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Übergangsregierung in Somalia auf verlorenem Posten

Islamisten auf dem Vormarsch - Äthiopische Besatzung greift hart durch - UNO verkennt die Situation

In einem Hintergrundartikel über die Lage in Somalia kommt die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) am 23. Mai zu dem Schluss, dass zur Zeit ein politisches und militärisches "Patt" zwischen der Übergangsregierung und ihren äthiopischen Verbündeten auf der einen und den Islamisten auf der anderen Seite bestehe.

Die Islamisten, die laut UN-Berichten hauptsächlich von Eritrea mit Waffen versorgt werden, sind wieder auf dem Vormarsch. Sie verfügen laut NZZ beinahe wieder über so viel Macht in der Hauptstadt Mogadischu wie im zweiten Halbjahr 2006, als sie für kurze Zeit die politische Herrschaft in weiten Teilen des Landes ausübten. Bei den Regierungssoldaten handelt es sich um eine "zusammengewürfelte Truppe" von Kämpfern aus Puntland, die Präsident Abdullahi Yusuf hörig sind, sowie von "Milizionären scheinbar entmachteter Kriegsfürsten". Seit Monaten hätten sie keinen Sold erhalten und würden diese Misere dadurch zu kompensieren versuchen, dass sie von der Bevölkerung Schutzgelder abpressen. Regierungssoldaten und ihre äthiopischen Verbündeten nehmen bei Gefechten keinerlei Rücksicht auf zivile Opfer.

Auch außerhalb der Hauptstadt seien die Islamisten auf dem Vormarsch. "Bei Kismayo im Süden und im unteren Shabelle-Tal eroberten die Aufständischen diesen Monat kleinere Ortschaften. Die Hauptstrasse zwischen Mogadiscio und Baidoa im Landesinnern, wo das Übergangsparlament und der Grossteil der Regierung sitzen, ist ebenfalls steten Angriffen ausgesetzt. Kürzlich wurden bei einem Angriff gleich drei äthiopische Truppentransporter des russischen Typs Ural zerstört", heißt es in dem Artikel der NZZ.

Zu all dem gesellt sich eine eklatante Misswirtschaft der provisorischen Regierung. So habe es in jüngster Zeit erhebliche Proteste der Bevölkerung gegen die galoppierende Inflation im Land gegeben, die dadurch angeheizt worden war, dass die Regierung ungeniert die Notenpresse in Gang gesetzt hatte. Nun musste sie klein beigeben. Die Islamisten, welche die Proteste der Bevölkerung unterstützt hatten, können sich auch in dieser Frage als moralische Sieger fühlen.

Ausdruck der wieder gewonnen Stärke der Islamisten ist auch die Tatsache, dass mittlerweile wieder "strenge religiöse Sitten und Regeln wieder durchgesetzt" wurden. So hätten etwa in der Hauptstadt alle Video-Kinos dicht gemacht - viele aus Furcht vor den Drohungen der Islamisten.

"Zwischen Hammer und Amboss"

In dem Artikel der NZZ wird folgende symptomatische Geschichte des Ladenbesitzers Abdul geschildert:

Abduls Problem begann im März. In der Nähe seines Ladens befindet sich ein Truppenstützpunkt der somalischen Übergangsregierung. Die Soldaten gehörten zu seinen besten Kunden. Dann erhielt Abdul Drohungen der radikal-islamistischen Gruppe ash-Shabab (die Jugend), die mit dem Terrornetzwerk Kaida in Verbindung gebracht wird und sich als Speerspitze eines Aufstands versteht, der seit Anfang Jahr an Stärke zunimmt. Wenn er den Regierungssoldaten weiter Gastrecht gewähre, werde er dies mit dem Leben bezahlen, teilte die Shabab Abdul mit, zuerst in einem anonymen Telefonanruf, dann mit Plakaten in der Umgebung seines Ladens, schliesslich – die «letzte Warnung» – durch den abendlichen Besuch von Extremisten bei ihm zu Hause. Abdul versuchte sein Unheil abzuwenden: Er bat die Uniformierten, nicht mehr auf den Plasticstühlen unter dem Baum Platz zu nehmen, dann, gar nicht mehr bei ihm zu kaufen. Nun wurden die Soldaten böse. Als sich Abdul schliesslich weigerte, sie zu bedienen, raubten sie seine Bude aus.

Wie Abdul haben viele Hauptstadtbewohner das Gefühl, zwischen Hammer und Amboss geraten zu sein. (...)

Aus: Neue Zürcher Zeitung, 23. Mai 2008 ("Die somalische Übergangsregierung hält sich nur knapp")



Vor diesem Hintergrund erscheinen der jüngste Report des UN-Generalsekretärs zur Lage in Somalia und die jüngste Resolution des UN-Sicherheitsrats als hilflose Versuche, die Situation im Land zu beschönigen und den UN-Truppen der Afrikanischen Union Aufgaben zuzuweisen, die sie nie und nimmer erfüllen können.

Beide Dokumente können Sie bei uns herunterladen: Pst


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