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Die Katastrophe in Ostafrika wird andauern

Mathias Mogge: Das Hungergebiet ist riesig, nächste Regenzeit wird erst für Oktober erwartet *


Mathias Mogge ist seit März 2010 Programmvorstand der Welthungerhilfe. Der 47-jährige Agraringenieur und Umweltwissenschaftler war zuvor unter anderem als Programm-Manager für Sudan, Uganda und Äthiopien und als Regionalkoordinator für Westafrika tätig. Über den Krisengipfel der Welternährungsorganisation, der am heutigen Montag in Rom stattfindet, sprach für das "Neue Deutschland" (ND) Martin Ling mit ihm.

ND: Sie stehen in der Krisenregion Ostafrika mit Mitarbeitern direkt in ständiger Verbindung. Wie entwickelt sich die Lage am Horn von Afrika?

Mogge: Nicht zum Besten. Die Hilfe ist zwar angelaufen, die UN sind im Moment sogar in der Lage, mit ihren Nahrungsmittellieferungen auch in die schwer zugänglichen Gebiete vorzudringen – ins Zentrum von Somalia und in Richtung der kenianisch-somalischen Grenze. Aber das von der Hungersnot betroffene Gebiet ist riesig und die Anzahl der Hungernden steigt weiter. Wir haben jetzt Zahlen für Kenia bekommen – allein dort sind neun Millionen Menschen auf sofortige Hilfe angewiesen. Bisher wurde insgesamt von elf Millionen Hungernden ausgegangen. Ich fürchte, diese Zahl wird nach oben korrigiert werden müssen. Und vor dem Hintergrund, dass die nächste Regenzeit turnusmäßig erst im Oktober ansteht, muss man davon ausgehen, dass diese katastrophale Situation noch eine ganze Weile andauern wird.

Beim heutigen Krisentreffen der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft in Rom soll laut Frankreichs Außenminister Alain Juppé ein »außerplanmäßiges Hilfsprogramm für Somalia« aufgelegt werden. Reicht das Ihrer Ansicht nach?

Wenn das Programm nur für Somalia aufgelegt werden sollte, würde es mit Sicherheit zu kurz greifen. Es sollte mindestens noch Kenia und Äthiopien einschließen. Auch Sudan und Uganda haben Probleme.

Somalia ist als Bürgerkriegsland zusätzlich belastet. Erwarten Sie von dem Treffen auch eine politische Befriedungsinitiative?

Das wäre wichtig. Für die Not in Somalia ist neben den ausbleibenden Regenfällen der 20-jährige Bürgerkrieg eine wesentliche Ursache. Es gibt keine funktionierende Regierung oder Verwaltung. Ein politisches Signal, das den Aufbau von Institutionen befördert, die Basisdienstleistungen für die Bevölkerung bieten, wäre entscheidend.

Wie beurteilen Sie die bisherigen Anstrengungen der Geberländer? Deutschland zum Beispiel hat sich mit sechs Millionen Euro Soforthilfe nicht gerade mit Ruhm bekleckert, oder?

Das bisher bereitgestellte Geld reicht nicht aus. Alle Organisationen und meine Kollegen vor Ort sagen: Wir brauchen jetzt schnell und unbürokratisch Unterstützung. Es ist zwar richtig, dass wir auch Spenden brauchen, aber zuvorderst benötigen die Hilfsorganisationen die Unterstützung der Regierungen. Ich gehe aber davon aus, dass Berlin seine Zusagen noch einmal erhöhen wird.

Die Vernachlässigung der ländlichen Entwicklung seit den 80er Jahren wird inzwischen allgemein als ein Fehler anerkannt, sowohl von der Weltbank als auch von der Bundesregierung. Die schwarz-gelbe Regierung hat im Koalitionsvertrag die stärkere Förderung ländlicher Entwicklung festgeschrieben. Ist eine Trendwende sichtbar?

Grundsätzlich ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung den Schwerpunkt in Richtung Förderung des ländlichen Raumes verlagert. Das ist aufgrund der wachsenden Weltbevölkerung auch unabdingbar, die eine höhere Produktivität in der Landwirtschaft erfordert. Allerdings wird im Moment viel geschrieben und viel gesagt. Bisher fehlt bei der Bundesregierung die konkrete Umsetzung der Papiere. Dagegen fördert die Weltbank inzwischen wieder verstärkt die ländliche Entwicklung. Auch die Obama-Regierung hat mit »Feed the Future« (Ernähre die Zukunft) ein Programm zur Förderung der Landwirtschaft im globalen Süden aufgelegt.

2009 wurde beim G8-Gipfel in L'Aquila zugesagt, im Süden bis 2013 22 Milliarden Dollar in Landwirtschaft und Ernährungssicherung zu investieren – auch um die Region gegen Dürren robuster zu machen. Geflossen sind erst 20 Prozent.

Das ist die große Gefahr, die ich jetzt auch bei diesem Gipfel sehe: Es wird viel zugesagt, aber letztendlich wird das Geld dann real nicht überwiesen. Deswegen schauen wir als Nichtregierungsorganisation auch genau hin.

* Aus: Neues Deutschland, 25. Juli 2011


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