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Übereilter Schritt

UNO, USA und EU im Streit mit somalischen "Übergangsinstitutionen" nach deren Amtszeitverlängerung um drei Jahre

Von Knut Mellenthin *

Die somalische Übergangsregierung (TFG) hat einen Konflikt mit ihren internationalen Unterstützern ausgelöst. Die UNO, die USA, die EU und mehrere europäische Staaten kritisieren die Entscheidung des somalischen Parlaments, seine Amtszeit um drei Jahre zu verlängern. Die nicht demokratisch legitimierten Abgeordneten hatten diesen Beschluß am vergangenen Donnerstag nahezu einstimmig gefaßt. Damit sollen Wahlen vermieden werden, die regulär im Juli fällig wären.

Die somalischen Übergangsinstitutionen waren im Jahre 2004 von der UNO und der Afrikanischen Union, dem Dachverband aller Staaten des Kontinents, eingesetzt worden. Ihre Amtszeit soll vereinbarungsgemäß am 20. August enden. Bis dahin müßte nicht nur ein neues Parlament gewählt, sondern auch eine Verfassung verabschiedet und in einem Referendum zur Abstimmung gestellt werden. Daß der August-Termin nicht zu halten ist und daß Wahlen nicht stattfinden sollen, weil sie wahrscheinlich mit einem Sieg der militanten Islamisten enden würden, ist unter den internationalen Unterstützern der TFG Konsens. Sie beanspruchen jedoch ein Mitspracherecht bei der Lösung dieses Dilemmas.

In einer Stellungnahme der Außenpolitik-Chefin der EU, Catherine Ashton, vom Sonnabend wird kritisiert, daß der Beschluß des Parlaments »übereilt ohne angemessene Konsultationen« gefaßt worden sei. Mit diesem »einseitigen Schritt« werde »ein Glaubwürdigkeitsverlust der Übergangsinstitutionen in den Augen der somalischen Bevölkerung riskiert«. Die TFG müsse »zu einem breiten Beratungsprozeß zurückkehren«. Ähnliche Stellungnahmen gaben auch Italien und Großbritannien ab, die bis zur Unabhängigkeitserklärung 1960 Kolonialmächte auf dem Territorium des heutigen Somalia waren.

Der Sondergesandte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Augustine Mahinga, bezeichnete die Entscheidung des Parlaments in einer am Freitag (4. Feb.) veröffentlichen Presseerklärung als »enttäuschend«. Er habe sich mit Vertretern der Afrikanischen Union und der Regionalorganisation IGAD getroffen, und man habe gemeinsam beschlossen, so schnell wie möglich mit der TFG zusammenzukommen, um über einen Ausweg zu diskutieren.

Ungewöhnlich scharf ist der Ton der Stellungnahme, die von der US-Botschaft in der kenianischen Hauptstadt Nairobi – in Somalia selbst haben die Vereinigten Staaten keine Vertretung – abgegeben wurde: »Diese einseitige und nicht legitimierte Ausdehnung der Amtszeit liegt nicht im Interesse des somalischen Volkes. Sie dient nur dazu, die Glaubwürdigkeit des Parlaments noch mehr zu untergraben, und kann zur Stärkung der (islamistischen) Al-Schabab führen.« Mit ihrem »selbstsüchtigen Manöver« stelle die Parlamentsführung in Frage, ob sie überhaupt noch ein effektiver Partner für das somalische Volk und die internationale Gemeinschaft sein könne. Die »schlecht beratene Entscheidung« müsse »überprüft« werden, und die TFG müsse »sofort zu ernsthaften Diskussionen« mit ihren ausländischen Unterstützern zurückkehren.

Ein zusätzliches Problem ist, daß die Abgeordneten zu ihrem Schritt durch einen Beschluß der nordostafrikanischen Regionalorganisation IGAD ermutigt worden waren. Darin war ausdrücklich die »dringende Notwendigkeit« einer Verlängerung des Amtszeit des Parlaments betont worden. Mitglieder der IGAD sind zur Zeit Uganda, Kenia, Somalia, Äthio­pien, Sudan und Dschibuti.

* Aus: junge Welt, 7. Februar 2011


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