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Auf der Flucht

In einer Woche verließen 10.000 Menschen Mogadischu. Somalia im Zeichen der "Versöhnungskonferenz"

Von Knut Mellenthin *

Aus Mogadischu wurde am Dienstag eine neue Fluchtwelle gemeldet. Innerhalb einer Woche, so die Vereinten Nationen, hätten nach Schätzungen des ­UNHCR (Flüchtlingshilfswerk der UN) 10000 Menschen die somalische Hauptstadt verlassen. Die neue Fluchtwelle ist Ergebnis der wochenlangen Militäraktionen, mit denen äthiopische Besatzungstruppen und Milizen der »Übergangsregierung« im Vorfeld der am 15. Juli eröffneten »Nationalen Versöhnungskonferenz« jeden Widerstand ausschalten wollten. Hauptziel ständiger Razzien ist der größte Markt der Stadt und das umliegende Viertel, das als Hochburg der Opposition gilt. Dadurch wurde auch die Geschäftstätigkeit immer wieder lahmgelegt. Ergebnis: Verknappung der ohnehin unzureichenden Lebensmittel, Preissteigerungen um bis zu hundert Prozent. Viele Bewohner Mogadischus sind sogar zur Flucht zu arm, darunter mindestens 3000 Obdachlose. Sie wurden von der »Übergangsregierung« gewaltsam aus nicht genutzten öffentlichen Gebäuden entfernt, in denen sie zum Teil schon seit über zehn Jahren gelebt hatten.

Bei den Kämpfen zwischen Februar und Mai hatten äthiopische Truppen mit Artillerie und Panzerkanonen große Teile Mogadischus zerstört. Nach Schätzungen der UNO flüchteten über 400000 Menschen. Nur etwa 125000 seien zurückgekehrt, so das UNHCR. Die Fluchtbewegungen aus der Hauptstadt belasten vor allem die nahe gelegenen Landesteile schwer und führen dort ebenfalls zu einer Verschärfung der Versorgungsprobleme. Internationale Hilfe erhalten die Flüchtlinge kaum, was zum Teil an Transport- und Sicherheitsproblemen, teilweise auch an der unkooperativen Haltung der »Übergangsregierung« liegt. Erschwerend kommt hinzu, daß der Nachbarstaat Kenia trotz Bitten der UNO seine Grenzen immer noch geschlossen hält, so daß von dort aus keine Lieferungen in die grenznahen Gebiete Somalias möglich sind.

Viele Betroffene müssen unter schattenspendenden Bäumen leben. Notunterkünfte sind rar. Hunger und unsauberes Wasser führen zu Erkrankungen und Todesfällen. Nach einer Untersuchung der internationalen Ärzteorganisation Medecins Sans Frontières (Ärzte ohne Grenzen) sind 21,5 Prozent der Flüchtlinge unterernährt. 60 Prozent der Familien sind ohne eigenes Einkommen, und über 90 Prozent haben keine Lebensmittelvorräte mehr.

Unterdessen wird auf der »Nationalen Versöhnungskonferenz« über Konflikte zwischen den Clans diskutiert. Politische Fragen, insbesondere die Machtverteilung, stehen bisher nicht auf der Tagesordnung. Die Opposition ist ausgesperrt und will im September einen eigenen Kongreß durchführen.

* Aus: junge Welt, 25. Juli 2007


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