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Kein Ausweg für Somalia

AU-Friedenssoldaten unter Beschuss / Piraterie nimmt zu

Von Anton Holberg *

Die Lage im sogenannten gescheiterten Staat Somalia bleibt bedrohlich. Zwei Friedenssoldaten der Afrikanischen Union wurden seit Sonntag getötet, mehrere verletzt. Die Europäische Union will unterdessen entschiedener gegen Piraten vor Somalia vorgehen.

Die Lage innerhalb Somalias lässt die Europäische Union vergleichsweise kalt. Obwohl die UNO nach 18 Jahren Bürgerkrieg von der »größten humanitären Krise der Welt« spricht, halten sich die diplomatischen Bemühungen der EU in Grenzen. Anders sieht es dort aus, wo ureigene Interessen bedroht sind. Nach der Entführung unter anderem eines deutschen Handelsschiffes vor Ostafrika will die Europäische Union entschiedener gegen Piraten vorgehen. Die EU-Außenminister ebneten am Montag in Brüssel den Weg für einen Einsatz von Kriegsschiffen vor der Küste Somalias, wie aus einer gemeinsamen Erklärung hervorgeht. Erst vergangene Woche war das entführte deutsche Frachtschiff »BBC Trinidad«, das sich länger als drei Wochen in den Händen von Piraten befand, wieder freigekommen. Am Wochenende wurden auch zwei französische Geiseln mit Unterstützung der Bundeswehr aus Piratenhaft befreit. Neben Deutschland sei auch Malaysia an der Aktion vor der Küste des ostafrikanischen Landes beteiligt gewesen, sagte der französische Präsident Nicolas Sarkozy am Dienstag vor Journalisten in Paris.

Piraterie gehört in Somalia zu den wenigen florierenden Geschäftszweigen. Eine Untersuchung im Auftrag der UNO hat festgestellt, dass momentan 3,25 Millionen der neun Millionen Bewohner Somalias nur dank direkter Hilfe überleben können. Diese Zahl liegt um 77 Prozent über der Schätzung vom Jahresbeginn.

Nahrungsmittel sind binnen Jahresfrist um 700 Prozent teurer geworden. Durch Piraterie versorgen sich deshalb nicht zuletzt auch die verschiedenen bewaffneten Lager des Landes. Das alles sind Kennzeichen des Niedergangs, der durch die derzeit herrschende Dürre noch beschleunigt wird.

Die äthiopische Invasion im Dezember 2006, darauf gerichtet, die Regierung der Union Islamischer Gerichtshöfe (UIC) zu vertreiben, war nicht nur eine Reaktion auf die angenommene Gefahr eines gewaltsamen, islamistisch unterstützen Anschlusses der äthiopischen Region Ogaden an das somalische »Mutterland«. Die bewaffnete Einmischung Äthiopiens war ebenso sehr Teil des USamerikanischen Krieges gegen den Terror. Schon einmal, 1993, hatten USA-Truppen Somalia geschlagen verlassen müssen. Auch dieses Mal leisteten die USA dem äthiopischen Vorgehen nicht nur politische Rückendeckung. Die US-Luftwaffe flog überdies eine Reihe von Angriffen, denen jedes Mal eine größere Zahl von Zivilisten zum Opfer fielen.

Ein äthiopischer Rückzug aus Somalia und ein Zusammenbruch der nach der Invasion eingesetzten somalischen Übergangsregierung (TFG) käme einer weiteren Niederlage der USA gleich. In einem Interview mit der Londoner »Financial Times« erklärte Äthiopiens Ministerpräsident Meles Zenawi, sein Land sei bereit, Truppen aus Somalia abzuziehen, auch wenn die TFG nicht stabil sei. Er sagte: »Die Operation ist extrem teuer gewesen. Wir müssen deshalb den Druck zu Hause auf der einen Seite und den Druck in Somalia auf der anderen in ein Gleichgewicht bringen und versuchen, eine ausgeglichene Lösung zu erreichen.« Zudem wies Zenawi darauf hin, dass er über den Mangel an internationaler Unterstützung für eine AU-Friedensstreitmacht in Somalia enttäuscht sei. Von versprochenen 8000 afrikanischen Soldaten haben sich bis heute nicht mehr als 2200 im Land eingefunden. »Wir haben nicht vorhergesehen, dass die internationale Gemeinschaft gerne auf dem äthiopischen Ross reiten, aber es gleichzeitig so lange prügeln würde.« Zu dieser internationalen Gemeinschaft gehören die USA an vorderster Stelle.

Die von UN und AU zusammengeschusterte TFG, die sich bis zur Invasion Äthiopiens nicht aus ihrem kenianischen Exil heraustraute, hat sich längst als unfähig erwiesen, irgendetwas zur Verbesserung der Lage im Land zu tun. Somalia driftet weiter ins Chaos.

* Aus: Neues Deutschland, 17. September 2008


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