Selbstbedienung in Somalia
"Übergangsinstitutionen" wollen mindestens drei Jahre ohne Wahlen weitermachen
Von Knut Mellenthin *
Das somalische Parlament hat am Donnerstag (3. Feb.) seine Amtszeit um drei Jahre verlängert. Es vermeidet damit Wahlen, die regulär im Juli stattfinden müßten. Die Entscheidung fiel nahezu einstimmig. Von 435 anwesenden Abgeordneten stimmten nur elf gegen die Selbstmandatierung, drei enthielten sich. Dem noch niemals vom Volk gewählten Gremium gehören 550 Parlamentarier an. Viele Abgeordnete leben jedoch mit ihren Familien im Ausland und erscheinen nur selten zu den Sitzungen.
Der Abstimmung war angeblich eine Genehmigung des außergewöhnlichen Verfahrens durch die Afrikanische Union – die Dachorganisation aller Staaten des Kontinents – vorausgegangen. Am Wochenende hatte eine Gipfelkonferenz der AU in der äthiopischen Hauptstadt stattgefunden. In diesem Rahmen gab es ein Treffen zu Somalia, zu dem neben AU-Chef Jean Ping auch UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon eingeladen hatte. Was dort beraten und beschlossen wurde, ist bisher nicht bekannt. Bans Sondergesandter für Somalia, Augustine Mahiga, hatte in der vorigen Woche eine Mandatsverlängerung für die sogenannten Übergangsinstitutionen ausdrücklich abgelehnt.
Das somalische Parlament war im Herbst 2004 nach monatelangen Beratungen im Nachbarland Kenia eingesetzt worden. Es stand von Anfang an unter dem Patronat der AU und der UNO, die offenbar hofften, auf diese autoritäre, gänzlich undemokratische Weise endlich eine stabile und weithin anerkannte Regierung für das Bürgerkriegsland installieren zu können. Falls das die Absicht war, ist sie gründlich mißlungen. Die »Übergangsinstitutionen« haben keine Autorität im Land und können sich nur in einigen Bezirken der Hauptstadt mit Hilfe ausländischer Soldaten halten.
Das Parlament bestand zunächst aus 275 Abgeordneten, die nach der schon früher bei ähnlichen Kompromißversuchen angewandten Formel »4.5« zusammengestellt worden waren. Das bedeutete, daß den vier Hauptclans jeweils 61 Abgeordnetensitze zugeteilt wurden. Die übrigen 31 Mandate erhielten die zahlreichen kleineren Clans und Volksgruppen, die gelegentlich als »fünfter Clan« bezeichnet werden, obwohl sie alles andere als eine Einheit darstellen. Gemäß der Übergangsverfassung wählt das Parlament den Präsidenten. Dieser wiederum nominiert einen Premierminister, der sich mit seinem Kabinett dem Votum der Abgeordneten stellen muß.
Die Vereinbarungen des Jahres 2004 sahen vor, spätestens 2009 allgemeine und freie Wahlen durchzuführen. Diese Regelung wurde geändert, als die Übergangsregierung im November 2008 ein Machtteilungsabkommen mit dem gemäßigt-islamistischen Flügel der Allianz für die Wiederbefreiung Somalias schloß. Die Allianz stellte danach nicht nur den neuen Präsidenten, sondern konnte auch 200 Abgeordnete in das Parlament schicken. Weitere 75 Sitze wurden nach einem undurchschaubaren Verfahren an »zivilgesellschaftliche Gruppen« verteilt. Dadurch ergab sich insgesamt eine Verdoppelung des Parlaments auf 550 Mitglieder. Die Amtszeit wurde bis August 2011 ausgedehnt, sollte dann aber definitiv durch Wahlen beendet werden.
* Aus: junge Welt, 5. Februar 2011
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