ihrer Afrikatournee Anfang August Somalia weitere Waffenlieferungen zu. Dennoch wurden die islamistischen Milizen bis heute nicht geschwächt. Scheich Scharifs Regierung kann sich nur in einigen Bezirken der Hauptstadt Mogadischu sicher fühlen.
Ständig auf der Flucht
Ob die Ermordung - beziehungsweise Gefangennahme - von Saleh Ali Saleh Nabhan die asch-Schabab schwächen wird, ist schwer zu sagen; getötete Asch-Schabab-Anführer werden schnell einmal durch neue ersetzt. Viele SomalierInnen befürchten jedoch, dass sich ihre schwierige Lage noch weiter verschärfen wird. Asch-Schabab hat Rache geschworen. Und von der Regierung kann die somalische Bevölkerung keinen Schutz erwarten. Vielmehr werden die Menschen immer wieder von neuen Kämpfen zwischen Milizen und Regierung in die Flucht getrieben - in Mogadischu, aber auch im Zentrum und im Süden des Landes. Den verfeindeten Lagern gehe es nur um eines, sagt der somalische Arzt Abid Abdullah Hersi: gegeneinander zu kämpfen und sich zu töten. Sie lieferten sich auch in dicht besiedelten Gebieten Gefechte und dächten nicht im Traum daran, humanitäre Hilfe zuzulassen.
So müssten die Menschen immer wieder anderswohin fliehen, sagt Abdullah Hersi. Sie seien nirgends sicher, und humanitäre Hilfe erreiche sie nur schwer. Im sogenannten Afgoye-Korridor etwa, dem Gebiet zwischen Mogadischu und Afgoye, lebten unzählige Vertriebene ohne Behausung. Es gebe kaum noch humanitäre Organisationen, die ihnen beistünden. Denn auch deren Mitarbeiter seien vor den Kämpfern nicht sicher.
* Aus: Schweizer Wochenzeitung, 17. September 2009
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